Umgang mit Emotionen bei der Unternehmensnachfolge: Bedürfnisse wahrnehmen, Konflikte lösen

Wenn ein gut ausgebildeter Nachfolger den Betrieb der Eltern übernehmen soll, sind Konflikte oft unausweichlich. Denn er hat mitunter andere Vorstellungen davon, wie er das Unternehmen weiterführen will. Worauf es bei der internen Nachfolge ankommt und wie der Betriebsübergang harmonisch gestaltet werden kann.

Oft denken mittelständische Inhaber zu spät darüber nach, wer ihr Nachfolger werden soll. Dabei ist die Position an der Spitze einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für ein gelingendes Geschäft. Eine familieninterne Nachfolge ist ein zeitintensiver Veränderungs- und Entwicklungsprozess, der frühzeitig und strukturiert geplant werden muss. In der Vorbereitungsphase gilt es, sich damit auseinanderzusetzen, wer in der Familie die Nachfolge antreten kann und welche Erwartungen und Bedürfnisse die- oder derjenige hat. Häufig tun sich Kinder schwer, ihren Eltern eine Absage zu erteilen, wenn diese ihr ganzes Glück darin sehen, dass der Betrieb in Familienhand bleibt. Wichtig ist daher, dem Nachfolger genügend Zeit für die Entscheidung zu geben, ob sie oder er die Nachfolge antreten will oder nicht.

Der richtige Umgang mit Differenzen

Eine Unternehmensübergabe ohne Konflikte stellt eine Ausnahme dar. Wenngleich der Übergeber und der Nachfolger die Differenzen in der Regel als lästig und anstrengend empfinden, haben sie dennoch einen Sinn: Sie unterstützen die beiden, sich schrittweise anzunähern. Im Nachhinein werden sie deshalb oft als hilfreich für die Entwicklung angesehen. Vordergründig geht es um Differenzen in Sachfragen, auf der Beziehungsebene hingegen geht es um (Entscheidungs-)Macht. Besonders bei der internen Übernahme gilt es, das bisherige Rollenverständnis, nach dem immer der Chef entscheidet, zu überwinden und einen angemessenen Weg zu finden, Differenzen anzusprechen und produktiv mit Konflikten umzugehen.

Allerdings wird der erwachsene Nachfolger oft mit dem Problem konfrontiert, dass der Elternteil und Firmeninhaber sowohl privat als auch im Betrieb die Richtung vorgeben will. Doch in der Firma sollten die Entscheidungen und Prozesse der Unternehmenslogik und nicht der Familienlogik folgen. Die Entscheidungskompetenzen sollten entsprechend der jeweiligen Expertise verteilt werden. Das Problem: Dem Nachfolger fällt es oft schwer, die eigenen Interessen zu vertreten oder Missstände anzusprechen, z.B. aus Angst zu verletzen oder verletzt zu werden. Dem Firmeninhaber gelingt es in der Unternehmerrolle dagegen oft nicht, gegenüber dem Sohn oder der Tochter eigene Zweifel zu äußern, ob er oder sie den Betrieb erfolgreich weiterführen kann. Das ist deutlich herausfordernder als in Verhandlungen mit Externen Klartext zu sprechen und ggf. Forderungen zu stellen. Hinzu kommt, dass dem Alt-Unternehmer der Abschied von seinem Lebenswerk oft schwerfällt. Das kann dazu führen, dass er noch im fortgeschrittenen Alter als Senior die wesentlichen Entscheidungen treffen möchte. Dadurch verwehrt er aber dem Junior die Entwicklung eines eigenen Stils und verhindert womöglich eine zeitgemäße Weiterentwicklung des Unternehmens.

Übergangszeit klar regeln

Grundsätzlich treten Ängste und Unsicherheiten in jedem Veränderungsprozess auf und beeinflussen das Verhalten der Beteiligten wesentlich. Machen die Betroffenen sich diese Gefühle nicht bewusst, sprechen sie nicht darüber und lassen sich unbewusst von den Gefühlen steuern, dann verlängern sie womöglich die in jedem Nachfolgeprozess auftretenden Differenzen. Gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen können den Konflikt zusätzlich verschärfen. Um einen guten Übergabeprozess zu gestalten, ist es wichtig, dem Nachfolger Vertrauen entgegenzubringen und ihn frühzeitig in alle Prozesse einzubeziehen. Die Haltung „Ich habe ein Unternehmen“ statt „Ich bin das Unternehmen“ entfaltet eine positive Wirkung im Nachfolgeprozess und stärkt den Vertrauensaufbau. Die Übergabe an den Nachfolger kann unterschiedlich gestaltet werden: Entweder gibt der Senior zum Tag X das Geschäft an seinen Nachfolger ab, oder beide sind für eine zeitlich begrenzte Übergangszeit gemeinsam in der Geschäftsführung. Eine Tandem-Lösung kann nur funktionieren, wenn klar vorab geregelt wird, wer welche Verantwortungsbereiche übernimmt und diese auch vereinbarungsgemäß gelebt werden. Auch sollte festgelegt werden, wie lange die Übergangslösung bestehen soll. Gegenseitige Wertschätzung und absolutes Vertrauen sind notwendig für die Kooperation in einem solchen Konstrukt.

