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Maßnahmen, um The Big Quit aufzuhalten: Employee Experience als strategische Priorität

Maßnahmen, um The Big Quit aufzuhalten: Employee Experience als strategische Priorität

In Krisenzeiten rücken Emotionen in den Fokus. Seit Corona hat sich in vielen Unternehmen die Stimmung verschlechtert. Zahlreiche Angestellte kündigen ihren Job oder reduzieren ihr Engagement. Wer Fachkräfte halten will, sollte sich gezielt um eine bessere Employee Experience kümmern. Sie entscheidet bei vielen Firmen über Aufstieg oder Untergang und gehört ab sofort zur Managementaufgabe ersten Ranges.

Was mit „The Big Quit“ oder „The Great Resignation“ in den USA anfing, schwappte auch nach Deutschland. Derzeit sind viele in ihrem Job unzufrieden und beenden ihre Anstellung. Andere kündigen zwar nicht, verfallen jedoch in Dienst nach Vorschrift. „Quiet Quitting“, stille Kündigung, nennt sich das jüngste Phänomen, bei dem Mitarbeiter nicht mehr bereit sind, für den Arbeitgeber die Extrameile zu gehen. Sie tun, was sie müssen, erfüllen die Mindestanforderungen und konzentrieren sich auf ihren eigenen Freiraum.

Krisenjahre haben Spuren hinterlassen

Was verursacht diesen Rückzug? Warum resignieren so viele? Wieso kehren Langzeitkräfte ihren Brötchengebern gerade jetzt den Rücken? Die Ursache der großen Unzufriedenheit: Die Krisenjahre haben ihre Spuren hinterlassen. Pandemie, Kurzarbeit, Unsicherheit, Homeoffice, jede Menge gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Notlagen haben die Menschen geprägt – gepaart mit der Aussicht auf eine schwer einschätzbare Zukunft. Die Bedürfnisse sind verschoben. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance sowie die Abkehr der Hustle-Kultur haben bei Millennials und Gen Z oberste Priorität. Viele Unternehmen hingegen sind stehengeblieben oder nach Lockdown und Co. sogar zu alten Prinzipien zurückgekehrt. Nun klaffen Arbeitsumfeld und Lebenswelten auseinander.

Covid-19 hat nicht nur eine Gesundheits-, sondern auch eine Sinnkrise ausgelöst. Berufsstarter und alte Hasen fragen sich zunehmend, ob acht, neun, zehn Stunden täglich auf den Beinen oder am Bildschirm wirklich dem eigenen Lebensentwurf entsprechen. Geht New Work nicht anders? Die Spannung wächst durch unattraktive Arbeitsbedingungen und schlechte Stimmung. Leistungsträger fühlen sich zu wenig gesehen, gehört oder gewürdigt. Sie vermissen Vertrauen, Bestätigung und Interesse von oben. Viele wagen nicht, schwierige Themen anzusprechen, sie fürchten Fehler, Ablehnung, starre Konzepte oder Sackgassen.

Mitarbeiter ins Zentrum stellen

Akteure suchen echten Teamgeist, Empathie und Offenheit aus der Chefetage. Sie wünschen sich mehr Zeit für Familie, Freunde, Hobbys. Leistung und Produktivität rutschen im Wertesystem ab. Auf den Nägeln brennen heute die Themen Gesundheit, Wirksamkeit, Zugehörigkeit, Flexibilität und Entfaltung. Ganz oben auf der Agenda: die Suche nach Sinn und Erfüllung. Schaut man genauer hin, verbergen sich hinter diesen Forderungen vier Schlüsselgefühle – die Menschen sehnen sich nach Wertschätzung, Sicherheit, Verbundenheit und Empowerment. Finden sie nichts davon im Job, halten sie woanders Ausschau.

Wer diese Sehnsüchte bedienen, den veränderten Ansprüchen gerecht werden und Menschen halten will, muss ihnen geben, was sie suchen. Diese Unternehmen haben täglich im Blick, wie ihre Leute den Kontakt zu ihnen erleben. Weitsichtige Systeme gehen gezielt auf die neuen Bedürfnisse ein und sorgen für eine zum Zeitgeist passende Erfahrungswelt. Was manche Firmen bisher punktuell berücksichtigen, gehört ab sofort zur Chefaufgabe: Es geht darum, die Employee Experience konsequent zu durchleuchten. So wie sonst Kunden im Mittelpunkt stehen, sollten Betriebe künftig auch die Gefühle der eigenen Leistungsträger würdigen. Nur so löst das Daily Business Empfindungen aus, die Menschen genießen, beflügeln und deshalb wiederholt anstreben.

