Wie und Was statt Warum – Fragetechniken für einen charismatischen New-Kindness-Ansatz in Verhandlungen

Geschäftsführer und HR-Chefs wissen es nur zu gut: Das Geschick entscheidet allzu oft, ob eine Verhandlung gelingt oder scheitert. Um dem Verhandlungsgeschick auf die Sprünge zu helfen, gibt es diverse Techniken, die jeder Profi kennen sollte.

Dabei ist das Harvard-Konzept nur eines von vielen, allerdings eines, das besonders auf Win-Win-Situationen ausgerichtet ist. Und auch wenn alle Techniken gutes Hand-werkszeug mitgeben – entscheidend ist unter dem Strich die Erkenntnis, dass es nie nur um B2B geht, immer aber um H2H: „Human to Human“. Dieser Ansatz setzt sich immer mehr durch und hat mittlerweile einen eigenen Namen: „Kind Economy“. Wie ein umfassender Ansatz gelingen kann, der neben Techniken wie dem Harvard-Konzept auch die menschliche und persönliche Ebene berücksichtigt, also „kind“ ist, erläutert Inés Hoelter.

Wer in Verhandlungen einsteigt, vergisst allzu oft, dass ein Kalibrieren und damit Kennenlernen des Gegenübers bereits – und vor allem – in den vorhergehenden Small-Talk-Situationen stattfindet. Im ungezwungenen „kleinen Gespräch“ erfahren wir Interessantes über den Gesprächs- und Verhandlungspartner. Nicht nur seine Vorlieben und Abneigungen, auch die Art, wie er sich bewegt und welche Worte er gerne benutzt, können hier ausgemacht werden. Der Small-Talk hält also eine Fülle an Informationen bereit, die hinterher in den jeweiligen Verhandlungen genutzt werden können. Allerdings nur, wenn vorher das „normale Verhalten“ des Gegenübers erkannt wurde. Das zu kennen ist unerlässlich, um später Abweichungen zu bemerken. Verändert sich die Körpersprache? Wird die Stimme schriller oder lauter? Wurde das Sprachmuster verändert? Dann wird es interessant. Denn es könnte am Thema liegen, das gerade verhandelt wird.

Die drei Phasen des Spiegelns Gleichzeitig macht ein Kalibrieren es möglich, die eigenen verbalen und nonverbalen Muster anzupassen. Das sogenannte Spiegeln findet Anwendung. Dieses verläuft in drei Phasen:

  1. Mirroring: Hier passt sich A an die körperlichen Signale von B an. Wenn sich beispielsweise A zurücklehnt, kann B das mit leichter Zeitversetzung ebenso tun.
  2. Pacing: A beschränkt sich darauf, B zu folgen und seine Gestiken „nachzumachen“. A nimmt quasi Schritt mit B auf.
  3. Leading: Nach einer Weile versucht A, selber Gestiken und Aktionen anzubieten. Er überprüft, ob B ihm folgt. Beispiels-weise kann A sein Wasserglas nehmen und trinken. Wenn B folgt, hat A den Hinweis, dass B sich offenbar wohl mit ihm fühlt. Jetzt kann eine erfolgreiche Verhandlung beginnen. Sollte B noch nicht folgen, sollte A eine Ehrenrunde drehen und noch einmal ins Pacing übergehen. Das Leading kann dann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ausprobiert werden.

Wenn nun die äußeren Umstände berücksichtigt und die verbalen und nonverbalen Signale reflektiert wurden, ist es Zeit für die eigentlichen Verhandlungstechniken. Jegliche Verhandlungstechniken können allerdings nur funktionieren, wenn ein guter Kontakt zum Gegenüber aufgebaut wurde – so wie oben beschrieben. Ferner sollte der eigene Körper- und Stimmeinsatz optimiert werden, denn für eine gute Kontaktaufnahme sind ein angenehmer Stimmeinsatz und positiv besetzte Körpersignale Voraussetzung. Eine ruhige, sonore Stimme verbunden mit ruhigen, fließenden Körperbewegungen wird allgemein als angenehm und charismatisch wahrgenommen. Ein bewusster Umgang mit der eigenen Stimme und dem eigenen Körper ist also unerlässlich für eine erfolgreiche Anwendung der folgenden Techniken. Denn gekauft wird nie nur das Produkt, immer jedoch beim Menschen.

Labeling

Labeling ist eine Technik in der Gesprächsführung, um das Gehörte entsprechend zu labeln, also ihm ein Etikett aufzudrücken. Es kann der Versuch sein, das Gegenüber zu verstehen und seine Motivation in andere Worte zu fassen. Es kann allerdings auch ein absichtliches Missverstehen sein, um zu provozieren. Das wäre dann ein Mislabeling.

Wichtig ist beim Labeling, das von Mathew D. Lieberman begründet wurde, bewusst nicht in der Ich- oder Wir-Form zu sprechen, sondern eine (vermeintliche) Meta-Ebene verbal zu erzeugen. Satzanfänge, die sich dafür eignen, sind z.B.:

  • „Es scheint, dass …“
  • „Es sieht so aus, als ob …“
  • „Es fühlt sich so an, dass …“
  • „Ist es so, dass …?“

Wenn im Verkaufsgespräch oder bei Verhandlungen eine Äußerung fällt, die unsicher und zögerlich klingt, könnte das entsprechend gelabelt werden:

  • „Es hört sich so an, als würden Sie noch zweifeln …?“
  • „Es scheint so, als wäre da noch etwas Unsicherheit in Ihrer Stimme …?“

Wichtig ist bei dieser Technik der richtige Stimmeinsatz: Die Stimme sollte am Satz- bzw. Frageende auch wirklich hoch gehen, damit es aufrichtig und nicht sarkastisch klingt. Steigende Kadenzen sind hier wichtig.

