Die Kontrolle von Anstellungsverhältnissen mit freien Mitarbeitern oder Freiberuflern im Hinblick auf eine mögliche Scheinselbstständigkeit im Rahmen von Betriebsprüfungen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Scheinselbstständigkeit stellt insbesondere in finanzieller Hinsicht ein nicht zu unterschätzendes Risiko für Unternehmen dar.
Was ist Scheinselbstständigkeit?
Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine Person lediglich nach der dem Beschäftigungsverhältnis zugrundeliegenden Vertragsgestaltung selbstständige Dienst- oder Werkleistungen für ein fremdes Unternehmen erbringt, tatsächlich aber nichtselbstständige Arbeiten im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung bzw. eines Arbeitsverhältnisses vorliegen. Die selbstständige Tätigkeit erfolgt also nur „zum Schein“. Die Beurteilung dessen richtet sich bei einem Widerspruch zwischen Vertragsinhalt und dem gelebten Vertragsverhältnis stets nach letzterem. Entscheidend ist das Gesamtbild der jeweiligen Arbeitsleistung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung.
Arbeitsrechtliche Beurteilung und Folgen
Ein freier Mitarbeiter muss weisungsfrei und selbstbestimmt seine Leistung erbringen sowie persönlich, sozial und wirtschaftlich vom Auftraggeber unabhängig sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, liegt eine selbstständige Tätigkeit und kein Arbeitsverhältnis gemäß §611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor.
Während Weisungen eines Arbeitgebers für ein Arbeitsverhältnis typisch sind, ist dies im Rahmen eines Auftragsverhältnisses gerade nicht der Fall. Bei einer selbstständigen Tätigkeit werden vom Auftraggeber lediglich die Ziele der Tätigkeit vorgegeben, welche die Erbringung der Arbeitsleistung in generell-abstrakter Weise umschreiben und somit ergebnisorientiert sind. Die Art und Weise, wie diese Ziele erreicht werden, bleibt hingegen der Entscheidung des freien Mitarbeiters überlassen.
Ein weiteres gewichtiges Merkmal einer selbstständigen Tätigkeit ist die Zeitsouveränität des freien Mitarbeiters. Während rahmenmäßige zeitliche Vorgaben, in denen der Auftrag zu erfüllen ist, unschädlich für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit sind, sprechen strenge zeitliche Vorgaben dagegen. Wird vom freien Mitarbeiter eine ständige Dienstbereitschaft erwartet und kann der Auftraggeber einseitig, ohne weitere Vereinbarung, auf diesen zugreifen, spricht dies für ein Arbeitsverhältnis.
Hinsichtlich örtlicher Weisungen durch den Auftraggeber gelten dieselben Grundsätze. Kann der Arbeitsort nicht selbst bestimmt werden, sondern wird dieser einseitig vom Auftraggeber vorgegeben, liegt darin ein weiteres Indiz für ein Arbeitsverhältnis. Kann die Leistung allerdings naturgemäß nur in den Räumlichkeiten des Auftraggebers durchgeführt werden (z.B. Reinigungspersonal), liegt darin kein Anhaltspunkt für eine Scheinselbstständigkeit.
Welches Rechtsverhältnis im Ergebnis vorliegt, wird anhand einer durchzuführenden Gesamtabwägung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls entschieden. Ausgangspunkt für die Beurteilung ist dabei die vertragliche Gestaltung; weicht die tatsächliche Vertragsdurchführung allerdings von der Vertragsgestaltung ab, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend.
Ergibt die Prüfung, dass der freie Mitarbeiter tatsächlich Arbeitnehmer ist, führt dies zunächst zur Anwendung sämtlicher arbeitsrechtlicher Vorschriften und Grundsätze (z.B. Kündigungsschutzgesetz, Teilzeitbefristungsgesetz und Betriebsverfassungsgesetz). Sofern die Vertragsparteien von einem freien Mitarbeiterverhältnis ausgegangen sind und somit keine Kenntnis von der falschen Einordnung hatten, wird der Vertrag nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) angepasst. Hierbei stellt sich dann insbesondere die Frage, ob weiterhin die im freien Mitarbeitervertrag vereinbarte Vergütung vom Arbeitgeber zu zahlen ist. Diese wird üblicherweise über der regelmäßigen Vergütung eines mit dem freien Mitarbeiter vergleichbaren Arbeitnehmers liegen.
Planen Sie die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen gegen den „neuen“ Arbeitnehmer, müssen zwingend die häufig anzutreffenden vertraglichen, kollektivrechtlichen oder tariflichen Ausschlussfristen beachtet werden, die mit dem Zeitpunkt beginnen, in dem das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses feststeht (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.3.2001, Az. 4 AZR R 152/00). Diese schließen eine etwaige Geltendmachung von Ansprüchen zumeist nach drei Monaten aus.
