Interview
In einer herkömmlichen Bilanz legen Unternehmen bisher lediglich ihre wirtschaftliche Situation offen. Die Folgen für Umwelt und Gesellschaft durch die Geschäftstätigkeit spielen darin bisher keine Rolle. Das ändert sich gerade grundlegend. Nun kommt es darauf an, auch bei den sogenannten ESG-Faktoren (Environment, Social, Governance) zu punkten.
Jedes Geschäftsmodell hat Auswirkungen auf das Klima und ist umgekehrt bestimmten Klimarisiken ausgesetzt. Doch selbst Firmen, in denen die Folgen ihres Tuns für Umwelt und Klima bisher nicht im Fokusder Aufmerksamkeit standen, geraten nun verstärkt in die Situation, sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen zu müssen. Der Grund: Jedes Unternehmen, das Geld benötigt und über eine Finanzierung mit Banken, Leasinggesellschaften und anderen Geldgebern spricht, wird künftig nicht nur seine Bonität nachweisen, sondern auch seine Anstrengungen in Sachen Nachhaltigkeit belegen müssen. Weil Banken und Finanzdienstleister ihrerseits über den Anteil nachhaltiger Investitionen in ihren Portfolios berichten müssen. Sie werden inzwischen von europäischen und nationalen Aufsichtsbehörden angehalten, darauf zu achten, wie nachhaltig ihre Kunden wirtschaften und wie sehr Geschäftsmodelle bestimmten Klimarisiken ausgesetzt sind. Deshalb fordern sie vermehrt entsprechende Informationen ein.
Aber auch Kunden, Beschäftigte und weitere Stakeholder erwarten inzwischen Anstrengungen in Sachen Klimaschutz und Ressourceneffizienz. Wer hier punkten kann, steigert seine Chancen auf eine Finanzierung zu attraktiven Konditionen. Und seine Geschäftschancen bei kritischer werdenden Kunden.
Deshalb erfahren nachhaltigkeitsbezogene Unternehmensinformationen derzeit weltweit rasant steigende Aufmerksamkeit. Insbesondere innerhalb der Europäischen Union steigen die Anforderungen für die Berichterstattung sowohl von Finanzdienstleistern als auch von realwirtschaftlichen Unternehmen in Bezug auf deren Nachhaltigkeit.
Doch welche Informationen sind eigentlich erforderlich? Worauf kommt es an? Wie kann ein entsprechender Nachweis aussehen? Und wie können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsanstrengungen kommunizieren sowie ihrerseits entsprechende Informationen über andere Firmen erlangen? Darüber sprachen wir mit Jörg Rossen, Geschäftsführer der Creditreform Bonn Trier Rossen Eberhard GmbH & Co. KG in Bonn, und Moritz von Padberg, Geschäftsführer der Creditreform Köln v. Padberg GmbH & Co. KG.
Worauf müssen sich Betriebe heute einstellen?
Jörg Rossen: In Zukunft wird es nicht mehr reichen, nur über Bilanz-, Umsatz- oder Ergebniszahlen Rechenschaft abzulegen. Vielmehr müssen Unternehmen die Folgen ihres Handelns für Umwelt und Gesellschaft darstellen, die aus einem herkömmlichen Jahresbericht nicht hervorgehen.
Gilt das für alle Unternehmen?
Moritz von Padberg: Nein, viele Mittelständler unterliegen formal nicht dieser Pflicht. Aber auch sie sollten das Thema im Blick haben. Denn nicht nur die Politik, auch ein großer Teil der Gesellschaft, fordert, dass Unternehmen nachhaltiger arbeiten. Das gilt übrigens auch für andere Firmen, etwa große Auftraggeber. Sie fordern vermehrt ihre Lieferanten auf, sich in Sachen Nachhaltigkeit durch ein Rating bewerten zu lassen. Wer gegen ökologische und soziale Standards verstößt, riskiert immer häufiger einen Reputationsverlust bei Kunden, Geschäftspartnern und Beschäftigten.
Was gehört denn in eine solche Darstellung?
Rossen: Eine vollständige Berichterstattung berücksichtigt die sogenannten ESG-Faktoren, die von der Finanzbranche geprägt wurden. Das „E“ steht für „Environment“, also alle Auswirkungen, die unternehmerische Aktivitäten auf Umwelt und Klima haben. „S“ steht für „Social“, hier werden Aspekte wie Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie gesellschaftliches Engagement bewertet. Und „G“ steht für „Governance“ – eine seriöse Unternehmensführung, die die Gesetze achtet und Steuerungs- sowie Kontrollprozesse pflegt.
Es braucht aber doch Standards, um etwa Maßnahmen der Ressourcenminderung, des Arbeitsschutzes oder der seriösen Unternehmensführung überhaupt messen und dann vergleichen zu können?
