Neue Arbeitsmodelle im Mittelstand: Outdoor Office als Baustein moderner Arbeitswelten

Interview

Die Gestaltung moderner Arbeitsplätze gehört heute zu den zentralen Herausforderungen vieler Unternehmen – besonders im Mittelstand. Flexible Modelle, gesunde Arbeitsbedingungen und eine attraktive Unternehmenskultur spielen dabei eine zunehmend wichtige Rolle. Ein Ansatz, der in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen hat, ist die sogenannte „Outdoor Office Culture“, also das Arbeiten im Freien. Die Idee dahinter: Mehr Tageslicht, frische Luft und neue Perspektiven können sich positiv auf Wohlbefinden, Kreativität und Zusammenarbeit auswirken. Wir sprechen mit Ulli Wackenroder – Outdoor-Office-Pionier für Deutschland und Mitorganisator des Outdoor Office Barcamps – über Potenziale, Praxis und Perspektiven.

Herr Wackenroder, was genau ist „Outdoor Office Culture“ und was hat Sie persönlich dazu inspiriert?

„Outdoor Office Culture“ beschreibt die bewusste Verlagerung von beruflichen Aktivitäten wie Meetings, Business-Trainings oder 1-to-1-Gesprächen ins Freie, aber innerhalb eines klar definierten Arbeitskontexts. Es geht nicht um gelegentliche Auszeiten im Grünen, sondern um die systematische Integration des Draußen-Arbeitens in den regulären Arbeitsalltag und die Firmenkultur.

Ziel ist es, die Produktivität, Inspiration, Konzentration und echte Präsenz zu fördern. Denk-, Begegnungs- und Rückzugsräume unter freiem Himmel entfalten ganz andere Qualitäten als die üblichen Büros.

Meine persönliche Inspiration kam vor rund zehn Jahren: Ich leitete eine Workshop- Woche in fünf deutschen Städten. Am Freitag verabschiedete ich mich in Hamburg mit den Worten „Vielen Dank und einen schönen Abend hier in München!“ Ein klarer Hinweis auf meine mentale Erschöpfung.

In der daraus folgenden Reflexion kombinierte ich meine Kompetenzen, Vorstellungen und Präferenzen und begann, die Business-Workshops nach draußen zu verlegen. Während der Pandemie entstand dann der Kontakt zu Ioana Biriş aus Amsterdam, der Initiatorin des Outdoor Office Day. Über sie entwickelte sich ein wachsendes Netzwerk von Outdoor-Office-Pionieren in verschiedenen europäischen Ländern. Es entstand ein inspirierender, internationaler Austausch, der das Thema seither stark vorangebracht hat. Besonders unser erstes Präsenzmeeting, das Outdoor Office Barcamp im Herbst 2024 bei unserer Pionierin Catharina in Schweden, hat sehr viele neue Ideen und Herangehensweisen eröffnet.

Welche konkreten Vorteile erleben Sie bei Teams, die regelmäßig draußen arbeiten – jenseits von Schlagworten wie „frische Luft“ oder „Kreativität“?

Ganz klar, die mentale Gesundheit, Burnout- Prävention, Erhalt der Arbeitsfähigkeit und Vertrauensbildung.

Ob beim Weeting (Walking Meeting), im Training oder im 1-to-1-Gespräch, die Outdoor-Formate fördern deutlich die Vertrauensbildung im Team. Die Menschen werden offener, Feedback wird direkter gegeben und Konflikte leichter angesprochen. Besonders wichtig ist dabei, dass sich alle aktiv einbringen können. Ohne die übliche rechteckige Meeting-Atmosphäre beteiligen sich die Teilnehmer viel lösungs- und zielorientierter, da ihre Sichtweise mit in den Prozess integriert wird und so echte Kooperation entsteht, statt bloßes „Abnicken“ von vorgefertigten Folien.

Die körperliche Bewegung und die Natur helfen, die Ablenkungen der permanenten Verfügbarkeit zu reduzieren und fördern die volle Präsenz im Thema. Gespräche werden dadurch fokussierter und die Kommunikation verliert ihre „Corporate-Maske“ und wird authentischer.

Was ich besonders schätze: Die selbst erarbeiteten Inhalte und Lösungen bleiben spürbar besser im Gedächtnis und macht die Akzeptanz und Umsetzung wesentlich leichter.

Warum ist das Konzept gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) interessant?

Das Outdoor-Office-Konzept ist für KMU besonders attraktiv, weil es mit minimalem Aufwand einen hohen Nutzen bringen kann. Es erfordert kaum Investitionen, kann aber nachweislich die Produktivität steigern, Krankheitstage reduzieren und die Mitarbeiterbindung stärken. Die schwedische Pionierin Charlotte Petterson Troije hat dies in ihrer Doktorarbeit an der Universität Malmö herausgearbeitet.

Es signalisiert moderne Führung, Gesundheitsbewusstsein und eine wertschätzende Unternehmenskultur. Gerade im Wettbewerb um Talente ist das ein klarer Vorteil. Für KMU ist das Outdoor-Office-Konzept damit eine kosteneffiziente, sofort wirksame Maßnahme, um Leistung, Motivation und Attraktivität zu steigern.

Wie aufwendig ist die Umsetzung in die Praxis? Braucht es bestimmte Voraussetzungen oder kann jedes Unternehmen sofort loslegen?

Der Einstieg ist sehr niederschwellig. Viele Unternehmen oder Kommunen verfügen bereits über nutzbare Flächen, sei es eigene Grünflächen, eine Terrasse oder einen schattigen Parkplatz, der sich mit wenigen Mitteln in einen Outdoor Arbeitsplatz verwandeln lässt. Wetterfeste Möbel, ein Sonnenschutz und stabiles WLAN reichen oft schon aus. Wichtig ist, einfach anzufangen.

