Veränderungsbereitschaft und Adaptionsvermögen sind Kernkompetenzen der Zukunft. Zeitnahes Feedback ist dafür ein Muss. Nur in einer Kultur, in der jeder seine Meinung in alle Richtungen äußern darf, kann wirklich Großes gelingen.
Die Firmenkultur ist entscheidend
Vorstandsbeschluss: „Wir machen das jetzt wie bei Netflix.“ Bei Netflix gibt man sich Feedback nicht nur immer, überall und sofort, sondern auch im Rahmen spezieller Feedback-Dinner mit dem kompletten Team. Dabei gibt jeder jedem am Tisch – also auch dem Chef – ein Live-Feedback nach dem Muster: Fangen Sie an, hören Sie auf, fahren Sie fort. Ein Viertel positive Aussagen zu drei Vierteln Entwicklungsanregungen in Form von offenen, ehrlichen und spezifischen Hinweisen sind üblich. Allgemeinplätze, unangebrachte Bemerkungen, Höflichkeitsfloskeln und Einschmeicheleien sind dabei tabu.
Sollte sich jemand im Ton vergreifen, bekommt er augenblicklich Feedback zum Feedback: „Hey, das ist nicht hilfreich.“ Bei Netflix funktioniert all das gut, weil die Firmenkultur darauf ausgerichtet ist, mit einer hohen Talentdichte Spitzenleistungen zu erzielen, ohne die Mitarbeiter zu steuern und zu kontrollieren. Bei absoluter Transparenz bietet man ihnen dort einen Rahmen, in dem sie selbstorganisiert arbeiten, eigenverantwortlich handeln und dezentral entscheiden. Das macht das Unternehmen schnell, flexibel, erfolgreich – und hochinnovativ.
Sicher gehen einige Netflixer mit Herzklopfen zu diesen Abendessen. Feedback kann schmerzlich sein. Top-Talente wissen aber auch: Lob ist Balsam für die Seele, doch noch wertvoller sind Hinweise, die einem helfen, immer besser zu werden. Zudem wird man beim Streaming-Anbieter an die hohe Kunst eines guten Feedbacks Schritt für Schritt herangeführt. Dort gibt es Schulungsprogramme, in denen die Mitarbeiter lernen und üben, Feedback respektvoll zu geben und wertschätzend anzunehmen.
Bei besagter Firma hingegen, immer noch machthierarchisch aufgestellt, gab es all das nicht. Zwar fiel es den Ranghohen leicht, Feedback „nach unten“ auszuteilen. Doch schon untereinander wurde es schwierig. Niemand will es sich ja mit seinen Kollegen verscherzen. Und von unten nach oben? Das klappte gar nicht. Keiner gibt seinem Chef knallhartes Feedback, wenn sein Fortkommen von dessen Wohlwollen abhängig ist. „Schwindelabend“ wurden die Veranstaltungen intern genannt. So musste dieser Copycat-Vorstoß zwangsläufig scheitern. Man kann nicht einfach etwas von anderswo übernehmen, weil es dort funktioniert. Es muss zur eigenen Firmenwelt passen.
So macht man Feedback annehmbar
Hochleistungssituationen entstehen dort, wo sich Menschen entschließen, voneinander und miteinander zu lernen, indem sie aktiv um Feedback bitten, Feedback respektvoll geben und dankbar annehmen. Solche Talente machen sich gegenseitig besser, sodass die Leistungsfähigkeit aller wächst. Es entsteht eine Kultur der Selbstverantwortung, die höchste Performance ermöglicht. So erschaffen Mitarbeiter bessere Lösungen und ziehen damit bessere Kunden an. Zudem steigt die Attraktivität für weitere Top-Talente, wodurch sich die Talentdichte erhöht – und die Innovationskraft zunehmend steigt.