Padberg: In der Tat! Deshalb hat die EU dazu Berichtspflichten für Unternehmen und Finanzdienstleister auf den Weg gebracht; die EU-Taxonomie sowie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sind vielleicht die bekanntesten Standards. Es handelt sich hierbei um eine EU-Verordnung, die zum einen Vorgaben für nachhaltige Investitionen definiert und zum anderen die Offenlegungsverordnung ändert. Die Verordnung enthält Kriterien, die festlegen, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist (Taxonomie), um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können. Zudem müssen Betriebe bereits heute Angaben zur Nachhaltigkeit in ihren Abschluss aufnehmen. Für die Berichterstattung deutscher Unternehmen sind die Nachhaltigkeitspflichten nach der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) in einigen Paragrafen des Handelsgesetzbuchs
festgehalten.
Das Lieferkettengesetz hat bestimmt auch Einfluss auf die Berichterstattung.
Rossen: Ja, mit dem „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“ wird der soziale Aspekt unternehmerischer Nachhaltigkeit wichtiger. Es gilt seit Anfang 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, ab 2024 bereits ab 1.000 Beschäftigten. Zudem werden große Unternehmen die unmittelbaren Zulieferer in ihrer Lieferkette genauer in den Fokus nehmen. Deswegen müssen auch kleine und mittlere Betriebe belegen können, dass sie faire und sichere Arbeitsbedingungen bieten und diese ihrerseits bei ihren Lieferanten sicherstellen.
Wie kann denn eine faire, transparente und damit vergleichbare Bewertung aussehen?
Rossen: Creditreform hat dazu den sogenannten „ESG-Score“ entwickelt. Mit diesem Lösungsansatz helfen wir insbesondere Banken und Finanzdienstleistern dabei, die Nachhaltigkeit in insgesamt 25 europäischen Ländern zu bewerten. Mit unserem Scoring lässt sich die Nachhaltigkeit von 99 Prozent aller Geschäftspartner bewerten.
Wie sieht das aus?
Padberg: Dazu werden Informationen aus den Bereichen Umwelt, Soziales sowie Unternehmensführung aus rund 9.000 öffentlich verfügbaren Nachhaltigkeitsberichten, belastbaren internationalen Quellen – z.B. OECD oder Eurostat – sowie selbst recherchierten Daten aus der Creditreform-Datenbank ausgewertet.
Und wie wird der ESG-Score berechnet?
Padberg: Die Variablen innerhalb der drei Säulen E, S und G hat Creditreform nach ihrer Bedeutung für den Score klassifiziert und gewichtet. Für jede der Variablen wurde eine spezifische Wirkrichtung definiert. Sie legt fest, ob eine höhere bzw. niedrigere Variablenausprägung als positiv oder negativ aus der Perspektive der Nachhaltigkeit zu interpretieren ist. Die Gewichtung für die Berechnung des Gesamt-Scores sieht eine Verteilung von 40 Prozent für den Bereich E sowie jeweils 30 Prozent für die Bereiche S und G vor.
Rossen: Creditreform vergibt dann eine Note für die unternehmensindividuelle ESG-Performance der Unternehmen. Dazu werden Noten von A als beste Note über B, C und D bis hin zu E als schlechteste Note vergeben. Jede der Noten ist wiederum in drei Stufen unterteilt.
Damit erziele ich als Betrieb also eine zweifache Wirkung.
Padberg: Genau! Zum einen erfahren Sie durch das Ausfüllen des Fragebogens mit „MyESG“, in welchen Bereichen Sie bereits sehr gut aufgestellt sind und wo Sie sich noch verbessern können. Damit machen Sie Ihre eigene Nachhaltigkeit transparent. Zum anderen können Sie mithilfe des ESG-Scores die Nachhaltigkeit von bestehenden und potenziellen Geschäftspartnern einschätzen – individualisiert und verlässlich. Wir bieten eine Risikoklassifizierung für mehr als drei Millionen Unternehmen in Deutschland. So können Sie u.a. Bestandskundenportfolios nach ESG-Kriterien vergleichen oder die Nachhaltigkeit von Finanzierungsnehmern oder Lieferanten beurteilen.
Wie nutze ich denn als Unternehmer den ESG-Score, wie kommuniziere ich meine Nachhaltigkeitserfolge und wie werden andere darauf aufmerksam?
Rossen: Mit Ausfüllen des MyESG-Fragebogens zeigen Sie Ihre Bereitschaft für nachhaltiges Handeln in Ihrem Unternehmen. Diesen Einsatz machen wir jetzt sichtbar: Durch das MyESG-Label auf unseren Firmeneintragsseiten sehen auch andere Unternehmen, dass Sie sich proaktiv mit den ESG-Kriterien auseinandersetzen. Zudem zeichnet Creditreform nachhaltiges Handeln von Unternehmen mit dem EcoZert aus. In einem Qualifizierungsbogen sind 39 Fragen zu beantworten und Nachweise
zur Prüfung der Angaben vorzulegen. Das mit dem EcoZert ausgezeichnete Unternehmen bekommt dann eine Urkunde, einen Rating-Bericht auf Deutsch und Englisch, ein Logo sowie Bilddateien für die eigene proaktive Kommunikation.
Creditreform
www.creditreform.de/bonn
www.creditreform.de/koeln