Pflicht des Arbeitnehmers zur Erreichbarkeit? – Was Arbeitgeber über die Freizeit ihrer Mitarbeiter wissen sollten

Unter dem Stichwort „always on“ wird derzeit diskutiert, ob Arbeitnehmer verpflichtet sind, ständig für den Arbeitgeber erreichbar zu sein. Sicherlich stellt die ständige Erreichbarkeit für die Beschäftigten eine psychische Belastungssituation dar. Gleichwohl gibt es in bestimmten Situationen auch ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, seine Arbeitnehmer auch außerhalb der regulären Arbeitszeit zu erreichen. Dies gilt insbesondere bei betrieblichen Notfällen und dringenden Anliegen. Kann in diesen Fällen der Arbeitgeber die Erreichbarkeit einzelner Arbeitnehmer „anordnen“?

Gesetzliche Ausgangslage

Während ausländische Rechtsordnungen zum Teil bereits ein sogenanntes „Right to disconnect“ vorsehen (so z.B. in Frankreich oder Portugal) und dem Arbeitgeber per Gesetz untersagen, den Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit zu kontaktieren, fehlt in Deutschland eine entsprechende gesetzliche Regelung. Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Arbeitszeit und nicht der Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit. Das betrifft u.a.

  • die zulässige Höchstarbeitszeit von acht Stunden täglich, wobei unter bestimmten Voraussetzungen auch bis zu zehn Stunden möglich sind (§ 3 Satz 1 und 2 ArbZG),
  • die Ruhezeit zwischen Ende eines und Beginn des nächsten Arbeitstages von mindestens elf Stunden (§ 5 ArbZG),
  • die Pausenzeit von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden und 45 Minuten bei einer
  • Arbeitszeit von mehr als neun Stunden (§ 4 ArbZG) sowie
  • das Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot (§ 9 Abs. 1 ArbZG).

Das Problem der Erreichbarkeit des Arbeitnehmers stellt sich vor allem im Zusammenhang mit den einzuhaltenden Ruhezeiten. Es ist fraglich, ob jedwede Erreichbarkeit des Arbeitnehmers während seiner Freizeit die Ruhezeit von elf Stunden unterbricht oder ob es handhabbare Grenzen gibt, innerhalb derer der Arbeitgeber erwarten darf, dass Arbeitnehmer erreichbar sind.

Recht auf Unerreichbarkeit?

Mit Urteil vom 23. August 2023 (Az. 5 AZR 349/22) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass Arbeitnehmer kein uneingeschränktes Recht auf Unerreichbarkeit haben. Das gilt jedenfalls dann, wenn eine betriebsübliche Regelung besteht, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers zur Kenntnis zu nehmen und die Weisung in zeitlicher Hinsicht geringfügig ist.

Eine genaue zeitliche Grenze, ab der eine Unterbrechung nicht mehr geringfügig ist, nennt das BAG nicht. Ob auch Arbeitstätigkeiten, die über die bloße Kenntnisnahme von Arbeitsort und Arbeitszeit hinausgehen, hiervon erfasst sind, ist fraglich. In der juristischen Literatur wird zum Teil eine Grenze von bis zu 15 Minuten angenommen, wobei hierfür keinerlei gesetzliche Anhaltspunkte bestehen.

Beispiel: Das Lesen und Beantworten einer komplexeren E-Mail mit Anhängen wird nicht nur geringfügig sein, während eine E-Mail mit dem bloßen Hinweis, dass der Arbeitnehmer morgen in einer anderen Filiale des Arbeitgebers beschäftigt wird, zulässig sein sollte.

Pflicht zur Erreichbarkeit oder Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers

Unabhängig davon, ob Arbeitnehmer berechtigt sind, unerreichbar zu sein, stellt sich die Frage, ob Arbeitnehmer wirksam dazu verpflichtet werden können, erreichbar zu sein. Unumstritten ist, dass Arbeitnehmer – auch ohne eine vertragliche oder betriebliche Regelung – während der vertraglich oder betrieblich festgelegten Arbeitszeit erreichbar sein müssen.

