Seit der Verabschiedung des sogenannten Flexigesetzes im Jahr 1998 können Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeiten in einem besonderen Wertguthaben (Zeitwertkonto) ansammeln und zu einem späteren Zeitpunkt zur kurz-, mittel- oder langfristigen Freistellung von der Arbeit einsetzen. Das Gesetz schreibt zu diesem Zweck eine obligatorische Insolvenzsicherung des Guthabens vor, damit dem Arbeitnehmer im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers zumindest die angesparten Beträge zur Verfügung stehen (§ 7e SGB IV, sogenannte Zeitwertkontengarantie).
Ob diese im Sozialrecht verankerte Garantie auch aus lohnsteuerlicher Sicht zu beachten ist, hatte das Finanzgericht Thüringen in einem Urteil vom 25.11.2021 zu entscheiden.
Im Urteilsfall hatte die K-GmbH im Einvernehmen mit ihren Mitarbeitern Gehaltsteile nicht ausgezahlt, sondern auf Zeitwertkonten eingezahlt. Der Prüfer vertrat bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung die Auffassung, dass die Wertgutschriften steuerrechtlich nur dann keinen Zufluss von Arbeitslohn auslösen, wenn im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtlichen Regelungen zum Zeitpunkt der planmäßigen Inanspruchnahme des Guthabens mindestens ein Rückfluss der Beträge gewährleistet sei (Zeitwertkontengarantie). Das Finanzamt ging daher von einem Zufluss des Arbeitslohns aus, setzte Lohnsteuer fest und nahm die K-GmbH wegen nicht einbehaltener und abgeführter Lohnsteuer durch Lohnsteuer-Haftungsbescheide in Anspruch.
Das Finanzgericht hielt die Klage der K-GmbH für begründet. Nach der ständigen BFH-Rechtsprechung fließt Arbeitslohn erst mit Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zu (Barauszahlung oder Überweisung auf ein Konto des Empfängers). Allerdings kann auch bei einer Gutschrift in den Büchern des Arbeitgebers ein Zufluss angenommen werden, wenn damit zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verfügung steht.
Wird der Arbeitslohn nicht an den Arbeitnehmer ausgezahlt, sondern auf dessen Weisung anderweitig verwendet, so liegt eine Abkürzung des Zahlungswegs vor, die als Lohnverwendungsabrede einen Zufluss bewirkt. Ein Zufluss von Arbeitslohn ist letztlich dann zu bejahen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen einen Dritten verschafft. Da bei der Gutschrift auf einem Zeitwertkonto im Streitfall keiner dieser Fälle gegeben ist, liegt nach Auffassung des Finanzgerichts kein Zufluss von Arbeitslohn vor.
Die Finanzverwaltung hat sich mit BMF-Schreiben vom 17.6.2009 auf die Regelungen im Sozialrecht berufen. Fehlt es an der sogenannten Zeitwertkontengarantie, geht die Finanzverwaltung bei entsprechender Zuführung zu einem Zeitwertkonto von einem Zufluss von Arbeitslohn bereits im Zuführungszeitpunkt aus. Das Finanzgericht sieht für diese Regelung keine nachvollziehbare Begründung; ebenso wenig ergebe sich eine Begründung aus der BFH-Rechtsprechung.
Da die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen wurde, bleibt abzuwarten, ob der BFH der Auffassung des Finanzgerichts folgt.