Innovationen sind der Umsatz von übermorgen. Sie sind die einzige Möglichkeit, langfristig am Markt zu bestehen. Und man muss frühzeitig mit Innovationen beginnen, um sie startklar in der Pipeline zu haben, wenn die alten Lösungen es nicht mehr bringen. Start-ups können dabei zu wichtigen Helfern werden.
Längst gibt es einen Boom von Technologieparks und Innovationszentren in vielen Teilen des Landes, wo sich der Mittelstand mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und Start-ups zusammentut. In vielen Unternehmen fehlt es vor allem an nötiger Digitalkompetenz. Dies wurde oft zu spät erkannt. So wird digitales Wissen und Können, das kurzfristig verfügbar sein muss, in hohem Maße über Externe zugekauft.
Vielfach scheitern Innovationen auch an internen Hürden. Da sind zum einen die Hausjuristen, die allerlei rechtliche Bedenken haben. Noch destruktiver ist das sogenannte Not-invented-here-Syndrom (NIH-Syndrom), das gern die Mitarbeiter aus Forschung & Entwicklung befällt. Dies führt dann dazu, dass Ideen und Lösungen von außerhalb abgelehnt werden, „weil die keine Ahnung haben, wie das bei uns läuft.“ Schon allein deshalb könnten sie gewiss nicht zu besseren Ergebnissen kommen.
Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Betriebsblindheit und allerlei menschentypische Wahrnehmungs-verzerrungen schränken den eigenen Horizont ein. Leute von draußen hingegen können unbedarft, offen und aus anderen Perspektiven heraus an eine Problemstellung gehen. Wer seine Wachstumschancen umfänglich vergrößern will, benötigt eine Wissenscommunity weit über die Grenzen des Unternehmens hinaus.
Der Mehrwert, den Start-ups einbringen können
Nehmen wir ein Beispiel aus der Baubranche, die neben „grünen“ auch zunehmend digitale Lösungen braucht. Ich unterhalte mich mit Oliver, dem geschäftsführenden Gründer des ConTech-Start-ups Specter Automation. „Bis 2020 hatte ich keinerlei Bezug zum Baugewerbe, abgesehen von der Tatsache, dass mein Opa gelernter Maurer war“, erzählt er gutgelaunt. „Dies war zugleich meine Chance, die Branche von außen kennenzulernen, deren Prozesse zu durchdringen, aber eben auch zu hinterfragen.“
Was ist denn der größte Nutzen, den die Kunden bei euch haben, frage ich ihn. Oliver wird ernst: „Je nach Statistik liegen etwa 60 bis 80 Prozent aller Bauprojekte über dem Zeit- und Kostenrahmen. Ein wesent-licher Grund dafür ist die mangelnde Transparenz auf der Baustelle, sodass Abweichungen oftmals zu spät erkannt werden und eine Verkettung von kleinen Fehlern im Endeffekt zu großen Diskrepanzen führt. Mit unseren Software-Lösungen brechen wir diese Blackbox der bis dato analogen Baustelle auf und ersetzen Stift, Papier und Bauchgefühl durch digitale Prozesse und Daten. Dies erzeugt Planbarkeit und gibt allen Beteiligten die Sicherheit, ihre Bauprojekte im Zeit- und Kostenrahmen zu halten. Zudem machen wir den Leuten auf der Baustelle mithilfe der Prozessautomatisierung das Leben sehr viel einfacher und erlösen sie von monotonen Organisationsarbeiten.“
Wieso sind eure Kunden denn nicht selbst auf die Idee gekommen, das so zu machen, will ich noch wissen. „Das traditionelle Bauunternehmen unterscheidet sich grundlegend von einem Technologie-Startup, nicht nur was Ressourcen, sondern auch, was Prozesse angeht. Wer analog arbeitet, hat keine Data-Scientists in der Firma. Bei uns arbeiten vor allem junge Softwareentwickler, die zudem keine Angst davor haben, zu scheitern. So können wir mit einer Geschwindigkeit Software in den Markt bringen, die in der Industrie vermutlich mehrere Jahre benötigt hätte. Disruptive Innovationen brauchen den externen Blick, um Prozesse grundlegend hinterfragen und verändern zu können. Gleichzeitig sind wir mit der Sicht auf verschiedene Unternehmen in der Lage, zu generalisieren. Als junges Unternehmen, das mit Investoren fremdfinanziert ist, haben wir zudem einen extrem hohen Innovationsdruck, der schnelles Wachstum verlangt, um am Markt zu überleben. Das kommt letztlich den Kunden zugute.“
Was man von erfolgreichen Startups lernen kann
Specter ist eines von unzähligen Beispielen, das zeigt: Start-ups sind in der Future Economy überaus wichtig. Klassische Unternehmen sind auf Effizienz ausgelegt, Start-ups auf Innovation. Sie sind äußerst wendig und erstaunlich schnell. Immer mehr werden sie zu Hoffnungsträgern für Organisationen, die sich selbst mit dem Innovieren irgendwie schwertun. Natürlich ist nicht jedes Start-up der Hit. Doch insgesamt können innovative Jungunternehmen der traditionellen Wirtschaft so einiges zeigen. Eine Zusammen-arbeit macht häufig richtig viel Sinn. Man kann erfolgreicher werden, agiles Start-up- Feeling ins eigene Unternehmen tragen und eine Menge von ihnen lernen.
