Nachhaltigkeit im Personalbereich: HR ist Gestalter, nicht Verwalter

Die Wende zum nachhaltigen Unternehmen macht auch vor dem Mittelstand nicht halt. Mit der schrittweisen Einführung der im dritten Quartal 2022 in Kraft getretenen EU-Richtlinie „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) müssen zukünftig alle Unternehmen unabhängig von ihrer Größe ihre ökologischen und sozialen Kennzahlen transparent machen. Inwiefern Human Resources (HR) eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der Nachhaltigkeitstransformation spielt, erläutert Regina Karoline Schüller, Interim-Managerin und Business-Coach, im Interview.

Wo stehen mittelständische Unternehmen beim Thema ESG?

Regina Karoline Schüller: Meiner Erfahrung nach ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung in vielen mittelständischen Unternehmen noch nicht voll integriert. Viele verbinden mit ESG „nur“ die ökologische Nachhaltigkeit. Dass – neben dem „Environmental“ – dem „Social“ und dem „Governance“ eine ebenso große Bedeutung zukommen, wird häufig unterschätzt. Bei der strategischen Unternehmensausrichtung gibt es daher einen großen Nachholbedarf. Eine aktuelle Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC, bei der rund 160 mittelständische Unternehmen befragt wurden, kam zum Ergebnis, dass Nachhaltigkeit oft von dringenderen Themen, z.B. den immens gestiegenen Energiekosten, überlagert und auch nicht strategisch angegangen wird. Es wird höchste Zeit, das Thema ESG mit dem Fokus auf alle drei Teilbereiche in der Unternehmensstrategie ganzheitlich zu verankern. Nur so können Unternehmen langfristig erfolgreich im Wettbewerb agieren.

Welche Rolle hat HR?

HR spielt eine zentrale Rolle als Gestalter der Transformation. Denn die Nachhaltigkeitsberichte müssen künftig auch Angaben zur sozialen Verantwortung des Unternehmens enthalten. Unter anderem muss HR auf die Einhaltung zentraler Arbeitsgesetze achten und für ein gesundes und sicheres Arbeitsumfeld sorgen. Auch Informationen zu Arbeitsbedingungen und zu Tarifverhandlungen müssen transparenter gemacht werden. Nachzuweisen ist darüber hinaus der Umgang mit den Beschäftigten. Hierbei spielen z.B. Themen der fairen Entlohnung zwischen Männern und Frauen eine ebenso bedeutende Rolle wie das Thema Diversity in Bezug auf Alter und Geschlechtervielfalt. Wichtig sind auch gerechte Aus- und Weiterbildungschancen und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben mit beispielsweise Teilzeitangeboten für junge Eltern. Die mit diesen Themen verbundenen Unternehmenswerte und -kulturen stehen für eine moderne Personalarbeit. Werden sie erfolgreich umgesetzt, wirkt sich das entscheidend auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter und damit den Erfolg des Unternehmens aus.

Die HR-Strategie muss auf die Unternehmensstrategie einzahlen?

Ja genau. Die HR-Strategie muss so einen sichtbaren Beitrag zur Unternehmensstrategie leisten. Dann ist sie erfolgreich. Dazu braucht es Konzepte für eine vorausschauende und nachhaltige Personalarbeit, die sich an den Bedürfnissen und Motiven der Mitarbeiter orientiert. Der demografische Wandel erfordert, dass gesunde und sichere Arbeitsbedingungen auch insbesondere für ältere Mitarbeiter geschaffen werden. Dazu gehören Konzepte für flexibles und reduziertes Arbeiten – wie etwa Altersteilzeit – und für altersgemischte Teams, z.B. Tandem-Modelle, die den Wissenstransfer fördern. Neben Trainings zur Förderung der fachlichen und sozialen Kompetenz sind auch Angebote zur Erhaltung der Gesundheit, wie u.a. Betriebssport und gesundes Essen, wichtige Elemente der sozialen Nachhaltigkeit. HR sollte darüber hinaus auch den funktions- und abteilungsübergreifenden Austausch fördern, damit wichtige Unternehmensziele wie z.B. das Lieferantenmanagement mit nachhaltiger Lieferkette oder die Vermeidung von Plastik- und Einweggeschirr im Betrieb von den Mitarbeitern verstanden und umgesetzt werden. Die Liste der Beispiele kann unendlich weitergeführt werden. Ziel der HR-Strategie ist, Mitarbeiter erfolgreich zu rekrutieren, zu binden, weiterzuentwickeln, aber auch abzubauen.

Wie kann HR den Teilbereich Governance gestalten?

Ein wichtiges Thema ist Compliance, bei dem die Personalabteilung eine Gestaltungs- und Kontrollfunktion hat. Es gilt, Richtlinien und Prozesse einzuführen, z.B. zum Umgang mit der privaten Nutzung eines Dienstwagens oder der Annahme von Geschenken. Die Kommunikation und Kontrolle zur Einhaltung dieser Richtlinien obliegt auch HR. Beim Thema Governance kommt es außerdem darauf an, nachhaltige Prozesse aufzusetzen, also beispielsweise ein gutes Onboarding sicherzustellen, damit neue Mitarbeiter einen guten Start im Unternehmen haben und diesem nicht schon nach wenigen Tagen den Rücken kehren. Auch bei der Präsenz auf Karrieremessen oder der Gestaltung von Stellenausschreibungen kommt es darauf an, sich als nachhaltiger und damit attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Wenn ein Unternehmen ISO-zertifiziert ist und/oder ein Qualitätssiegel als familienfreundlicher Arbeitgeber erworben hat, wird es von den Arbeitssuchenden in puncto Nachhaltigkeit als glaubwürdig wahrgenommen. Gerade jüngere Bewerber achten bei der Wahl des zukünftigen Arbeitgebers darauf, ob dieser ethisch wirtschaftet und wie glaubwürdig und transparent er es nachweisen kann. Das belegen zahlreiche Studien.

