Die Geschichte der Titanic ist nicht nur eine der persönlichen Schicksale. Sie bietet auch Erkenntnisse für Organisationsentwicklung und Unternehmenskommunikation.
Bis heute fasziniert die Geschichte der Titantic Menschen weltweit – befeuert nicht zuletzt durch den gleichnamigen Hollywoodfilm. Die Katastrophe steht symbolisch für den Rückschlag gegen den menschlichen Fortschritt, verursacht durch Hybris, Fehleinschätzungen, Versäumnisse – und kommunikative Fehler. Wer die Titanic-Ausstellung in Köln aus unternehmerischer Perspektive betrachtet, kann daraus wertvolle Impulse für das eigene Geschäft ziehen. Denn: Manche Lehren aus der Katastrophe sind immer noch – oder wieder – hochaktuell.
Flexible Ziele setzen
Anfang des 20. Jahrhunderts war die Begeisterung für den technischen Fortschritt – Flugzeug, Film, Radio – ähnlich groß wie heute für die Künstliche Intelligenz (KI). Gleichzeitig sorgten Auswanderungswellen in die USA für einen starken Wettbewerb im transatlantischen Passagierhandel. Die Reederei White Star Line wollte mit der Titanic, diesem Schiff der Superlative, für weltweite mediale Aufmerksamkeit sorgen. Es sollte ein PR-Coup werden: Ausstattung, Timing, Technik – alles sollte perfekt sein. Wir kennen die Folgen: Um den gesetzten Zeitplan zu halten und das gesamte Leistungsspektrum des Schiffs eindrucksvoll zu demonstrieren, wurde auf genaueste Sicherheitsprüfungen verzichtet und auf See mit zu hoher Geschwindigkeit geprotzt.
Übertragen auf heute heißt das: Bei der Einführung von Neuerungen wie IT, KI oder auch Prozessen in Unternehmen sollten ursprünglich gesetzte Timings nicht um jeden Preis verfolgt werden. Auch das Tempo darf in Anfangsphasen gedrosselt werde. Und PRCoup hin oder her: Bei der Markteinführung eigener Produkte richtet ein verschobener Launch weniger Imageschaden an als hohe Sicherheitsrisiken.
Äußere Einflüsse einschätzen
Hätte es im Vorfeld der Jungfernfahrt nicht einige ungewöhnliche Zufälle gegeben, wäre die Titanic selbst mit überhöhter Geschwindigkeit wohl sicher im Zielhafen angekommen. Doch 1912 trieb eine veränderte Meeresströmung den schicksalhaften Eisberg auf einer ungewohnten Route in den Atlantik. Zudem kam es zu einer Bauverzögerung, weil ein anderes Schiff repariert werden musste. Die Titanic lag dadurch derart hinter dem Zeitplan, dass sie noch am Abend ihrer Probefahrt zu ihrer Jungfernfahrt aufbrach. Beim Ablegen in Southampton erzeugte sie dann eine so starke Bugwelle, dass beinahe ein kleineres Schiff gerammt worden wäre.
Das Zusammenspiel dieser unvorhersehbaren Ereignisse führte schließlich zur Kollision mit dem Eisberg – ausgerechnet an jenem Ort, zu jenem Zeitpunkt. Eine Verkettung kleiner Ursachen mit dramatischer Wirkung.
Das Risiko unvorhergesehener Entwicklungen ist umso höher, je stärker sich ein Unternehmen auf „So-war-das-schonimmer, so-haben-wir-das-immer-gemacht“ verlässt. Im Falle der Titanic kamen Selbstüberschätzung und Ignoranz gegenüber äußeren Einflüssen hinzu. Heute wissen wir zwar, dass Wandel allgegenwärtig ist, verlassen uns aber darauf, dass dennoch alles irgendwie gut gehen wird. Gehandelt wird erst, wenn es nicht mehr anders geht – ob bei Lieferketten, Klimaschutz oder Personal. Die Lehre lautet wohl, Wandel und Unwägbarkeiten nicht zu unterschätzen und jeden noch so unwahrscheinlichen Einflussfaktor ernst zu nehmen.
