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Mitarbeiterführung: Von „brilliant jerks“ bzw. „brillanten Idioten“

Mitarbeiterführung: Von „brilliant jerks“ bzw. „brillanten Idioten“

Jeder kennt sie, Kollegen oder Vorgesetzte, die fachlich Spitze, doch menschlich unausstehlich sind. Sie können jedes Betriebsklima vergiften – insbesondere, wenn ihre Chefs sich von ihnen abhängig fühlen und ihnen deshalb volle Rückendeckung geben.

Der Leiter der IT-Abteilung war brillant. Er implementierte im Unternehmen viele neue, digitale Problemlösungen und lieferte dabei stets Top-Ergebnisse. Nur eines machte den Geschäftsführer stutzig: die permanenten Personalwechsel im IT-Bereich, die ewige Suche nach neuen Mitarbeitern und die schlechten Bewertungen des IT-Bereichs in Stellenportalen.

Darauf angesprochen erwiderte der Leiter der IT-Abteilung: „ITler ticken eben anders als ‚normale‘ Mitarbeiter; außerdem sind sie stark umworben. Also wechseln sie auch häufiger.“ Dem widersprach der Geschäftsführer nicht, doch er dachte sich: Mitarbeiter wechseln in der Regel doch nur den Arbeitgeber, wenn sie mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden sind. Also beauftragte er den Personalleiter, diese zu analysieren. Das Ergebnis war: Die Gehälter im IT-Bereich sind top – auch verglichen mit den Mitbewerbern. Auch die Arbeitsinhalte und Aufstiegsmöglichkeiten stimmen, da das Unternehmen eine Wachstumsstrategie verfolgt und die Unternehmensleitung der Digitalisierung bei deren Realisierung eine Schlüsselrolle beimisst.

Das Problem wird oft lange unter den Teppich gekehrt

Als Schwachstelle beim Aufbau einer schlagkräftigen IT-Mannschaft entpuppte sich jedoch der IT-Leiter selbst. Er erachtete sich offensichtlich als der einzige brillante Kopf im Unternehmen, und dies ließ er seine Mitarbeiter und Kooperationspartner im täglichen Miteinander auch spüren. Das betonten z.B. Ex-Mitarbeiter der IT-Abteilung, die der Personalbereich kontaktierte und nach den Gründen für ihren Wechsel fragte. Regelmäßig hätten sie sich vor dem IT-Leiter, auch im Beisein von Kollegen, für reale und angebliche Fehler und Versäumnisse rechtfertigen müssen und seien mit Vorwürfen überhäuft worden. Für dieses Ritual habe es im Kollegenkreis sogar einen Namen gegeben: „heißer Stuhl“. Und auf dem habe jeder irgendwann mal unverhofft und meist wegen Nichtigkeiten gesessen.

Die Chefs haben mit den Jerks oft nur sporadisch Kontakt

Der Geschäftsführer traute seinen Ohren nicht, denn er hatte den IT-Leiter anders erlebt. Aber er arbeitete mit ihm auch nicht Tag für Tag zusammen. Er begegnete ihm nur sporadisch in Meetings, in denen der IT-Leiter meist von „seinen Projekterfolgen“ berichtete.

Immer wieder trifft man in Unternehmen auf Mitarbeiter, die zwar fachlich Spitze, aber schwierig im zwischenmenschlichen Umgang sind. Im Englischen gibt es für solche Personen den Begriff „brilliant jerk”. Er bedeutet frei übersetzt „brillanter Kotzbrocken“. Solche Mitarbeiter kann es in Unternehmen überall geben. Sie verfügen in der Regel über ein weit überdurchschnittliches oder wichtiges Wissen und Können. Deshalb sind sie beruflich meist überaus erfolgreich und tragen maßgeblich zum Geschäftserfolg bei.

Zugleich neigen sie jedoch dazu, sich zu überschätzen und sich aufgrund ihrer Fähigkeiten für etwas Besseres zu halten. Von ihren Kollegen wird dieses Verhalten geschätzt und gefürchtet, weshalb sie irgendwann die Reißleine ziehen und gehen. Denn Brilliant Jerks sind meist auch gewiefte Manipulatoren. Sie beherrschen das gezielte Herabsetzen von Kollegen und Inszenieren der eigenen Leistung bravourös.