Eine Aufgabenverteilung bei einem Handwerksunternehmen sah folgendermaßen aus: Der Junior übernahm die Personalführung und den Vertrieb, wofür er sich zuvor in Seminaren fit gemacht hatte, und der Senior kümmerte sich um den Einkauf und die Logistik. Für die Akzeptanz der neuen Rollen durch die Beteiligten ist es erforderlich, dass sich diese bewusst gemacht werden. Hier setzt der lösungsorientierte Coachingprozess an. Mithilfe von systemischen Fragen kann ein externer Coach eine Brücke zwischen den Beteiligten schlagen, z.B.: Warum ist es wichtig, als Senior die Vaterrolle hintenanzustellen und dem Sohn oder der Tochter als gleichwertiger Geschäftspartner auf Augenhöhe zu begegnen? Was braucht es, damit beide ihre Rolle gut ausfüllen können? Ein Coaching unterstützt dabei, alte Muster aufzugeben, Autonomie im Denken und Handeln zuzulassen und neue Verhaltensweisen zu lernen. Auch gilt es, Kommunikations- und Feedback-Regeln aufzustellen. Statt vorwurfsvollen „Du-Appellen“ sollte Feedback in der Ich-Perspektive formuliert werden, z.B. in folgender Weise: „Ich hatte den Eindruck, dass du im Umgang mit den Mitarbeitern noch unsicher bist.“ Ich-Botschaften erleichtern es u.a., ehrlich und frei von Ängsten miteinander zu sprechen und gemeinsam Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten. Eine weitere Regel ist, Feedback nicht als persönliche Kränkung oder Maßregelung zu betrachten, sondern im Nachgang lieber zu überdenken, inwieweit die Kritik berechtigt war und was man davon annehmen möchte und was nicht.

Transparent nach innen und außen

Auch Gefühle wie Ärger oder Unsicherheiten können bearbeitet werden. Unangenehme Gefühle sind nicht negativ, denn sie sind Ausdruck eines bestimmten Bedürfnisses. Der Junior legt beispielsweise auf die klare Abgrenzung der Verantwortungsbereiche und Aufgaben Wert, weil er als neuer Chef von den Mitarbeitern ernst genommen werden möchte. Auch möchte er neue Ideen einbringen und umsetzen. Als Vertreter der jungen Generation hat er womöglich auch ein stärkeres Bedürfnis nach einer gesunden Work-Life-Balance. Dann sollte er oder sie den Mut haben, das gegenüber seinem Vater zu äußern und kein schlechtes Gewissen haben, wenn er künftig statt einer 7-Tage-Woche im Betrieb auch Zeit für Familie und Privatleben einplanen möchte.

Hinter dem Bedürfnis des Seniors, das Geschäft so zu führen, wie er es immer gemacht hat, steckt oft die Angst, dass seine traditionelle Arbeitsweise keinen Wert mehr hat, und er nach seinem Ausscheiden auf dem „Abstellgleis“ landet. Indem diese Ängste im Coaching thematisiert werden und Übergeber und Nachfolger jeweils ihre Wünsche äußern können, finden sie selbst passende Antworten für ihre Probleme. So erkennt der Senior beispielsweise, dass er sich schrittweise zurückziehen muss, damit der Junior seinen eigenen Weg gehen kann und darf und nicht als „Abziehbild des Vorgängers“ den Betrieb führen muss. Das erfordert, dass sowohl gegenüber den Mitarbeitern als auch den Kunden transparent kommuniziert werden muss, wer wofür ab sofort zuständig ist. Auch die Sorge um die eigene Identität und der Wunsch, sinnstiftende Aufgaben für die Zeit danach zu entwickeln, können thematisiert werden.

Lösungsorientierte Fragen des Coachs und die Methode, Verhalten zu spiegeln, tragen dazu bei, dass beide Parteien über ihre Sorgen sprechen und folglich besser aufeinander zugehen können. Indem sie ihre Wünsche offen äußern, können sie sich bei kritischen Themen einig werden und neue Themen proaktiv angehen. Gibt es z.B. Widerstände einzelner Mitarbeiter, sich auf den neuen Chef oder die neue Chefin einzustellen, sollten Senior und Junior in einem Dreier-Gespräch deutlich machen, dass der Senior das Unternehmen verlassen wird. Der Junior bekommt im Mitarbeitergespräch die Gelegenheit, Vertrauen und eine Bindung zu dem betroffenen Mitarbeiter aufzubauen. Hier kann er systemische Fragen stellen, die er im Coaching gelernt hat: Was brauchst Du von mir, damit wir gut zusammenarbeiten können? Welche Weiterbildung können wir anbieten, damit Du Dich schnell in neue Prozesse einarbeiten kannst? Solche Mitarbeitergespräche können als Rollenspiel im Coaching geübt werden.

Fazit

Damit der Nachfolgeprozess gelingt, gilt es, eine Balance zu finden zwischen Erneuern und Bewahren, zwischen Innovation und Altbewährtem, ohne sich und die Mitarbeiter zu überfordern. Transparenz, offene Kommunikation sowie Klarheit in den alten und neuen Rollen tragen von Anfang an zum Gelingen bei. Auch neue Strukturen und Routinen sollten rasch etabliert werden. Auch wichtig: Der Wissenstransfer sollte frühzeitig geplant werden. Das erfordert eine Bereitschaft des Übergebers, sein Wissen mit dem Nachfolger zu teilen.

Beate Remus

Dipl.-Ingenieurin Beate Remus ist Organisationsberaterin und systemischer Coach. Als ausgebildete Mediatorin und zertifizierte Transaktionsanalytikerin begleitet sie Führungskräfte und Teams auch in herausfordernden Konfliktsituationen.

Kontakt: info@remus-consulting.de

Weitere Informationen unter: www.remus-consulting.de

Vorheriger Artikel

Mit Influencern die eigene Marke stärken und Verkäufe ankurbeln

Nächster Artikel

Warum Unternehmen mehr als nur Headhunter und Obstkörbe brauchen

You might be interested in …