Sozialversicherungsrechtliche Beurteilung und Folgen
Sozialversicherungsrechtlich ist zur Statusbeurteilung die Unterscheidung zwischen abhängiger und unabhängiger Beschäftigung erforderlich. Eine abhängige Beschäftigung muss allerdings nicht, wie häufig angenommen, zwingend in Gestalt eines Arbeitsverhältnisses vorliegen. Insofern ist der sozialversicherungsrechtliche Begriff der abhängigen Beschäftigung weiter gefasst und kann auch bei „echten“ selbstständigen Tätigkeiten gegeben sein (z.B. bei arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten). Eine Versicherungspflicht in einzelnen oder sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung ist demnach nicht nur bei der Feststellung eines Arbeitsverhältnisses gegeben.
Dem Gesetzestext in § 7 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IV zufolge liegt bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb eine persönliche Abhängigkeit vor, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Weisungsgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Bei Unsicherheiten im Hinblick auf den tatsächlichen Status eines Beschäftigten kann innerhalb eines Monats nach Tätigkeitsbeginn das Anfrageverfahren zur Statusklärung gemäß § 7a SGB IV eingeleitet werden. Entscheidet die für das Verfahren zuständige Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund, dass es sich tatsächlich um eine abhängige Beschäftigung handelt, tritt die Versicherungspflicht erst mit dem Zeitpunkt der erlassenen Entscheidung ein.
Der Arbeitgeber ist stets Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, also für den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil (§ 28e SGB IV). Im Rahmen von Arbeitsverhältnissen hat der Arbeitgeber einen Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf Zahlung des Arbeitnehmeranteils, der grundsätzlich durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht wird. Wird im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV rückwirkend die Versicherungs- und Beitragspflicht für einen vermeintlich freien Mitarbeiter festgestellt, haben die Einzugsstellen wegen der Schuldnerstellung des Arbeitgebers einen Nachforderungsanspruch hinsichtlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gegen diesen. Die Nachforderung bezieht sich auf die letzten vier Kalenderjahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Beitragsanspruch fällig geworden ist, d.h. in dem die abhängige Beschäftigung von einem Sozialversicherungsträger festgestellt wurde.
Lohnsteuerrechtliche Beurteilung und Folgen
Auch im Steuerrecht haben die Finanzgerichte eigene Maßstäbe für die Beurteilung einer Scheinselbstständigkeit entwickelt. Eine vorherige arbeits- oder sozialversicherungsrechtliche Einordnung eines Beschäftigten als freier Mitarbeiter hat keine Bindungswirkung für die steuerrechtliche Prüfung. Im Rahmen der steuerrechtlichen Beurteilung kommt es insbesondere auf die Unternehmerinitiative und das Unternehmerrisiko des freien Mitarbeiters an, die im Arbeits- bzw. Sozialrecht nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Im Hinblick auf die Unternehmerinitiative ist erforderlich, dass der freie Mitarbeiter seine Arbeitsleistung auf dem freien Markt anbietet und somit auch andere Kunden neben dem Auftraggeber die Möglichkeit haben, diesen zu beauftragen. Problematisch ist daher die Tätigkeit für nur einen Auftraggeber, insbesondere wenn für diesen zuvor dieselben Arbeitsleistungen als Arbeitnehmer erbracht wurden.
Das Unternehmerrisiko kann auch als Entgeltrisiko bezeichnet werden. Erhält der freie Mitarbeiter also bei Ausfallzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit, Urlaub oder Ähnliches kein Entgelt, oder wird dieses bei Schlechtleistung gemindert, spricht dies für eine selbstständige Tätigkeit.
Folge der Scheinselbstständigkeit im lohnsteuerrechtlichen Sinne ist, dass der Auftraggeber gegen die ihm – wegen der tatsächlich zu verneinenden Selbstständigkeit des Beschäftigten – obliegende Pflicht zu Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer vom Arbeitsentgelt des Beschäftigten verstoßen hat. Dies führt zu einer gesamtschuldnerischen Haftung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die bisher nicht abgeführte Lohnsteuer, wobei der Arbeitnehmer nur in Anspruch genommen werden kann, wenn er weiß, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Einkommensteuergesetz – EStG). Will der Auftraggeber eine Haftung für nicht abgeführte Lohnsteuer vermeiden, kann er sich mit einer Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) an sein Betriebsstätten-Finanzamt wenden.
Die Autorin Nicola Dienst ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Küttner Rechtsanwälte in Köln. Sie berät u.a. Arbeitgeber und Führungskräfte bei der Vertragsgestaltung, hierbei insbesondere bei der Erstellung von Arbeits- und Dienstverträgen, Bonusvereinbarungen sowie Aufhebungsverträgen.