Außerhalb der Arbeitszeit können Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet werden, jederzeit, also „rund um die Uhr“, erreichbar zu sein. Hier droht ein Konflikt mit dem Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot des § 9 ArbZG und den Regelungen zur Nachtarbeit, sodass eine entsprechende Regelung unwirksam ist. Zudem liegt in der Regel ein Verstoß gegen die gesetzliche Höchstarbeitszeit sowie Ruhezeit vor.

Abgesehen von der durch das BAG nur vage definierten Bagatellgrenze ist bei einer angeordneten Erreichbarkeit durch den Arbeitgeber außerhalb der Arbeitszeit einiges zu beachten.

Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an, sich an einem bestimmten Ort innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten, um erforderlichenfalls die Arbeit aufnehmen zu können, handelt es sich um einen sogenannten „Bereitschaftsdienst“ (BAG, Urteil vom 11. Juli 2006, Az. 9 AZR 519/05). Auch die Zeit, in der der Arbeitnehmer nicht arbeitet, ist dann vergütungspflichtige Arbeitszeit (BAG, Urteil vom 29. Juni 2016, Az. 5 AZR 716/15). Kann der Arbeitnehmer sich an einem Ort seiner Wahl aufhalten und muss er für den Arbeitgeber erreichbar sein, handelt es sich um sogenannte „Rufbereitschaft“, die ebenfalls vergütungspflichtig ist (BAG, Urteil vom 29. Juni 2000, Az. 6 AZR 900/98).

Beispiel: Teilt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer mit, dass er sich nach Feierabend ab 20:00 Uhr bereithalten soll, um noch ein Dokument zu finalisieren und es an einen Kunden zu senden, handelt es sich um Rufbereitschaft; muss er sich hierfür im Betrieb aufhalten, handelt es sich um Bereitschaftsdienst. Wird der Arbeitnehmer in seiner Freizeit tatsächlich in Anspruch genommen, sollte zwingend die Ruhezeit von elf Stunden berücksichtigt werden. Arbeitet der Arbeitnehmer in seiner Freizeit z.B. im Zeitraum von 19:00 bis 20:30 Uhr, darf er erst um 7:30 Uhr wieder beschäftigt werden. Andernfalls drohen Bußgelder bis hin zu Strafen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten der Arbeitgeber überhaupt hat, den Arbeitnehmer in seiner Freizeit zu kontaktierten. Indes besteht keine Pflicht für den Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber seine private Handynummer mitzuteilen (Landesarbeitsgericht Thüringen, Urteil vom 16. Mai 2018, Az. 6 Sa 442/17). Der Arbeitnehmer entscheidet grundsätzlich selbst, „für wen, wann und wo er durch Bekanntgabe der Mobiltelefonnummer erreichbar sein will“. Dasselbe dürfte auch für die private E-Mail-Adresse gelten.

Sonderfall: Unerreichbarkeit im Homeoffice

Das ArbZG und die arbeitsvertraglichen Regelungen finden auch im Homeoffice des Arbeitnehmers uneingeschränkt Anwendung. Da Arbeitnehmer im Homeoffice sich ihre Arbeitszeit oftmals frei einteilen, sollten – sofern weder arbeitsvertraglich noch in einer Richtlinie oder Betriebsvereinbarung feste Arbeitszeiten geregelt sind – zumindest Kernarbeitszeiten (z.B. von 8:00 bis 14:00 Uhr) oder feste Erreichbarkeitszeiten (z.B. an Arbeitstagen im Zeitraum von 10:00 bis 12:00 Uhr) festgelegt werden. Eine dauerhafte Erreichbarkeit ist nicht zulässig.

Ist der Arbeitnehmer während dieser festen Zeiten nicht erreichbar, verletzt er seine Arbeitspflicht und kann deswegen abgemahnt werden. Im Wiederholungsfall kann eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen werden.