Gutes Feedback kann aber nur dann wirksam werden, wenn es annehmbar ist. Deshalb beginnt der Feedback-Prozess am besten mit einer Frage, etwa so: „Bist du offen für einen Hinweis?“ Beim Feedbackgeben gilt darüber hinaus:
- Das Feedback-Ziel ist Unterstützung: Der Geber muss mit dem Feedback positive Absichten verfolgen. Bösartige Rückmeldungen, die absichtlich verletzen, beleidigen oder herabsetzen sollen, sind nicht erlaubt. Das Selbstwertgefühl einer Person muss intakt bleiben, damit sie das Feedback annehmen kann. Deshalb sind respektvolle Worte, die die Sicht des Gegenübers sachte erweitern, überaus wichtig. Auch eine Begründung ist hilfreich: „Ich gebe dir diese Rückmeldung, weil ich besorgt bin, dass …“ Das Ganze soll die Person und damit auch die Firma weiterbringen.
- Im Mittelpunkt steht der praktische Nutzen: Ein gelungenes Feedback ist konstruktiv und konkret. Es muss sich auf die Dinge konzentrieren, die der Empfänger tatsächlich ändern kann. Es stützt sich auf Beobachtungen, nennt also niemals Vermutungen. Der Sachverhalt wird aus der Eigensicht heraus geschildert („Mir ist aufgefallen, dass …“ oder „Ich erlebe es so, dass …“). Zudem sollen die Auswirkungen beleuchtet werden („Das hat dazu geführt, dass …“). Womöglich spricht man eine Verhaltensalternative an („Was ich mir vorstellen könnte …“). Nachdem alles gesagt ist, fragt man zum Schluss: „Du nimmst mir auch wirklich nicht übel, dass ich so offen zu dir war?“ Niemand wird hier Nein sagen können – und alles ist gut.
Übrigens: Nichts ist schlimmer als eine oberlehrerhafte Belehrung oder jemand, der ständig herausstellt, um wie viel besser er es selbst gemacht hätte. Vielmehr gilt: Wer im Zuge solcher Gespräche niemanden abkanzelt und entwürdigt, sondern wohlwollend und achtsam den Blick seines Gesprächspartners nach vorne richtet, fördert nicht nur dessen Selbstachtung, sondern auch Änderungsbereitschaft und Akzeptanz.
Auch positives Feedback ist wichtig
Unmittelbares Feedback gibt Orientierung. Deshalb gilt: Feedback sofort! Dann kann es auch direkt seine Wirkung entfalten. Im unternehmerischen Alltag ist dies elementar – und für die Internet-Generation längst selbstverständlich. Jedes „Like“ in den sozialen Medien ist wie ein virtuelles Schulterklopfen. Auch bei Online-Spielen wird man für vollbrachte Leistungen postwendend belohnt: mit Fortschrittsbalken, Status-Upgrades usw. Das macht süchtig nach mehr, denn Menschen verstärken Verhalten, für das sie eine positive Rückmeldung erhalten.
„Instant Feedback“ kann jeder geben. Dazu braucht es keine offizielle Feedback-App, wie man sie jetzt in immer mehr Unternehmen findet. Wenn etwas formal vorgegeben wird, wirkt das immer erzwungen. Ein kleiner persönlicher Dank via Whats-App & Co., ein handgeschriebenes Post-it mit Lob auf dem Kanban-Board oder ein Daumenhoch-Schild während des Online-Meetings, so etwas wirkt oft sehr viel besser.
Wir brauchen die Resonanz anderer Menschen, um ein Gefühl für die eigene Identität zu bekommen. Deshalb ist auch positives Feedback elementar. Es sorgt als Verstärker dafür, dass ein erwünschtes Verhalten fortgesetzt wird. Bekommen wir keines, fangen wir an, herumzueiern, probieren mal dieses, mal jenes, um doch noch eine Reaktion zu ergattern. Anstrengungen müssen lohnenswert sein, sonst schaltet unser Gehirn den Energiesparmodus ein. Wer keine Anerkennung ausdrücken und nicht wertschätzend loben kann, wird feststellen, dass es in seinem Umfeld bald nichts mehr zu loben gibt.
Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint-Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint-Institut bildet zertifizierte Touchpoint-Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.
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