GmbH-Geschäftsführer müssen ihr Gehalt sowie die variablen Vergütungsbestandteile wie z.B. eine Tantieme in dem Jahr versteuern, in dem ihnen die Vergütung zugeflossen ist. Hat der Geschäftsführer zugleich aufgrund seiner Mehrheitsbeteiligung an der GmbH eine beherrschende Gesellschafterstellung, gelten Vergütungsbestandteile bereits dann als zugeflossen, wenn der Geschäftsführer wirtschaftlich darüber verfügen kann. Dies ist regelmäßig im Zeitpunkt der Fälligkeit der Fall – auch dann, wenn die Vergütung noch nicht zugeflossen ist. Der Zufluss wird vom Fiskus und der Rechtsprechung einfach fingiert. Aber es gibt Wege, wie diese Zuflussfiktion vermieden werden kann.
Die gesetzliche Regelung des Zuflusses
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) sind Einnahmen in dem Kalenderjahr zu versteuern, in dem sie den Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Dies gilt u.a. für alle Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit. Voraussetzung für den Zufluss ist, dass der Steuerpflichtige über die bezogenen Einnahmen wirtschaftlich verfügen kann. Für welchen Zeitraum die Einnahmen gezahlt werden, ist ohne Bedeutung. Da sich der Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht allein nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet, kann der Zufluss grundsätzlich nicht fingiert werden (BFH, Urteil vom 28. April 2020, Az. VI R 44/17).
Die Zuflussfiktion für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer
Vom gesetzlich normierten Zuflussprinzip macht der BFH – ohne gesetzliche Grundlage – eine Ausnahme, wenn es sich um beherrschende Gesellschafter einer GmbH handelt. Von einer beherrschenden Stellung eines Gesellschafters ist im Regelfall auszugehen, wenn dieser die Mehrheit der Stimmrechte besitzt und deshalb bei Gesellschafterversammlungen entscheidenden Einfluss ausüben kann. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er über mehr als 50 Prozent der Stimmrechte verfügt.
Verfügt ein Gesellschafter über 50 Prozent oder weniger der Stimmrechte, kann er dennoch einem beherrschenden Gesellschafter gleichgestellt werden, wenn er mit anderen gleichgerichtete Interessen verfolgenden Gesellschaftern zusammenwirkt, um eine ihren Gesellschafterinteressen entsprechende Willensbildung herbeizuführen (BFH, Beschluss vom 29. Juli 2009, Az. I B 12/09).
Beispiel:
A und B sind mit jeweils 40 Prozent an einer GmbH beteiligt und zugleich Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Im Januar 2022 beschließen sie eine Anhebung ihrer Geschäftsführergehälter um zehn Prozent.
Die Lösung sieht wie folgt aus: Trotz Minderheitsbeteiligung haben beide Gesellschafter im Hinblick auf die Gehaltsanhebung eine beherrschende Stellung. Es gilt für sie das Sondersteuerrecht, das die Rechtsprechung für beherrschende Gesellschafter entwickelt hat, wenn sie Vertragsbeziehungen mit ihrer Gesellschaft eingehen oder diese abändern wollen, u.a. das Rückwirkungsverbot und das Durchführungsgebot.
Zu diesem Sondersteuerrecht gehört auch die Zuflussfiktion für Tantiemen an beherrschende Gesellschafter.
Bei einem beherrschenden Gesellschafter kann ein Zufluss von Einnahmen auch ohne vorangegangene Zahlung oder Gutschrift vorliegen. So fließt dem beherrschenden Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen „seine GmbH“ bereits mit deren Fälligkeit zu. Fällig wird z.B. der Anspruch auf eine Tantieme grundsätzlich mit der Feststellung des Jahresabschlusses (BFH, Urteil vom 12. Juli 2021, Az. I R 3/19). Denn der beherrschende Gesellschafter hat es kraft seiner Stellung in der GmbH in der Hand, sich die Tantieme auszahlen zu lassen.
Der BFH rechtfertigt die Zuflussfiktion damit, dass es dem beherrschenden Gesellschafter nicht überlassen bleiben dürfe, den Gewinn der Gesellschaft um Vergütungen zu seinen Gunsten zu kürzen, ohne diese als Einkünfte versteuern zu müssen. Mit dieser ausschließlich fiskalische Interessen verfolgenden Fiktion weicht der BFH von der gesetzlichen Regelung ab und konstruiert für den Kreis der beherrschenden Gesellschafter einer GmbH einen eigenen Zuflussbegriff. Damit verletzt er die verfassungsmäßige Gewaltenteilung wie auch das Gebot, dass die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz).
Zufluss einer Tantieme
Tantiemen gehören zu den sonstigen Bezügen. Für diese regelt das Gesetz eindeutig, dass sie erst dann zu versteuern sind, wenn sie dem Arbeitnehmer zufließen (§ 38a Abs. 1 Satz 1 EStG). Eine abweichende Regelung, etwa eine Zuflussfiktion für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer, sieht das Gesetz nicht vor.
Soweit im Dienstvertrag mit einem Fremd-Geschäftsführer eine Tantieme und der Termin ihrer Fälligkeit vertraglich geregelt sind, kommt die Gesellschaft nicht umhin, die Tantieme vertragsgemäß auszuzahlen. Für einen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer und damit für einen Unternehmer gilt eine abweichende Interessenlage. Wenn er sich im Einzelfall entschließt, die ihm zustehende Tantieme nicht auszuzahlen, wird es dafür in aller Regel betriebliche Gründe geben.