Besonders problematisch ist es, wenn keinerlei Erreichbarkeitszeiten festgelegt sind und der Arbeitnehmer im Homeoffice nicht mehr erreichbar, also „untergetaucht“ ist. Hierbei steht regelmäßig der Verdacht im Raum, dass der unerreichbare Arbeitnehmer einen Arbeitszeitbetrug zulasten des Arbeitgebers begeht. Dennoch sind die Aufklärungs- und Kontrollmöglichkeiten des Arbeitgebers begrenzt. Das gilt insbesondere, wenn Vertrauensarbeitszeit vereinbart ist; der Arbeitnehmer also innerhalb der Regelungen des ArbZG selbst festlegen kann, wann er arbeitet. Sofern der Arbeitnehmer noch Arbeitsleistungen erbringt, wird eine Abmahnung oder Kündigung kaum möglich sein.

Sofern das Homeoffice nicht als dauerhafter Arbeitsort festgelegt oder ein sogenanntes „Rückholrecht“ vertraglich vereinbart wurde oder in einer betrieblichen Regelung vorgesehen ist, sollte der Arbeitnehmer zunächst in den Betrieb zurückbeordert werden. Alternativ sollten zumindest genaue Vorgaben zu Arbeitsergebnissen gemacht und regelmäßige Besprechungen terminiert werden, um eine etwaige Nicht- oder Schlechtleistung nachzuweisen.

Bleibt der Arbeitnehmer den Besprechungen fern oder beachtet er die ihm gesetzten Fristen nicht, kann er abgemahnt und im Wiederholungsfall auch gekündigt werden.

Führungskräfte und Geschäftsführer

Für Geschäftsführer und leitende Angestellte gelten die Regelungen des ArbZG gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG nicht. Die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten, die Ruhezeit von elf Stunden sowie das Sonnund Feiertagsarbeitsverbot müssen nicht berücksichtigt werden. Geschäftsführer sowie leitende Angestellte können daher wirksam dazu verpflichtet werden, auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit erreichbar zu sein. Für Geschäftsführer folgt dies bereits aus der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung im Sinne des § 43 Abs. 1 GmbH-Gesetz: Die Leitungsorgane müssen vor allem die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft ständig im Auge behalten und sich über deren wirtschaftliche Situation vergewissern (Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. November 2018, Az. II ZR 11/17). Eine wirkliche Unerreichbarkeit ist damit in der Regel ausgeschlossen und kommt nur in Betracht, wenn der Geschäftsführer vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 Satz 2 Aktiengesetz).

Da es sich hierbei um ein höchst subjektives Kriterium handelt und ein hohes Haftungsrisiko besteht, sollten Geschäftsführer mindestens für Notfälle stets erreichbar sein und entsprechende Berichtsketten gemäß der Eisenhower-Matrix (Einteilung von Anliegen in wichtig und nicht wichtig sowie dringend und nicht dringend) festlegen.

Zur Person:

Claudia Knuth ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin im Berliner und Hamburger Büro der Wirtschaftskanzlei LUTZ | ABEL.

Kontakt: knuth@lutzabel.com

Vorheriger Artikel

Bewirtungskosten

Nächster Artikel

Stiften leicht gemacht: CSR ohne Umwege – Die moderne Art zu stiften

You might be interested in …

GmbH-Geschäftsführervergütungen: Neue Orientierungswerte für 2024

Alljährlich befragt die BBE media deutschlandweit GmbH-Geschäftsführer nach ihrem Gehalt und weiteren Vergütungsbestandteilen. Die BBE-Gehaltsstrukturuntersuchung ist inzwischen der einzige von der Finanzverwaltung anerkannte Vergleichsmaßstab, wenn es um die Angemessenheit des Gesellschafter-Geschäftsführergehalts geht. In vielen GmbH-Betriebsprüfungen […]