Qualitätssicherung in Unternehmen: Coaching und Check-up statt Firmenwagen?

„Wir müssen unsere Mitarbeiter individueller fördern, damit sie dauerhaft die gewünschte Leistung erbringen.“ Diese Erkenntnis hatten viele Organisationen in jüngerer Zeit. Das spiegelt sich zum Teil auch in ihren Vergütungssystemen wider.

„In den letzten ein, zwei Jahrzehnten hielten in der Privatwirtschaft aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen viele Verfahren Einzug, die ursprünglich im Non-Profit-Bereich zuhause waren“, sagt Claudia Christ. Hierzu zählt laut Aussagen der Organisationsberaterin und Teamentwicklerin die sogenannte Supervision. Sie habe sich in den letzten 50 Jahren im sozialpädagogischen und therapeutischen Bereich zu der Methode entwickelt „mit der die dort Arbeitenden ihr berufliches Handeln reflektieren und die Qualität ihrer Arbeit sichern“, erläutert die Diplom-Psychologin, die selbst auch als Supervisorin tätig ist.

Ziel: die Qualität der Arbeit sichern

Wie groß die Bedeutung der Supervision im Non-Profit-Bereich als Qualitätssicherungsinstrument ist, zeigt die Tatsache, dass in Stellenanzeigen für Sozialpädagogen, Familientherapeuten usw. oft explizit von den Bewerbern „die Bereitschaft zur Supervision“ gefordert wird. Doch nicht nur das, teilweise versuchen soziale Einrichtungen sogar, sich mit dem Hinweis, dass sie dem künftigen Stelleninhaber die Möglichkeit zur Supervision bieten, als attraktive Arbeitgeber zu profilieren.

Manche in der Privatwirtschaft tätige Manager mag dies befremden. In einigen Jahren könnte aber auch in den Stellenanzeigen von Wirtschaftsunternehmen statt dem Hinweis auf den „repräsentativen Firmenwagen“ stehen: „Wir bieten Ihnen die Möglichkeit zur Supervision“. Denn faktisch zähle diese schon heute zu ihrem „gängigen Personalführungs- und -entwicklungsrepertoire“, betont der Managementberater und coach Stefan Bald. Der einzige Unterschied: In ihnen werden die Supervisionen zumeist Coaching oder Teamcoaching genannt – vermutlich wegen der Vorbehalte, die oft noch gegenüber Non-Profit-Organisationen bestehen.

Das sieht auch der Organisationsberater Klaus Doll so. Er führt den Boom, den insbesondere das Teamcoaching in der Privatwirtschaft aktuell erlebt, u.a. auf ein verändertes Managementdenken zurück. Laut ihm wurden lange Zeit „Unternehmen weitgehend mit ihren Organigrammen gleichgesetzt bzw. den hierarchischen Strukturen, die diese widerspiegeln.“ Übersehen wurde ihm zufolge dabei, „dass sich die Energie von Unternehmen primär aus den Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen speist, die die Mitarbeitenden untereinander und das System Unternehmen mit seiner Außenwelt verbinden.“

Das Management- und Führungsverständnis ändern sich

Dies wurde inzwischen den meisten Unternehmensführern bewusst. Deshalb forcierten sie die Team- und Projektarbeit. Dadurch veränderte sich auch die Funktion der Führungskräfte. Es entwickelte sich zu einer ihrer Kernaufgaben, die Beziehungen

  • zu ihren Mitarbeitern,
  • zwischen ihren Mitarbeitern und
  • zu den anderen Unternehmensbereichen so zu gestalten, dass eine möglichst effektive Zusammenarbeit entsteht. Das fällt manchen Führungskräften noch schwer.

Eine Ursache hierfür ist laut Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), „dass viele Führungskräfte noch verinnerlicht haben, dass die meisten Unternehmen heute, auch aufgrund der zunehmenden digitalen Vernetzung, hochkomplexe soziale Beziehungssysteme sind, in denen fast alles miteinander verwoben ist und sich wechselseitig beeinflusst“.

In einem solchen Umfeld müssen die Führungskräfte auch neue Antworten auf die Fragen finden:

  • Wie ist meine Funktion in der Organisation?
  • Aus welchen Quellen speist sich meine Wirksamkeit?
  • Wie sollte ich die (Zusammen-)Arbeits- und Kommunikationsprozesse gestalten?
  • Wie stelle ich sicher, dass mein Bereich seinen Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele leistet?
  • Worüber bestimmt sich der Wert meiner Arbeit?

Auch das Menschenbild verändert sich

Vielen Führungskräften in der Privatwirtschaft fällt das Finden passender Antworten auf obige Fragen schwer. Das liegt laut Claudia Christ auch daran, dass sie ein anderes Menschenbild haben als die Personen, die im Sozialbereich arbeiten. Pädagogen, Therapeuten usw. erachten es als selbstverständlich, dass sich im Denken und Handeln jedes Menschen dessen Geschichte und soziales Umfeld widerspiegeln. Nicht wenigen Führungskräften in der Privatwirtschaft fehlt ein solches Menschenbild. Deshalb sind sie irritiert, wenn Personen auf dieselben Reize bzw. dasselbe Verhalten von ihnen unterschiedlich reagieren.

Hinzu kommt: Auch ihr eigenes Denken und Handeln begreifen sie oft nicht als das Resultat ihrer Geschichte und des sozialen Kontextes, in den sie eingebettet sind. Deshalb fällt es ihnen schwer, ihr Verhalten zu reflektieren. Ohne eine selbstkritische Reflexion nähmen sie aber auch „ihre blinden Flecken nicht wahr, die dazu führen, dass sie gewisse Herausforderungen stets nach demselben Muster lösen“, betont Stefan Bald. Folglich besteht für sie auch kein Anlass, nach neuen Lösungswegen zu suchen, um beispielsweise die Kommunikation mit ihren Mitarbeitern zu verbessern.

