Umsatz und Gewinn bleiben hinter den Erwartungen zurück, weil Führungskräfte und Mitarbeiter immer wieder Verantwortung vermeiden, Entscheidungen auf die lange Bank schieben oder deren Umsetzung auf halbem Weg abbrechen. Wo liegen die Ursachen für solche Missstände? Und was kann ein Geschäftsführer tun, um sie zu beheben?
Unternehmertum – das hat nichts mit dem Status eines Eigentümers zu tun. Es ist die innere Haltung, mit der man im Idealfall jeden Tag zur Arbeit geht. Unternehmerisch zu denken und zu handeln, heißt nämlich, Verantwortung zu übernehmen und sich weder wegzuducken, wenn es unangenehm wird, noch auf andere zu zeigen, damit die den Job übernehmen. Unternehmerisches Denken bedeutet, Entscheidungen zeitnah zu treffen und sie nicht mit immer neuen Begründungen vor sich herzuschieben, nur weil man Sorge hat, möglicherweise die falsche Entscheidung zu treffen. Zudem gilt: Wie ein Unternehmer zu denken, heißt auch, die getroffenen Entscheidungen umzusetzen und nicht nach drei Monaten zu behaupten, der Alltag hätte einen eingeholt. Diese Entschuldigung wird gern gebraucht, aber sie bleibt, was sie schon immer war: eine Ausrede.
Unternehmertum steht also für eine Haltung und das entsprechende Handeln. Unternehmertum zu leben, bedeutet: verantworten, entscheiden, umsetzen. Damit wird auch deutlich, dass es hier nicht nur um ein „Mindset“ für die oberen Führungskräfte geht. Vielmehr sind das drei essenzielle Anforderungen an jede Person im Unternehmen. Sie betreffen den Geschäftsführer genauso wie die Reinigungskraft, die Bereichsleiterin ebenso wie den Mitarbeiter am Kundentresen.
Doch weshalb funktioniert das oft so schlecht? Weshalb gucken häufig viele zu Boden, wenn es gilt, eine neue oder unangenehme Aufgabe zu bewältigen? Wieso werden Entscheidungen oft erst auf den letzten Drücker getroffen? Und warum bleibt die Umsetzung immer wieder auf halbem Weg stecken? Es gibt einige Faktoren, die unternehmerischem Denken und Handeln das Wasser abgraben.
Käse unterm Teppich
Was geschieht, wenn man einen frischen Camembert aus dem Supermarkt unter den Teppich rollt? Erst einmal gar nichts. Da mag eine kleine Beule sein, vielleicht stolpert mal einer drüber, aber ansonsten: alles bestens. Genau das beschreibt die Situation, wenn in einem Unternehmen etwas anfängt schief zu laufen. Oberflächlich betrachtet ist alles in Ordnung. Keiner sagt etwas, zumindest nicht offen. Aber das Thema bzw. der Camembert beginnt zu reifen.
Die Wochen vergehen, es wird Sommer. Erst fängt das Problem – pardon: der Käse – an zu riechen. Je mehr Zeit aber vergeht, desto mehr stinkt es zum Himmel. Jetzt kann man als Geschäftsführer nicht mehr weggucken, denn alle warten darauf, dass endlich etwas geschieht. Das Dumme ist: Für „niederschwellige Maßnahmen“ ist es jetzt zu spät. Hätte man vor vielen Wochen den Käse noch einfach unter dem Teppich wieder herausholen können, muss jetzt der ganze Teppich entsorgt werden. Wäre das Problem vor vielen Wochen noch durch eine einfache Entscheidung leicht zu lösen gewesen, muss man jetzt einen radikalen Schnitt machen.
Ungelöste Konflikte, Spannungen zwischen Funktionsträgern oder ganzen Abteilungen, nicht getroffene Entscheidungen usw. – in manchen Unternehmen gibt es viele Camemberts unter dem Teppich. Je länger Führungskräfte in solchen Situationen wegschauen, je länger sie hoffen, das Problem würde sich schon von selbst lösen – umso mehr „stinkt es allen“ und umso weniger sind sie bereit, sich für ihre Firma unternehmerisch zu engagieren.
Wer das vermeiden will, sollte sich eines klar machen: Wenn ein Problem oder Konflikt frühzeitig angegangen wird, kann einfacher und schneller eine Lösung gefunden werden. Vor 2.000 Jahren soll der römische Philosoph Seneca das schon auf den Punkt gebracht haben: „Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht. Sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“
Die Kultur
Herbert Henzler, langjähriger Deutschlandchef von McKinsey, sagte in einem Interview einmal über sich selbst: „Schwächen zuzugeben ist sehr, sehr schwer. […] Das ist die Kultur! Dass man viele Menschen führt, und die wollen ja das Gefühl haben, dass die Führung weiß, wo es hingeht.“ Henzler machte also die Kultur des Unternehmens dafür verantwortlich, dass es ihm so schwerfällt, Schwächen zuzugeben.