Besonders erfolgreich wird es, wenn z.B. der Geschäftsführer zum 1-to-1 nach draußen bittet. So wird die Outdoor-Office Kultur „von oben“ autorisiert und senkt die Hemmschwelle bei allen Beteiligten.

Welche Rolle spielen Herausforderungen wie Datenschutz, Lärm oder Wetter in der Praxis?

Datenschutz ist jetzt schon im Homeoffice ein Thema und lässt sich etwa durch Headsets oder die bewusste Auswahl nicht-sensibler Themen für draußen lösen. Für den Internet- Zugang ist ein firmeninterner, sicherer WLAN Access Point am Firmenfenster eine praktikable Lösung.

Lärm wird oft überschätzt, da viele Außenbereiche ruhiger sind als z.B. Großraumbüros. Beim Wetter hilft die pragmatische Flexibilität: Pavillons, Überdachungen oder notfalls der Wechsel ins Innenbüro gehören zur Outdoor-Office-Routine dazu.

Entscheidend ist die Haltung: Nicht alles muss perfekt sein!

Gibt es bestimmte Tätigkeiten oder Branchen, für die sich das Outdoor Office besonders eignet – oder gerade nicht?

Ja, die Eignung hängt stark von der Tätigkeit ab und nicht von der Branche.

Besonders gut geeignet sind kreative Prozesse, Strategiegespräche, 1-to-1s, Konzeptarbeit oder Stillarbeit. Alles Tätigkeiten, die vom Perspektivwechsel profitieren.

Aber auch in Bereichen der Produktion oder Logistik lassen sich Teilbereiche wie Meetings, Planungssessions oder Weiterbildung gezielt ins Freie verlagern.

Welche Rolle spielt das Thema im Employer Branding?

Outdoor Office kann ein echter Magnet im Wettbewerb um Talente sein. Weniger bekannten Firmen und KMU im ländlichen Raum, die nicht automatisch bei Top- Talenten auf dem Radar stehen, kann es als sichtbares Differenzierungsmerkmal wirken. Es verleiht Arbeitgebern ein außergewöhnliches Profil und stärkt ihre Attraktivität über die klassischen Benefits hinaus.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit beim Outdoor Office – auch im Hinblick auf Standortentwicklung und langfristige Unternehmensstrategien?

Durch Arbeiten an der frischen Luft, z.B. auf der eigenen Terrasse, kürzere Pendelwege oder flexible Präsenzmodelle wird Mobilität reduziert und Lebenszeit für Familie, Gesundheit oder persönliche Projekte gewonnen. Gerade in Regionen mit bezahlbarem Wohnraum wird so eine echte Perspektive geschaffen. Demographisch sichert es nicht nur die Zukunft des Unternehmens, die lokale Kaufkraft, sondern auch den Standort.

Wie reagieren Führungskräfte und Teams auf das Konzept?

Während meiner Impulsvorträge vor Führungskräften stelle ich immer eine zweigeteilte Reaktion auf das Outdoor-Office-Konzept fest. Die einen sind Feuer und Flamme, weil sie das Potenzial sofort erkennen. Andere befürchten einen Verlust von Kontrolle und Autorität, da klassische Führungsinstrumente wie Anwesenheitspflicht schwieriger umzusetzen sind.

Es gibt Unternehmen, die immer noch gezielt auf „Return to Office“-Strategien setzen, um gewohnte Machtstrukturen aufrechtzuerhalten. Das zeigt: Outdoor Office erfordert auch ein Umdenken in der Führung, hin zu mehr Vertrauen, Ergebnisorientierung und Selbstverantwortung im Team.

Gleichzeitig erleben viele Mitarbeiter das Konzept als echten Gewinn an Freiheit. Eine offen gelebte Outdoor-Office-Kultur kann sogar zur „Reason to commute“ werden, also ein Grund, bewusst ins Büro zu kommen, weil dort ein inspirierendes, gemeinschaftliches Umfeld wartet. Die Ideen sind vielfältig! Richtig umgesetzt, stärkt das Konzept den Teamzusammenhalt und die Identifikation mit dem Arbeitgeber.

Welche Entwicklung erwarten Sie für das Outdoor Office in den nächsten Jahren – in Deutschland und darüber hinaus?

In den nächsten Jahren wird das Outdoor Office in Deutschland und besonders international an Bedeutung gewinnen. Der Wunsch nach flexibleren, natürlicheren Arbeitsformen geht von einer Generation aus, die mit Outdoor- Lifestyle, Nachhaltigkeit und Selfcare selbstverständlich aufgewachsen ist. Für sie gehört es zur Lebensrealität.

Viele Länder, wie z.B. Benelux und Nordic, sind schon weiter. Selbst in Finnland arbeiten Teams im Winter regelmäßig draußen. Das beweist: Outdoor Office gelingt nicht nur in mildem Klima, sondern ganzjährig, wenn Einstellung und Ausstattung (Wärmebekleidung, wetterfeste Arbeitsplätze) passen.

Vielen Dank für Ihre Zeit und die Einblicke.

Ulli Wackenroder

Ulli Wackenroder ist Innovationsbegleiter, Moderator und Gründer von myBusinessCamp. Mit Formaten wie dem „BusinessTrail“ verlagert er Workshops und Meetings bewusst ins Freie. Als Impulsgeber der Outdoor-Office-Bewegung setzt er sich dafür ein, Arbeit kreativ, naturnah und wirkungsvoll neu zu denken.

Kontakt: www.linkedin.com/in/ulli-wackenroder-082744225

Weitere Informationen unter: www.mybusinesscamp.de

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