Der Ausweis einer Tantieme in der Bilanz in Form einer Rückstellung bedeutet nicht, dass der entsprechende Betrag in der Kasse der GmbH zur Ausschüttung am nächsten Tag – so die Annahme der Zuflussfiktion – zur Verfügung steht. Bei einer hohen Gewinntantieme kommt die Gesellschaft häufig nicht umhin, einen Kredit aufzunehmen, um sich die nötige Liquidität für die Auszahlung der Tantieme zu besorgen – und dies möglicherweise zum Kontokorrentzins von 13 Prozent. Oder aber die Gesellschaft wartet auf Geheiß des Gesellschafter-Geschäftsführers mit der Auszahlung solange, bis sie als Folge weiterer Umsätze über diese Liquidität verfügt. Das kann im Einzelfall bis ins neue Jahr dauern.
Doch in diesem Fall kommt nach ständiger BFH-Rechtsprechung bereits die Zuflussfiktion zur Anwendung: Der Geschäftsführer wird dadurch „bestraft“, dass er die Tantieme versteuern muss, obwohl ihm der Betrag nicht zugeflossen ist.
Abweichende Zuflusszeitpunkte
Die Zuflussfiktion kommt nicht zur Anwendung, wenn die Satzung oder der Dienstvertrag des Geschäftsführers einen Zeitpunkt für die Auszahlung der Tantieme vorsieht.
Beispiel:
Die Tantieme ist drei Monate nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung zur Zahlung fällig.
Bei einer solchen Terminierung wird die GmbH hinreichend Zeit für die Ansammlung der für die Auszahlung benötigten Liquidität haben.
Kein Zufluss ohne Feststellung des Jahresabschlusses
Nach § 42a Abs. 2 GmbH-Gesetz haben die Gesellschafter einer kleinen GmbH im Sinne von § 267 Abs. 1 Handelsgesetzbuch spätestens elf Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres über die Feststellung des Jahresabschlusses zu beschließen. Auch die verspätete Feststellung des Jahresabschlusses führt nicht zur Vorverlegung der Fälligkeit und damit des Tantiemezuflusses (BFH, Urteil vom 28. April 2020, Az. VI R 44/17). Denn erst die Feststellung des Jahresabschlusses hat das Entstehen einer Verbindlichkeit – bzw. die Begründung eines fälligen Anspruchs des Gesellschafters – zur Folge. Das gilt selbst dann, wenn die Feststellung des Jahresabschlusses nicht fristgerecht erfolgt ist. Der noch nicht existente Jahresabschluss kann keine fiktive Fälligkeit auslösen.
Keine Zuflussfiktion ohne Verbuchung der Tantieme
In einem Urteil vom 30. Juni 2022 (Az. 12 K 58/20) hat das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg einen weiteren Weg aufgezeigt, wie die Zuflussfiktion ausgehebelt werden kann.
Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten, ob mit dem Kläger vertraglich vereinbarte, jedoch nicht ausgezahlte Tantiemen als zugeflossen anzusehen sind. A (Kläger) ist beherrschender Gesellschafter und Geschäftsführer der A-GmbH. Der Geschäftsführervertrag bestimmt, dass er für seine Tätigkeit ein monatliches Bruttogehalt erhält. Darüber hinaus erhält er eine Tantieme in Höhe von 20 Prozent des Jahresgewinns der Gesellschaft, welche einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung auszuzahlen ist.
In den Streitjahren wurden die Tantiemen dem Kläger nicht ausgezahlt. Eine Passivierung durch die GmbH erfolgte ebenfalls nicht.
Bei einer Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer eine Tantieme zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung als zugeflossen gelte. Es sei dabei nicht entscheidend, ob eine Auszahlung tatsächlich erfolgt sei, da es der Gesellschafter-Geschäftsführer selbst in der Hand habe, sich die Tantieme auszahlen zu lassen.
Das Urteil: Die Klage des A hatte Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich das FG anschließt, tritt der Zufluss mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ein. Bei beherrschenden Gesellschafter- Geschäftsführern kann ein Zufluss von Einnahmen allerdings auch ohne Zahlung oder Gutschrift bereits früher vorliegen. Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft dem sie beherrschenden Gesellschafter schuldet und die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft (z.B. in Form einer Tantiemerückstellung) ausgewirkt haben. Gemessen an diesen Grundsätzen liegt bei Würdigung der Gesamtumstände des Sachverhalts kein Zufluss von Arbeitslohn in Form von Tantiemen vor.
Das Urteil des FG Baden-Württemberg steht auf Antrag des beteiligten Finanzamts gegenwärtig beim BFH zur Revision an (BFH-Az. VI R 20/22).
Vermeidungsstrategien
Nach Auswertung der Rechtsprechung zur Zuflussfiktion stehen der GmbH bzw. ihren Gesellschaftern folgende Wege offen, um die Fiktion zu vermeiden:
- Die Feststellung des Jahresabschlusses wird solange hinausgezögert, bis die vereinbarte Gewinntantieme problemlos ausgezahlt werden kann.
- Im Dienstvertrag des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers wird ein konkreter Auszahlungstermin – z.B. drei Monate nach Feststellung des Jahresabschlusses festgelegt, bis zu dem die nötige Liquidität angesammelt werden kann.
- Sollte der BFH das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 30. Juni 2022 bestätigen, kann die Zuflussfiktion umgangen werden, indem eine Tantieme weder als Aufwand gebucht noch an den Geschäftsführer ausgezahlt wird.
Der Autor Dr. Hagen Prühs ist Schriftleiter der monatlichen Zeitschrift GmbH-Steuerpraxis. Zudem ist er seit 2005 Herausgeber und Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins gmbhchef.