Bei welchen Prozessen sollten Personalverantwortliche noch unterstützen?

Governance beinhaltet auch den Umgang der Führungskräfte mit den Mitarbeitern. HR sollte Prozesse zur Stärkung der Führungskräfte aufsetzen. Warum? Führungskräfte müssen als gute Vorbilder vorangehen. Viele haben aufgrund ihrer Fachkompetenz die Karrierestufe einer leitenden Position erreicht. Doch Führung bedeutet auch, mit Mitarbeitern bedürfnisorientiert und situativ angemessen umzugehen sowie sie zu fördern – auch mit konstruktiver Kritik. Das erfordert eine ausgeprägte soziale Kompetenz. Um die Führungsqualität zu ermitteln und weiterzuentwickeln, eignen sich Mitarbeiterbefragungen und 360-Grad-Beurteilungssysteme. Darauf aufbauend können Personalverantwortliche je nach Bedarf Formate wie Coaching, kollegiale Beratung oder Mentoring-Programme, aber auch Mediation zur Weiterentwicklung der Führungskräfte gestalten.

Welchen Einfluss hat HR auf die Führungsqualität?

Einen großen Einfluss. Grundsätzlich fällt der Umgang mit einem Fehlverhalten in den Bereich Governance. Kommen bei einer Mitarbeiterbefragung z.B. Führungsschwächen durch Beschwerden ans Licht, sollten Personaler den Konflikt nicht scheuen und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten. Lässt man das Problem stattdessen laufen und unterbindet das toxische Führungsverhalten nicht, kann das verheerende Auswirkungen auf das Arbeitsklima haben und zu einem Rückgang der Arbeitsmoral und der Produktivität des gesamten Unternehmens führen. Verstehen sich Personalverantwortliche stattdessen als Gestalter der Unternehmenskultur, leben deren Umsetzung konsequent und setzen sich für ein respektvolles Miteinander ein, sind wichtige Weichen gestellt, um ESG umzusetzen. Hier zählt es, den Worten Taten folgen zu lassen.

Sozialverantwortung bedeutet auch gesellschaftliches Engagement?

Ja richtig. Viele Unternehmen legen Wert darauf, ESG zu leben, indem sie sich an sozialen Projekten beteiligen und dabei ihre Beschäftigten einbinden. Auf die Unternehmenskultur hat es einen äußerst positiven Einfluss, wenn Mitarbeiter etwas bewirken und sich für sinnvolle Projekte engagieren können, bei denen sie Spuren hinterlassen. Möglichkeiten für ein gesellschaftliches Engagement gibt es viele: Zum Beispiel als Team überschüssige Lebensmittel an armutsbetroffene Menschen bei der gemeinnützigen Tafel zu verteilen, Bäume für das Klima zu pflanzen oder Mahlzeiten und Decken für Obdachlose zu organisieren.

Wie können Führungskräfte und Personalverantwortliche an einem Strang ziehen?

Wichtig ist, die Mitarbeiter miteinzubeziehen. Die Entscheidung, für welche Projekte sich ein Unternehmen engagieren will, darf nicht allein auf der Chefetage getroffen werden. Auch die Mitarbeiter sollten ein Mitspracherecht bei der Projektauswahl haben. Führungskräfte sollten das Interesse ihrer Mitarbeiter erkennen und dann im Team entscheiden, welches Projekt sinnvoll ist. Im Idealfall schweißt das Projekt das Team zusammen und stärkt die Teamkultur. Ist Corporate Social Responsibility ein wichtiger Teil der Unternehmensstrategie, kann HR geeignete Projekte identifizieren und bei der Projektdurchführung beratend zur Seite stehen. Auch sollte ein Modell entwickelt werden, mit dem Mitarbeiter freigestellt werden können und das geleistete Engagement durch Freizeit kompensiert werden kann. Mit ihrem Engagement im sozialen Bereich machen Unternehmen deutlich, dass sie der Gesellschaft etwas zurückgeben wollen. Auch machen sie als Unternehmen auf sich aufmerksam und punkten bei Mitarbeitern und Bewerbern, aber auch in der Öffentlichkeit.

Ein sozialverantwortlicher Arbeitgeber schafft also Präsenz auf dem Bewerbermarkt?

Ja, und das ist in diesen Zeiten ein unschätzbarer Wert! Den Personalverantwortlichen kommt bei der Nachhaltigkeitstransformation eine bedeutende Rolle zu. Sie setzen das S in ESG und tragen so zur Schaffung einer Kultur bei, in der aktuelle und zukünftige Mitarbeiter gerne arbeiten und das Unternehmen voranbringen wollen. Die Personalabteilung gestaltet die unternehmenspolitische Ausrichtung, die Zielsetzung und das soziale Engagement der Beschäftigten. Daher müssen Personalleiter einen Platz am ESG-Tisch haben, denn sie vertreten die Mitarbeiter – und damit das größte Kapital eines Unternehmens oder einer Organisation.

Das Interview führte Annette Neumann, freie Journalistin aus Berlin.

Zur Person

Bild von Regina Karoline Schüller

Regina Karoline Schüller

Regina Karoline Schüller hat als Interim-Managerin – derzeit als Director Frankfurt Office des International Sustainable Standard Boards (ISSB) – und Business-Coach vom Frankfurter „Ihr Coaching Institut“ langjährige Erfahrung gesammelt, wie HR-Abteilungen zu einer erfolgreichen nachhaltigen Transformation ihres Unternehmens beitragen können. Mehr unter: www.ihrcoachinginstitut.de.

E-Mail: schueller@regain-partners.de


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