Was verbirgt sich hinter dem seit 2000 recht geläufigen Begriff „emotionale Intelligenz“ oder kurz EQ? Es gibt dazu spannende Erkenntnisse: 75 Prozent der untersuchten Menschen mit durchschnittlichem Intelligenzquotient (IQ) erreichen proportional höhere Leistungen als Menschen mit sehr hohem IQ. 34 Prozent halten in einer Befragung den EQ für entscheidend im Beruf. Baha Meier-Arian, die sich als Business Coach für Führungskräfte seit vielen Jahren beruflich mit emotionaler Intelligenz beschäftigt, liefert im folgenden Gastbeitrag fünf gute Gründe, die eigene emotionale Intelligenz weiterzuentwickeln.
Was unterscheidet IQ und EQ voneinander?
Der erste IQ-Test wurde vor 120 Jahren entwickelt. Gemessen werden Gehirnfähigkeiten wie logisches und schließendes Denken, Merkleistungen und Schnelligkeit der Auffassungsgabe. Der EQ umfasst Bereiche, die für das menschliche Miteinander entscheidend sind. Dazu zählen u.a. folgende:
- Mitgefühl,
- Einfühlungsvermögen,
- Menschlichkeit,
- Kommunikationsstärke,
- Selbstbewusstheit,
- Takt und Höflichkeit sowie
- Teamfähigkeit.
Unser Leben heute ist von sozialer Verunsicherung geprägt. Tradierte soziale Strukturen verändern sich oder lösen sich auf. Die immer stärkere Nutzung von (sozialen) Medien im alltäglichen Leben führt zu weiterer Verarmung im menschlichen Kontakt.
Gute EQ-Kompetenzen sind jetzt gefragt
Wie beeinflussen EQ-Kompetenzen den beruflichen Erfolg? Viele Untersuchungen beantworten diese Frage eindeutig: Die meisten Top-Performer haben einen hohen EQ. Studien belegen, dass diese jährlich über 20.000 Euro mehr verdienen als Kollegen mit einem niedrigen EQ. Der EQ ist heute in vielen Positionen für den Erfolg wichtiger als der IQ.
Grund 1: Emotionale Intelligenz fördert Selbsterkenntnis
Die klassisch am Verstand orientierte Lebenseinstellung ist die folgende: Bringe alles in Erfahrung über dein Umfeld, analysiere darin die Menschen und Dinge, und dann wirst du sie beherrschen. So gingen in der Antike schon wichtige Personen zum Orakel von Delphi und baten um Rat zur Verfeinerung ihrer Machtstrategien. Was die meisten übersahen – die wichtigste Botschaft stand bereits am Eingang zum Tempel von Delphi in Stein gemeißelt: Erkenne dich selbst.
Das gilt auch heute noch. Hohe Intelligenz unterstützt überwiegend die analysierende Wissensaneignung. Daran ist nichts auszusetzen. Zum Problem wurde die zunehmende Einseitigkeit dieses Modus. Wer sich selbst kennt, weiß um seine mentalen und emotionalen Stärken und Schwächen. An diesen kann jeder Mensch arbeiten und wird so unabhängig von äußeren Umständen. Dies befähigt Führungskräfte, auch herausfordernde Projektsituationen mutig und optimistisch anzugehen. Daraus resultierende Erfolge stärken dann das gesunde Selbstbewusstsein. Dieses beruht auf souveränem Umgang mit eigenen Fähigkeiten und nicht auf Dominanz und Kontrolle über andere. Für die Entwicklung dieser Haltung ist regelmäßiges Führungscoaching sehr hilfreich und entlastend.
Grund 2: Emotionale Intelligenz fördert Empathie und Flexibilität
Selbsterkenntnis führt zu innerer Klarheit. Das wirkt sich auf alle Sinne aus: Ich nehme klarer und eindeutiger wahr. Die Eintrübung durch eigene unbewusste Gedanken und Gefühle verschwindet zunehmend. Ein neues Projekt kann zwar immer noch Respekt und kleine Unsicherheiten auslösen. Was aber wegfällt, sind die unbewusst in uns laufenden zerstörerischen Programme. Sie basieren meist auf negativen Glaubenssätzen wie „Ich schaffe das sowieso nicht“. Dieser Klassiker liefert auch prompt zugehörige negative Gefühle: Angst, Unsicherheit und Mutlosigkeit.
Durch begleitete Selbstbetrachtung können solche Programme erkannt und aufgelöst werden. Besonders segensreich wirkt dies im Umgang mit anderen Menschen: Man erkennt die Gefühlslage seines Gegenübers.
Wenn in mir Gefühle dazu entstehen, kann ich sie als zu mir gehörig einordnen. So verschaffen wir uns Entscheidungsfreiheit: Wenn ein Gegenüber Wut in mir auslöst und ich diesen Entstehungsmechanismus nachvollziehe, entsteht ein Freiraum. Dieser bietet die Gelegenheit, auf reflexartige Reaktionen zu verzichten. Ich nutze meine Gefühle zur Analyse der Situation und lebe sie nicht unreflektiert aus. Sehr gut wird emotionale Intelligenz beim aufmerksamen Zuhören wahrgenommen und auch geübt: Die eigene Klarheit ermöglicht es einer Führungskraft, ganz beim Gegenüber zu sein und nicht innerlich schon Worte für eine Antwort oder Gegenrede zu suchen. Eine solche Führungskraft genießt schnell Sympathie und Vertrauen.