Sorgfältige Mitarbeiterführung
In Personalfragen gilt besondere Sorgfalt. Im Falle der Titanic sind On- und Off-Boarding sogar wortwörtlich zu nehmen. Die Titanic wurde dem dienstältesten Kapitän der Gesellschaft anvertraut, der für seine Präzision bekannt war. Kurz vor der Fahrt wurde ein neuer Offizier zu seiner Unterstützung an Bord geholt, was dazu führte, dass andere Offiziere in ihrer Funktion zurückgestuft werden mussten. Einem besonders erfahrenen Offizier war das nicht zuzumuten; er wurde kurzerhand vom Dienst ausgeschlossen. Vermutlich kam das für ihn unerwartet. Aus welchen Gründen auch immer: Er nahm beim Verlassen des Schiffs den Schlüssel zum Schrank mit den Ferngläsern mit. Die sollten später gebraucht werden.
Hinzu kommt: Die hochmoderne Funkzentrale wurde extern besetzt – mit Mitarbeitern der Marconi Wireless Telegraph Company. Das System war revolutionär, ermöglichte erstmals Kommunikation zwischen Schiff und Land. Doch die Funker waren primär damit beschäftigt, private Nachrichten der Passagiere zu versenden – laut Ausstellungstext gegen Provision. Einige Eisbergwarnungen anderer Schiffe erreichten so nie den Kapitän. Erst als dieser selbst den Funkraum betrat, änderten sich die Prioritäten.
Die Lehre daraus: Mitarbeiter brauchen eine präzise Einweisung. Was sind ihre Aufgaben? Welche Rolle spielen sie im Gesamtsystem? Was hat Priorität? Klare Wenndann- Beschreibungen helfen, damit alle im richtigen Moment das Richtige tun. Ebenso wichtig: ein strukturiertes, respektvolles Off-Boarding.
Klare interne Kommunikation ist ein zentraler Erfolgsfaktor – gerade in kritischen Phasen. Wenn Kundeninteressen uneingeschränkt priorisiert werden, kann das die Organisation destabilisieren.
Zuverlässige Informationsprozesse
Die falsch interpretierten Anweisungen an die Funker waren die Ausnahme im ansonsten präzisen Kommunikationssystem an Bord. Üblich war eine klare Befehlskette: von der Brücke direkt per Telegraf an Maschinenraum, Kesselraum und Steuerrad. Alle funktionsrelevanten Einheiten erhielten zeitgleich die gleichen Informationen und konnten unmittelbar reagieren.
Heute nennt man das nicht mehr „Befehlskette“, doch in vielen inhaber- oder familiengeführten Unternehmen wird Kommunikation weiterhin top-down gedacht – oft jedoch ohne klar definierte Abläufe. Die Folge: Informationslücken, Missverständnisse und Unmut, besonders in Veränderungssituationen, die schnelles Handeln erfordern.
Eine unternehmensinterne Kommunikationsmatrix kann helfen: Wer bekommt wann welche Information und über welchen Kanal? Klare Kommunikationswege sichern die Handlungsfähigkeit auch in akuten Krisen.
Apropos: Die Krisenkommunikation der Titanic-Reederei bestand darin, bis zur Ankunft des Rettungsschiffs Carpathia in New York keinerlei Informationen an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Erst dann wurde das wahre Ausmaß der Katastrophe bekannt.
Innovationen im Schattendasein
Viele innovative Ideen der Titanic-Macher gingen im Glanz des Luxus und im Schatten der Katastrophe unter. Eine der wichtigsten Neuerung war, dass es für die Passagiere der dritten Klasse erstmals richtige Speisesäle gab, in denen frische Speisen an Tischen mit Tischdecken und Besteck serviert wurden. Zuvor waren einfache Mahlzeiten auf der Koje Standard.
Geniale Werbeidee: Die White Star Line stellte jedem Dritte-Klasse-Passagier gedruckte Speisekarten zur Verfügung, die gleichzeitig Postkarten waren. Damit hätte jeder Passagier, der die Neue Welt erreichte, bei den Daheimgebliebenen für eine Überfahrt mit der White Star Line werben sollen.
Was sich daraus auf heute übertragen lässt? Nicht jede Innovation muss technisch komplex oder spektakulär sein. Oft machen einfache Ideen den größten Unterschied im Alltag der Menschen.

Meike Sturat berät seit 25 Jahren Unternehmen in PR, Kommunikation und Change Management. Als Kommunikations-Coach und Workshop-Trainerin unterstützt sie Teams und Unternehmen bei der Gestaltung einer lebendigen Kommunikationskultur. Kostenlose Kurzberatungen zu konkreten Kommunikationsfragen können per E-Mail vereinbart werden.
Kontakt: m.sturat@sturat-kommunikation.de
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