Erhält ein Unternehmen unverzinsliche Darlehen mit unbestimmter Laufzeit, so gibt es immer wieder Unverständnis darüber warum diese Darlehen mit 5,5 Prozent gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG abzuzinsen sind, zumal die Zinsen auf dem Kreditmarkt seit langem wesentlich niedriger liegen und die Verzinsung von Steuernachforderungen bzw. -erstattungen gemäß § 238 Abgabenordnung (AO) vor einiger Zeit für verfassungswidrig erklärt wurde.
Beispiel:
Unternehmer U betreibt einen Autohandel. In seiner auf den Schluss des Streitjahres 2016 erstellten Bilanz wies er zwei Darlehensverbindlichkeiten, die bereits seit ca. 20 Jahren bestanden, zum Nennwert aus. Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte das Finanzamt zu der Erkenntnis, dass es sich hierbei um unverzinsliche Darlehen mit unbestimmter Laufzeit handele, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG mit einem Rechnungszinsfuß von 5,5 Prozent abzuzinsen und entsprechend niedriger zu bewerten seien. Den Differenzbetrag erfasste es gewinnerhöhend.
Hiergegen wandte U ein, dass der Zinssatz von 5,5 Prozent wegen der seit mehreren Jahren andauernden Nullzinsphase verfassungswidrig sei.
Das Finanzgericht Münster hat mit Urteil vom 22.7.2021 bei einer solchen Fallkonstellation entschieden, dass gegen den Abzinsungssatz von 5,5 Prozent für unverzinsliche Darlehensverbindlichkeiten für das Jahr 2016 keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen und hat die Klage abgewiesen.
Das Gebot der Abzinsung von Verbindlichkeiten beruhe auf der typisierenden Vorstellung, dass eine erst in der Zukunft zu erfüllende Verpflichtung den Schuldner weniger belaste als eine sofortige Leistungspflicht. Dieser Minderaufwand wurde kapitalisiert und als Ertrag vorweggenommen, während gegenläufig aufgrund der sich stetig verkürzenden Restlaufzeit ein Aufzinsungsaufwand entstehe, bis der Rückzahlungszeitpunkt erreicht sei. Die Abzinsung bewirke daher im Ergebnis lediglich eine temporäre Gewinnverschiebung. Die bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zinssatzhöhe nach § 238 AO seien nicht auf den Abzinsungssatz nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG übertragbar.