Die Chefs geben den Jerks oft zu lange Rückendeckung

Deshalb und weil sie fachlich oder organisatorisch oft wirklich Spitze sind, fällt es den Jerks meist leicht, ihre Vorgesetzten für sich einzunehmen. Deshalb werden Mitarbeiter, die sich über ihr Verhalten beschweren, von den Vorgesetzten oft nicht ernst genommen.

Das tun viele Entscheider nicht. Sie sehen, solange ein Jerk ihre Erwartungen (über-)erfüllt, meist keinen Grund einzugreifen. Dieses Zögern kann fatale Folgen haben, die oft zu spät erkannt werden. Eine schlechte Arbeitsatmosphäre und ein allzu harscher Umgangston können z.B. dazu führen,

  • dass eigentlich gute Mitarbeiter innerlich kündigen und nur noch Dienst nach Vorschrift machen, sofern sie nicht die Flucht ergreifen und den Arbeitgeber wechseln,
  • dass Probleme nicht mehr offen benannt werden,
  • dass Unternehmen sich in eine Sackgasse manövrieren, die Geschäftsleitung dem Brilliant Jerk blind vertraut, oder
  • dass Stammkunden abwandern, weil sie sich nicht mehr wertgeschätzt fühlen und mit der Leistung des Unternehmens zunehmend unzufrieden sind.
Brilliant Jerks sind nur zu sich selbst loyal

Vorgesetzte denken oft, solche Mitarbeiter seien besonders fleißig und loyal. Dies ist ein Trugschluss, denn das primäre Anliegen solcher Jerks ist es,

  • ihr Ego und ihr übersteigertes Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen und
  • immer wieder die Wertschätzung und Bedeutung zu spüren, die ihnen und ihrer Arbeit nach eigener Auffassung gebührt.

Daher lassen sie ihren Wissens- oder Erfahrungsvorsprung in der Kommunikation nicht nur ihre Kollegen, sondern auch Vorgesetzten spüren. Und weil diese Exzellenz in gewissen Bereichen meist existiert, wird ihnen die gewünschte Anerkennung auch gewährt – insbesondere wenn sie systemrelevant sind oder hierfür erachtet werden. Das ist gefährlich, auch weil Brilliant Jerks sich schnell existenziell beleidigt fühlen, wenn sie ihrer Meinung nach nicht mehr die ihnen gebührende Anerkennung und Wertschätzung erfahren. In einem solchen Fall verkehrt sich ihre scheinbare Loyalität gegenüber dem Unternehmen oder Vorgesetzten oft abrupt ins Gegenteil. Nicht selten kehren sie dann Knall auf Fall der Firma den Rücken zu.

Chefs stehen beim Umgang mit den Jerks oft vor einem Dilemma

Chefs befinden sich beim Umgang mit solchen Persönlichkeiten oft in einem Dilemma: Auf der einen Seite sind diese Mitarbeiter nicht selten z.B. für die weitere Unternehmensentwicklung oder zum Aufrechterhalten des laufenden Betriebs enorm wichtig. Also müssen sie in einer gewissen Weise hofiert und bei Laune gehalten werden – gerade in Zeiten, in denen gute Fachkräfte rar sind. Auf der anderen Seite werden heute zumindest die Kernleistungen der Unternehmen in der Regel nicht mehr von Einzelkämpfern, sondern in einer funktions- und oft auch bereichsübergreifenden Teamarbeit erbracht. Damit diese funktioniert, müssen sich alle Mitarbeitenden an gewisse Verhaltensregeln halten. Hierzu zählen ein sachlicher Umgang mit Problemen und ein wertschätzender Umgang mit Kollegen, Kunden, Dienstleistern und Lieferanten.