Grund 3: Besser entscheiden mit emotionaler Intelligenz
Eine sehr häufige Thematik im Coaching ist das Ringen um die richtige Entscheidung. Hierbei sei noch einmal an die anfängliche Gegenüberstellung von IQ und EQ erinnert. Die lange Zeit vorherrschende Verstandskultur führte zu der folgenden Empfehlung: Liste alle Pro- und Kontra-Argumente auf und versehe sie mit einer Wertung je nach Wichtigkeit. Am Ende ergibt sich ein rational begründetes und datengestütztes Zahlenergebnis. Die emotionale Intelligenz bringt neue Aspekte in eine Entscheidungsmatrix wie beispielsweise Gefühle, Moral und Menschlichkeit. Das macht die Sache zwar komplexer, aber auch vollständiger. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Die Spannung zwischen IQ und EQ entspricht nicht der oft zitierten Polarität zwischen Kopf und Bauch. Nur weil man der Einseitigkeit der Rationalität misstraut, macht das unsere Emotionen nicht automatisch zu einem verlässlicheren Kriterium. Wie bei Grund 2 gezeigt, sind Gefühle und Emotionen manchmal auch einfach nur trügerische Folgen von schlechten und zerstörerischen Gedanken. Der Sitz der emotionalen Intelligenz ist symbolisch daher auch eher vermittelnd zwischen Kopf und Bauch in unseren Herzen.
Da emotionale Intelligenz eine Stabilität in der eigenen Mitte bewirkt, sieht man die Konsequenzen jeder Entscheidungsmöglichkeit viel klarer. Und noch eins: Die Vorstellung, es gebe immer die absolut richtige Entscheidung, ist irreführend und selbst ein Glaubenssatz. Eine zentrierte Führungskraft kann nach Beobachtung einer ungünstigen Entwicklung auch die erste Entscheidung revidieren und eine neue treffen. Das ist niemals Schwäche, sondern
Führungsstärke.
Grund 4: Mit emotionaler Intelligenz glaubwürdig führen
Teamleitung beinhaltet viele kommunikative Aufgaben. Gerade diese bringen junge und wenig erfahrene Führungskräfte an ihre Grenzen. Mitarbeitern beispielsweise ein kritisches Feedback zu geben, das erfordert Fingerspitzengefühl und Einfühlung. Je klarer die Führungskraft mit ihren eigenen Gefühlen ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kritik so geäußert wird, wie es sein soll: Konstruktiv, wohlwollend und sachlich.
Manchmal muss die Führungskraft auch schwierige Themen in einem Team vermitteln. Auch hier ist eine gut entwickelte emotionale Intelligenz sehr hilfreich. Gleiches gilt, wenn die Führungskraft einen Konflikt moderieren soll. Wer mit Emotionaler Intelligenz führt, wirkt glaubwürdig und hat gute Chancen auf die Solidarität und Unterstützung aus seinem Team.
Das ist auch für eine gute Selbstfürsorge wichtig. Führungskräfte sind oft in einer schwierigen Sandwich-Position: Aus der obersten Etage kommen Aufträge, Anforderungen und oft auch Druck. Das eigene Team hat Wünsche und Ängste und projiziert oft unbewusst eigene Gefühle auf die Führungskraft. Hier verhilft emotionale Intelligenz zu mehr Resilienz und wirkt auch als Vorbeugung gegen Burnout.
Grund 5: Emotionale Intelligenz fördert moralisches Problembewusstsein
Gelebte Empathie und Bereitschaft zur Reflexion schaffen eine vertrauensvolle Unternehmenskultur. Wie beschrieben erleichtert diese das kollegiale Miteinander, aber auch das Verhältnis zur Führungskraft. Doch natürlich wirkt eine so geklärte Kommunikation auch positiv nach außen: Die Beziehungen zu Kunden und Kooperationspartnern werden aufleben und davon profitieren. Dies hat heute einen großen Anteil am geschäftlichen Erfolg. Neben dem motivierenden Gefühl des Erfolgs besteht am Arbeitsplatz auch ein Wunsch nach Freude, Zufriedenheit und Sinnhaftigkeit. Die emotionale Intelligenz hilft dabei in mehrfacher Hinsicht:
- Jeder Einzelne identifiziert sich mit den Unternehmenszielen.
- Mitarbeiter sind bereit, eigenständig zu entscheiden und zu handeln.
- Sie übernehmen aus eigener Motivation heraus Verantwortung.
- Auf diese Weise entwickelt sich eine gemeinsame Arbeitsmoral zum Wohle aller.
Bedeutung von Moral
Warum ist der letzte Punkt wichtig? Weil die emotionale Intelligenz wegen ihrer Wirksamkeit auch eine Gefahr birgt: Sie kann ebenso für egoistische und unlautere Zwecke eingesetzt werden. Sicherlich wird man etwa bei erfolgreichen Verkäufern ausgeprägte emotionale Intelligenz finden. Nur eine moralische Orientierung kann verhindern, andere Menschen mit emotionaler Intelligenz für egoistische Ziele zu manipulieren.
Positiv angewendet setzt emotionale Intelligenz Energie und Kreativität frei. Gemeinsame und gute Ziele werden dann in Freude und im Einklang mit eigenen Gedanken und Gefühlen erreicht.
Baha Meier-Arian
Gründerin und Geschäftsführerin
der Privatpraxis für Business- & Charakter-Coaching
für Führungskräfte
www.mental-health-management.de