Bei allem Respekt vor der großen Leistung dieses Managers – aber das ist schlichtweg Unsinn. Denn die Kultur eines Unternehmens ist absolut nichts, was feststehen würde, in Stein gemeißelt und unabänderlich. Die Kultur ist das, was jeden Tag und in jedem Meeting aufs Neue entsteht, nämlich durch das Verhalten der Beteiligten. Im Fall von Herbert Henzler heißt das: er selbst ist es, der durch sein Verhalten die Kultur überhaupt erst erschafft, der er dann vorgibt, ausgeliefert zu sein.
Als Geschäftsführer zu erkennen, dass absolut alles im Unternehmen von einem selbst abhängt, das mag im ersten Moment erschreckend und auch etwas schmerzhaft sein. Schließlich gibt es wohl in jedem Unternehmen Dinge, die nicht so laufen, wie sie sollen. Aber darin liegt auch die entscheidende Chance. Erkennt ein Geschäftsführer, dass in seiner Firma zu wenig Unternehmertum gelebt wird, dann sollte er sich nicht die Chance auf eine Änderung verbauen und die Kultur des Hauses dafür verantwortlich machen. Vielmehr sollte er sich fragen, was seine eigenen Anteile und Beiträge daran sind, dass es so ist, wie es ist. Das mag kurz schmerzen, schließlich heißt es ja, sich selbst schonungslos im Spiegel betrachten zu müssen. Aber ganz schnell erkennt man: Hier mit der Veränderung und Verbesserung der Kultur zu beginnen, ist nicht nur der einzig mögliche, es ist zugleich der machtvollste Ansatzpunkt überhaupt.
Wer als Geschäftsführer Unternehmertum fördern will, sollte darauf achten, dass kein Tagesgeschäft mehr über seinen Schreibtisch laufen muss, dass er auch andere Lösungen zulässt als seine eigenen, und dass er keine Rückdelegation mehr zulässt, egal mit welchen Begründungen die Mitarbeiter es versuchen.
Keine Lebendigkeit
Auch wenn sich durch den Generationswechsel langsam eine Änderung abzeichnen mag – in den meisten mittelständischen Unternehmen ist die Arbeit vor allem verbunden mit Pflichterfüllung, Disziplin und Anstrengung. Schließlich trägt man ja Verantwortung, will und muss Ergebnisse liefern. Dass es dabei auch zu Konflikten und Streitereien mit Kollegen oder anderen Abteilungen kommt, gehört vermeintlich dazu. Die meisten kennen es nicht anders. Doch ist das unvermeidbar? Muss das wirklich so sein?
Keine Frage: Der Druck von den Märkten, die großen wirtschaftlichen und politischen Krisen der Gegenwart, der Wandel in der Gesellschaft und bei den Arbeitnehmern – all das fordert die Geschäftsführer und ihre obersten Führungsteams gewaltig heraus. Es ist nicht einfacher geworden in den vergangenen Jahren. Doch gerade deswegen stellt sich die Frage: Woher soll die Power für unternehmerisches Denken und Handeln kommen?
Kraftstoff und Motor fürs Verantworten, Entscheiden und Umsetzen, können nur von den Menschen selbst kommen. Wollen sie als Führungskraft und Leistungsträger optimal ihre Funktion erfüllen, gilt es, die Ressourcen zu nutzen, die allen Menschen zur Verfügung stehen. Es gilt wieder neu zu lernen, aus der eigenen Kraft zu schöpfen und den Wert von Arbeit nicht nur darin zu bemessen, ob sie anstrengend ist. Es gilt sein Aufgabengebiet so zu gestalten, dass man dafür nicht nur „motiviert“ ist, sondern bei allem was man tut Spaß hat und nicht genug davon bekommen kann. Und am wichtigsten: Man muss versuchen, mit sich selbst sowie seinen Kollegen und Mitarbeitern wieder in Einklang zu kommen, auch wenn äußere Erwartungen aus verschiedenen Richtungen an einem zerren. Kraft und Spaß haben sowie im Einklang mit sich und dem Umfeld sein, das ist in der Summe ein äußerst motivierendes Lebensgefühl und der optimale Kraftstoff für unternehmerisches Denken und Handeln. Das beginnt bei den Führungskräften an der Spitze des Unternehmens – und zieht sich durch bis auf die Ebene der Mitarbeiter.
Johannes Schmeer
Leadership-Experte
www.johannes-schmeer.com