Mit dieser Technik wird das Gegenüber ermutigt, dem Einwand entweder zuzustimmen oder aber andere Beweggründe mitzuteilen, warum es noch zögerlich klingt. Typische Antworten wären:

  • „Nein, nicht zweifeln, aber mir geht das etwas schnell.“
  • „Nein, nicht Unsicherheit, aber mir ist etwas peinlich, dass …“

Alles was hinter dem „aber“ gesagt wird, ist Gold wert, da nun wichtige und wertvolle Informationen folgen. Diese Technik sollte jedoch nur dezent angewendet werden, da sie sonst schnell manipulativ und übergriffig wirkt.

Wie und Was statt Warum

Wie die Sesamstraße schon wusste, sind Fragen eine gute Art, etwas herauszufinden. Und vielleicht war es durchaus durchdacht, das „Warum“ und mit ihm die Synonyme „Wieso“ und „Weshalb“ im Sesamstraßen-Song ganz nach hinten zu setzen. Denn diese Fragen sollten als letztes gestellt werden. Statt „Warum“, „Wieso“ oder „Weshalb“ sollten das „Wie“ und das „Was“ zum Zuge kommen. Wo die ersten drei Frageworte sehr inquisitorisch wirken und den Gesprächspartner schnell in die Defensive drängen, kommen das „Wie“ und das „Was“ als freundlich und interessiert daher. Ein Vergleich:

  • „Warum hast du das getan?“ oder „Wie kam es dazu, dass du das getan hast?“
  • „Warum hast du erst um 23 Uhr angerufen?“ oder „Wie ist es gekommen, dass du um 23 Uhr schließlich angerufen hast?“
  • „Warum sollen wir in drei Wochen liefern?“ oder „Was macht es wichtig für Sie, dass wir in drei Wochen liefern?“
  • „Warum soll ich das tun?“ oder „Wie soll ich das anstellen?“

Bei Warum-Fragen schwingt der erhobene Zeigefinger quasi mit. Durch Wie- und Was-Fragen wird das Gegenüber sehr viel stärker miteinbezogen. Es entsteht eine Unterhaltung auf Augenhöhe. Gleichzeitig ist eine mehr oder weniger versteckte Anklage bei solchen Fragen sehr viel weniger  gegeben. Auch eine vermeintliche Ironie kann bei Wie- oder Was-Fragen schwerer unterstellt werden;  eine vermeintliche moralische Überlegenheit gleich gar nicht.

Gerade in sensiblen Gesprächen wie High-Stake-Verhandlungen oder Einstellungsgesprächen sind diese Fragen daher besonders hilfreich und zielführend.

Unerwartete Fragen stellen Columbo-Fans kennen diesen Effekt nur zu gut. „Eine Frage noch …“ als sich der Verdächtige bereits in Sicherheit wog und sich unbeobachtet fühlte. Nur zu gut waren dann die Stresssignale zu erkennen. Der Schutzschild war gerade heruntergefahren, die Rückkehr des Inspektors und seine zusätzliche Frage kamen zu unerwartet.

Diese Technik ist leicht selber anzuwenden und vor allem bei Bewerbungsgesprächen sehr aufschlussreich. Ein unvermittelter Themenwechsel auch in den unverfänglichsten Situationen, eine vermeintlich unschuldige Frage nach der eigentlichen Verhandlung, all das kann höchst interessante Einblicke über die eigentliche Verfassung des Gegenübers geben. Der Schutzschild ist unten, Entspannung setzt ein – und die Antworten haben neue Aussagekraft.

Fazit

Die nun vorgestellten Vorgehensweisen sind einige Verhandlungstechniken, die sich gut als Ergänzung zu den gängigen Taktiken anbieten. Vor allem in heutigen Zeiten wird von Geschäftsführern und Managern erwartet, Gespräche und Verhandlungen auf Augenhöhe zu führen. Ein charismatisches Auftreten in Verbindung mit den oben aufgeführten „freundlichen Ansätzen“ erleichtert Verhandlungen, aus denen beide Parteien als (vermeintliche) Sieger herausgehen. Ihnen gemein ist, dass sie alle dem Gesprächspartner signalisieren: Ich bin interessiert an dir, ich möchte dich und deine Motivation kennenlernen. Sie sind auf eine Vermittlung von Wertschätzung aus. Wenn moderne Geschäftsführer die Fähigkeiten mitbringen, um „kind“ in die Verhandlungen zu starten und zur Not auf harte Bandagen umzusteigen, macht sie das in Verhandlungen nahezu unschlagbar.

Inés Hoelter

Inés Hoelter The Speech Coach arbeitet als Sprech- und Präsentationstrainerin in der DACH-Region und coacht seit vielen Jahren Führungs-kräfte auf C-Level aus dem Wirtschafts-, Pharma- und Politikbereich. In ihrer Trainingstätigkeit hat sie sich dem kongruenten Einsatz von Stimme, Sprache und Körpersignalen verschrieben, der ihren Klienten hilft, ihre Botschaften glaubwürdig und überzeugend zu vermitteln. Ihr zweites Fachbuch „Auf den Punkt und zwischen den Zeilen” erscheint Ende 2023 im Springer Verlag.

Weiteres zu Inés Hoelter auf: www.ines-hoelter.com

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