Die Architektur innovativer Start-ups ist geprägt von Offenheit. Gearbeitet wird vernetzt und auf Augenhöhe. Crowdsourcing und Open-Innovation sind üblich. Die Orte der Arbeit sind meist minimalistisch und sehr funktional. Sie formen die Grundlage für Kollaboration, Konnektivität und eine Arbeit am Wesentlichen. Die Prozesse sind stets hochflexibel und laufen sehr zügig ab. Das Credo ist Kundenzentrierung. Dies erfordert, dass die Prototypisierung beim Kunden beginnt – und nicht in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Dieses Vorgehen sorgt dafür, den Kunden zu verstehen, um so Angebote zu erstellen, die dessen Bedürfnisse perfekt bedienen.
Die Kultur innovativer Start-ups basiert auf Teilhabe und ständiger Weiterentwicklung. Sie hassen Bürokratie und denken von Anfang an digital. Permanentes Feedback und eine ausgeprägte Fehler-lernkultur sind selbstverständlich. Neupositionierungen erfolgen, wenn nötig, sehr zügig, um den Anschluss nie zu verpassen. Das kann heutzutage ja rasch passieren. Eine der größten Ängste eines erfolgreichen Start-ups ist die, von einem noch schnelleren, innovativeren Start-up überholt zu werden.
Kooperationen mit Start-ups: oft eine gute Idee
Zum Glück betrachten immer mehr Unternehmen Start-ups nicht länger als Gegner, sondern als wichtige Helfer auf ihrem Weg in die Zukunft. Oft bieten sich Kooperationen geradezu an. Diese können einem einmaligen Projektzweck dienen – oder auf Langfristigkeit ausgelegt sein. Dazu müssen die Beteiligten die Ziele und individuellen Arbeitsweisen der jeweils anderen Seite verstehen. Start-ups benötigen von etablierten Unternehmen strukturelles Knowhow, den Zugriff auf Ressourcen und den Zugang zu einem bestehenden Kundenkreis. Die Etablierten können von der Agilität, dem Pioniergeist, dem Einfalls-reichtum und den neuartigen Vorgehensweisen der Start-ups profitieren, Innovationen beschleunigen sowie Zugang zu digitalem und „grünem“ Knowhow gewinnen. Die eigenen Kompetenzen mit dem Können guter Start-ups zu koppeln, macht Wettbewerbssprünge dann sehr wahrscheinlich.
Was klassische Unternehmen von erfolgreichen Start-ups lernen können:
- Vom Kunden her denken: Raus auf die Straße, Nutzer beim Anwenden beobachten, mit potenziellen Kunden ausgiebig reden, diese beim Innovieren von Anfang an involvieren, das ist in Start-ups eine Basisdevise. Wer etwa eine App für junge Zielgruppen entwickelt, geht in ein Café, spendiert ein paar Jugendlichen einen Drink, schaut ihnen über die Schulter und lauscht ihren Kommentaren, während sie mit der App hantieren. Und in traditionellen Unternehmen? Da wird eine Lösung meist nach eigenem Gusto entwickelt, dann aufwendig in den Markt gebracht und erst im Nachgang durch Kundenumfragen validiert.
- Verschwendung vermeiden: Dies ist ein Grundprinzip in agilen Jungunternehmen, denn Ressourcen in Form von Zeit, Geld und Mitarbeitern sind ständig knapp. Aufwendige Reportings, umständliche Genehmigungsschleifen, Mammutmeetings sowie die gesamte Selbstbeschäfti-gungsbürokratie klassischer Unternehmen sind dort tabu. Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Man zahlt für Zugang und Nutzung, nicht für Besitz. Wissen wird nicht gehortet, sondern mit allen geteilt. Dies führt zu einer äußerst produktiven Form der Zusammenarbeit.
- Iterative Vorgehensweisen: Die Geschäftsidee selbst sowie die dazugehörigen Produkte und Lösungen werden schrittweise entwickelt. Zudem werden sie iterativ, also über permanente Lernschleifen mithilfe von Kundenmeinungen optimiert, um frühzeitig auszusondern, was niemand braucht. So kommt validiert nur das auf den Markt, wofür die Menschen tatsächlich Geld ausgeben wollen. Ein prima Nebeneffekt: Über Updates ist man regelmäßig in Kontakt mit seinen Kunden.
- Pivotieren: Das ist ein kontrollierter Kurswechsel und rasches Umschwenken – lange bevor es zu spät ist. In Start-ups werden ursprünglich geplante Vorgehensweisen unverzüglich über Bord geworfen oder grundlegend verändert und aktualisiert, wenn sie sich als marktungeeignet erweisen. In Unternehmen alter Schule hingegen hält man an veralteten Produkten, Prozessen und Planungen auch dann noch fest, wenn die Gestrigkeit absehbar ist. Die Abneigung gegenüber Fehlschlägen ist legendär.
Anne M. Schüller ist Managementdenkerin, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint-Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt.
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