BFH, Urteil vom 10. Oktoker 2024, Az. IV R 1/22
Zur Antragstellung für steuerfreie Sanierungsgewinne als rückwirkendes Ereignis
(BFH, Urteil vom 10. Oktoker 2024, Az. IV R 1/22)
– Der Fall und das Urteil:
An der Klägerin in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG sind die A-GmbH als Komplementärin ohne Beteiligung am Vermögen und Frau S als alleinige Kommanditistin mit einem Anteil am Vermögen von 100 Prozent beteiligt. Am 4. April 2011 traf die Klägerin als Schuldnerin mit der V-Bank als Gläubigerin eine Vereinbarung über den Verzicht auf eine Darlehensforderung zum 31. Dezember 2010 in Höhe von 300.000 Euro gegen Besserungsschein.
Im Anschluss an Anträge auf Anwendung des für verfassungswidrig erklärten Sanierungserlasses stellte die Klägerin nach der Einführung des § 3a Einkommensteuergesetz (EStG) und § 7b Gewerbesteuergesetz (GewStG) im November 2019 Anträge auf Anwendung der Neuregelung auf die Sanierungsgewinne gemäß § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG. Das Finanzamt lehnte die Steuerfreistellung ab, da die reguläre Feststellungs- bzw. Festsetzungsfrist für eine Feststellung nach § 3a Abs. 4 EStG und eine Änderung des Bescheids über den jeweiligen Gewerbesteuermessbetrag bereits abgelaufen war. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit dem Argument, die Antragstellungen seien als rückwirkende Ereignisse im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) zu werten, sodass der Lauf der Feststellungs- bzw. Festsetzungsfristen mit der jeweiligen Antragstellung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AO neu begonnen habe. Streitig war, ob der Antrag in einem solchen „Altfall“ als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO zum erneuten Anlaufen der Festsetzungsfrist führt. Nach erfolglosen Einspruchsverfahren wies auch das Finanzgericht die Klage ab. Vor dem Bundesfinanzhof (BFH) hatte die Klägerin jedoch Erfolg.
– Die Konsequenzen:
Für Sanierungsgewinne gewährte die Finanzverwaltung in der Vergangenheit auf der Grundlage des „Sanierungserlasses“ eine Steuerfreiheit aus Billigkeitsgründen (BMF-Schreiben vom 27. März 2003, Az. IV A 6 – S 2140 – 8/03). Diese Vorgehensweise wurde vom BFH wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verworfen (BFH, Beschluss vom 28. November 2016, Az. GrS 1/15). Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber die gesetzlichen Vorschriften des § 3a EStG sowie des § 7b GewStG geschaffen, um dem Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) zu genügen. Für die Neuregelungen wurde eine rückwirkende Geltung auf den 9. Februar 2017 – ein Tag nach der Veröffentlichung des Beschlusses des Großen Senats – vorgesehen. Für „Altfälle“, in denen der Steuererlass bis zum 8. Februar 2017 ausgesprochen oder in denen bis dahin eine verbindliche Auskunft erteilt wurde, sollte der „Sanierungserlass“ aus Vertrauensschutzgründen weiterhin Anwendung finden (BMF-Schreiben vom 27. April 2017, Az. IV C 6 – S 2140/13/10003). Allerdings trat auch dem der BFH mit mehreren Entscheidungen entgegen, weil auch diese Vorgehensweise nicht mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung vereinbar war (BFH, Urteil vom 23. August 2017, Az. I R 52/14 mit weiteren Nachweisen).
Der BFH ordnet die Antragstellung als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ein. Zwar ist die rückwirkende Änderung eines Gesetzes kein rückwirkendes Ereignis; der Antrag auf rückwirkende Anwendung der §§ 3a EStG und 7b GewStG kann aber als rückwirkendes Ereignis angesehen werden und zum erneuten Anlauf der Festsetzungsfrist gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AO führen, weil eine solche Antragstellung nicht nur Verfahrenshandlung oder rein formelle Voraussetzung für die Berücksichtigung eines steuerlich relevanten Sachverhalts ist, sondern selbst Merkmal des gesetzlichen Tatbestands. Dies ist vorliegend der Fall, da die Antragstellung nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG bewirkt, dass ein Sanierungsertrag auch in „Altfällen“ steuerfrei ist. Dabei begründet der BFH seine Entscheidung damit, dass andernfalls die beiden Vorschriften ins Leere laufen würden, die Qualifizierung als rückwirkendes Ereignis die gesetzgeberische Intention einer Gleichbehandlung von „Alt- und Neufällen“ stärkt und dem Steuerpflichtigen so in „Altfällen“ ausreichende Rechtssicherheit und die Eröffnung des Rechtswegs gewährleistet wird.
Hinweis: Die Regelungen der §§ 3a und 52 Abs. 4a Satz 3 EStG bzw. §§ 7b und 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG bilden einen einheitlichen Gesamttatbestand, bei dessen Erfüllung ein vom Steuerpflichtigen erzielter Sanierungsertrag zwingend freizustellen ist. Der Antrag wirkt unmittelbar rechtsgestaltend und nachträglich auf die Steuerschuld ein; rechtsgestaltend, weil er die einkommensteuerrechtliche bzw. gewerbesteuerliche Qualifikation des Sanierungsertrags verändert; nachträglich, weil er der Entstehung des Sanierungsertrags notwendigerweise zeitlich nachfolgt. Die Frage, ob für „Altfälle“ ein zeitlich unbefristetes Antragsrecht auf Anwendung der §§ 3a EStG und 7b GewStG besteht oder im Einzelfall ein unabhängiger Beginn der vierjährigen Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2018 greift, da die Vorschriften für das Antragsrecht im Jahr 2018 in Kraft getreten sind, hat der BFH offengelassen, da diese Problematik im Urteilsfall keine entscheidungserhebliche Rolle spielte. Im Urteilsfall war – unabhängig von der Beantwortung der offenen Frage – unstreitig noch keine Verjährung eingetreten.
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