Der toxische IT-Leiter im obigen Beispiel wurde wegen seines egozentrierten bzw. nicht-wertschätzenden Führungsstils entlassen. Vor allem, weil die Geschäftsleitung erkannte: Diese Schlüsselposition, in der bereichsübergreifend so viele Fäden zusammenlaufen und die eine zentrale Rolle beim Erreichen unserer strategischen Ziele spielt, ist viel zu wichtig, um sie mit einem Brilliant Jerk zu besetzen. Denn mit ihm können wir zwar sogenannte „quick wins“, also kurzfristige Erfolge erzielen, aber kein tragfähiges Fundament aufbauen. Also beauftragte die Geschäftsleitung insgeheim einen Headhunter, einen geeigneten Nachfolger für den IT-Leiter zu suchen, bevor sie ihm den Laufpass gab.

Etappenziel: Die Macht und den Einfluss des Jerk reduzieren

Im Betriebsalltag fällt es insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen oft schwer, sich von einem Brilliant Jerk zu trennen. Zum Beispiel, weil er die einzige Person ist, die sich mit gewissen Lösungen oder technischen Verfahren auskennt. Oder weil er über ein Spezialwissen im kaufmännischen Bereich verfügt. Oder weil der Geschäftsführer weiß: Selbst wenn wir einen passenden Ersatz für ihn finden, dann muss dieser erst noch eingearbeitet werden. Und wer macht das?

Wenn Sie in einer solchen Zwickmühle stecken, haben Sie meist keine andere Möglichkeit, als dem Brilliant Jerk regelmäßig das gewünschte positive Feedback zu geben. Zugleich sollten Sie versuchen, ihn soweit wie möglich zu isolieren, damit sein toxisches Verhalten nicht zu einem unerträglichen Problem für andere Mitarbeiter oder ganze Abteilungen wird.

Nach möglichen Ersatzbefriedigungen Ausschau halten

Sie können dem Jerk z.B. recht spezielle, aber relevante Aufgaben übertragen, die ein eher geringes Maß an Kooperation erfordern. Doch sollten Sie darauf achten, dass sich bei ihm hierdurch nicht noch mehr erfolgsrelevantes informelles Wissen oder Spezialwissen anhäuft, sodass die Abhängigkeit von ihm weiter steigt.

Einzelgespräche und (Team-)Coachings können das Betriebsklima zuweilen kurzfristig verbessern, doch sie lösen das Grundproblem nicht. Deshalb sollten Sie solche Mitarbeiter keinesfalls als Belohnung für gute Leistungen in (höhere) Führungspositionen befördern – selbst dann nicht, wenn sie damit drohen, ansonsten das Unternehmen zu verlassen. Überlegen Sie stattdessen, welche alternativen Möglichkeiten es gibt, das Ego des Jerk und seinen Wunsch nach Anerkennung zu befriedigen, beispielsweise

  • ihm ein größeres Büro oder einen Firmenwagen zu gönnen oder
  • ihn zum Berater der Geschäftsleitung in Sachen „…“ zu ernennen und ihm eine entsprechende Visitenkarte drucken zu lassen oder
  • dafür zu sorgen, dass er in einer renommierten Fachzeitschrift einen Fachartikel publizieren oder auf einem Kongress einen Vortrag zu seinem Lieblingsthema halten kann.
Der Weg zum Ziel: Die Abhängigkeit von dem Jerk auflösen

Zugleich sollten Sie aber darauf hinarbeiten, dass Sie Ihre Abhängigkeit bzw. die Ihres Unternehmens von dem Brilliant Jerk allmählich auflösen. Zum Beispiel, indem Sie andere Mitarbeiter durch entsprechende Schulungen an das betreffende Aufgaben-/Themenfeld heranführen. Oder indem Sie gewisse Aufgaben schlicht anders als bisher lösen. Wenn nun trotz aller „Präventionsmaßnahmen“ eine Eskalation des Konflikts droht und deshalb zeitnah eine Trennung von dem Mitarbeiter nötig ist? Dann sollten Sie darüber nachdenken, ob ein externer Dienstleister vorübergehend die bei einer Trennung entstehende Wissens- oder Kompetenzlücke schließen kann – selbst wenn dies kurzfristig Mehrkosten verursacht.

Zur Person

Joachim Simon

Führungskräftetrainer und
Vortragsredner

Stand: 16.11.2022 15:19