Coaching wird als Entwicklungsinstrument gesehen

Das haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb offerieren sie ihren Führungskräften die Möglichkeit, in einem Coaching alleine oder im Team ihr Verhalten zu reflektieren und nach zielorientierteren Lösungen zu suchen. Dieses Angebot werde von den Führungskräften „zunehmend genutzt“, konstatiert Barbara Liebermeister. Das liege auch daran, dass „das Coaching zunehmend nicht mehr als ein Instrument zum Beheben persönlicher Defizite, sondern als ein Förder- und Entwicklungsinstrument“ verstanden würde. Dieser Gesinnungswandel dokumentiert sich auch darin, dass Führungskräfte immer häufiger – speziell wenn sie vor neuen Herausforderungen stehen – ihren Arbeitgeber eigeninitiativ um die Unterstützung durch einen Coach bitten. Und sagt dieser hierzu nein, dann zahlen sie das Coaching zuweilen sogar aus eigener Tasche.

Das ist gehäuft der Fall, wenn Führungskräfte spüren, dass sie physisch oder psychisch an ihre Belastungsgrenzen stoßen – also ihnen beispielsweise ein Burnout droht. „Denn dass Führungskräfte sozusagen öffentlich artikulieren, dass sie sich teilweise überfordert fühlen, ist in vielen Unternehmen aufgrund von deren Führungskultur leider immer noch ein Tabu“, beklagt Doll.

Führungskräfte brauchen bei Selbstführung Unterstützung

Doch dieses Tabu scheint sich allmählich aufzulösen – auch dank solcher Ereignisse wie der Corona-Pandemie oder dem Ukraine-Krieg und ihren Folgen. Denn aufgrund dieser Krisen war die Belastung vieler Führungskräfte in den zurückliegenden Jahren so hoch, dass ihre Arbeitgeber erkannten: Wir müssen unseren Führungskräften auch eine Unterstützung im Bereich Selbstführung und -management, wozu auch die Gesundheitsvorsorge zählt, bieten. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass sie – mittelfristig im Extremfall einen Kollaps oder Burnout erleiden oder – sich nach einer Jobalternative umschauen, weil sie ihre Arbeitssituation zunehmend als Belastung für ihr Wohlbefinden empfinden.

Das spürt auch Michael Treixler, Geschäftsführer eines Präventionsanbieters, der in Königswinter bei Bonn und in Hamburg zwei Check-up-Zentren betreibt. Er registriert u.a., dass immer mehr Unternehmen ihren Führungskräften einen medizinischen Gesundheits-Check bezahlen. „Bei nicht wenigen Führungskräften zählt es heute schon zu den vertraglich vereinbarten Sozialleistungen, dass sie alle zwei, drei Jahre einen solchen Check-up auf Firmenkosten machen können“, berichtet der Geschäftsführer. Dies ist aus Sicht von Klaus Doll auch betriebswirtschaftlich sinnvoll: „Wenn eine Führungskraft beispielsweise wegen eines Burnouts ausfällt, fehlt sie in der Regel mindestens ein halbes Jahr und in dieser Zeit bleiben meist auch viele Vorhaben liegen“.

Unternehmen bezahlen vermehrt Gesundheitschecks

Deshalb steigt vermutlich auch die Nachfrage von Selbstständigen nach solchen Check-ups. Denn auch sie sind laut Treixler „in ihrem Betrieb oft unverzichtbar und haben einen sehr straffen Terminkalender“. Deshalb widerstrebt es ihnen, über einen Zeitraum von mehreren Wochen verteilt, Termine mit einem halben Dutzend Fachärzte zu vereinbaren, nur um ein umfassendes Feedback bezüglich ihrer Gesundheit zu erhalten. „Stattdessen suchen sie lieber ein Check-up-Zentrum auf, wo binnen eines Tages alle relevanten Untersuchungen durchgeführt werden und sie datenbasiert eine ärztliche Rückmeldung über ihre Gesundheitsrisiken sowie konkrete Handlungsempfehlungen erhalten“, führt der Geschäftsführer weiter aus.

Eine steigende Nachfrage nach Gesundheitsvorsorgemaßnahmen registriert Treixler aber nicht nur bezogen auf das Führungspersonal von Unternehmen. Auch die Nachfrage nach firmeninternen Screening-Aktionen sowie Gesundheitscoachings und -trainings für die gesamte Belegschaft steigt.

Den Mitarbeitern mehr als ein gutes Gehalt bieten

Darin sieht Stefan Bald keinen kurzfristigen Reflex der Unternehmen auf den u.a. corona-bedingt gestiegenen Stress in den zurückliegenden Jahren; er sieht hierin vielmehr einen langfristigen Trend zu einer höheren Wertschätzung der Mitarbeiter – „auch aufgrund des immer stärker spürbaren Fach- und Führungskräftemangels“. In seiner Folge setze sich in vielen Unternehmen die Erkenntnis durch: Wir müssen mehr als bisher tun, um das benötigte Fach- und Führungspersonal zu finden und an uns zu binden. Deshalb werben auch heute schon immer mehr Unternehmen für sich als Arbeitgeber damit, dass sie ihren Mitarbeitern Coachings für ihre fachliche und persönliche Entwicklung sowie Check-ups und gesundheitsfördernde Maßnahmen zur Bewahrung ihrer Leistungskraft offerieren.

Zur Person

Bernhard Kuntz

Buchautor und PR-Berater


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