Je positiver das Erlebnis, desto engagierter das Team

Die Employee Experience umfasst die Summe aller Berührungspunkte, die Mitarbeiter mit der Organisation haben. Sämtliche Erfahrungen am Arbeitsplatz rufen Emotionen hervor. Die Erlebniswelt startet mit der Stellenanzeige, umfasst alle Touchpoints und endet erst nach dem letzten Arbeitstag. Bewegen sich die Erfahrungen überwiegend im grünen Bereich, werden Fachkräfte eher für den Betrieb aktiv. Spüren sie Verständnis, steigen Engagement und Verweildauer. Gute Gefühle verbessern die Einzelleistungen, da Akteure merken, dass ihr Einsatz sich lohnt. Je positiver das Mitarbeitererlebnis,
desto engagierter das Team.

Erfolgreiche Firmen beschäftigen sich permanent mit der Situation des Einzelnen. Alle Elemente spielen in dieses Stim-mungsbild rein: Aufgaben, Arbeitsplatz und Umfeld rund um Schreibtisch, Verkaufstresen, Laborstuhl oder Produktionsmaschine ebenso wie Prozesse und Arbeitsroutinen, Hindernisse und Chancen sowie Umfeld, Kultur, Kommunikation, Kollegen und Management. Da sich der Markt immer schneller ändert, justieren viele ihre Abläufe und Settings ständig nach. Dabei darf es nicht nur um Effizienz gehen. Vielmehr müssen Betriebe mit gleicher Priorität berücksichtigen, welche mentalen Effekte eine bestimmte Veränderung bei den Betroffenen auslöst.

Emotionen sorgen dafür, dass Prozesse überhaupt funktionieren

Bei jedem Prozess, zu jedem Zeitpunkt, bei jeder Interaktion stehen Entscheider vor der Frage: Wie fühlen sich die Akteure dabei? Löst der Kontakt Frust oder Freude aus? Was machen neue Vorgaben mit den Umsetzenden? Wie geht es den Teams im Alltag? Verbessern hybride Strukturen den Fluss? Was machen Engpässe mit der Produktion? Vereinfachen oder bremsen die neuen Standards den Vertrieb? Kommen Erfolge bei den richtigen Leuten an?

Fragen wie diese stehen Veränderungen keinesfalls im Weg. Vielmehr sorgt die emotionale Komponente, dass neue Routinen überhaupt funktionieren. Darf Fachkraft Schmidt wegen der langen Anfahrt im Homeoffice bleiben, fühlt sie sich gesehen und verstanden. Das fördert Engagement und Vertrauen. Bekommt jemand Ressourcen für eine experimentelle Task Force, begünstigt das Sicherheit und Empowerment. Berücksichtigen Chefs, dass Kollegin Wagner Kreativmeetings in Präsenz bevorzugt, fühlt sie sich wertgeschätzt, wenn das Team vor Ort tagt.

Beziehung aufbauen und Türen öffnen

Nichts prägt Loyalität und Zufriedenheit so sehr, wie die Beziehung zur Teamleitung. Der oder die unmittelbare Vorgesetzte kann Motivation steigern – oder zerstören. Damit Engagement und Wohlbefinden wachsen, müssen Führungskräfte Mitarbeiter als Individuum begreifen und eine vertrauensvolle, produktive berufliche Beziehung herstellen. Dazu sind echtes Interesse, Fürsorge und Anteilnahme nötig. Vorgesetzte vermitteln diese Gefühle, indem sie aktiv zuhören, nachfragen, empathisch führen und selbst als Vorbild dienen.

Profis sprechen so oft wie möglich mit ihren Teammitgliedern, fragen nach Erfolgen, Problemen und diskutieren Entwicklungen, die sich auf Prozesse auswirken. Sie denken vor Veränderungen über die emotionalen Effekte auf die Betroffenen nach. Sie nehmen Sorgen ernst und leiten Maßnahmen ein. Oft geht es darum, Hindernisse zu beseitigen, Türen zu öffnen, Ressourcen bereitzustellen oder hybrides Arbeiten zu optimieren. Kluge Unternehmen bieten ihren Leuten zudem Wachstumschancen und beweisen, dass ihnen die Gesundheit der Belegschaft wichtig ist.

Neue Welten, neue Strategien

Früher arbeiteten wir, um unser Leben zu bestreiten. Wer eine sichere Stelle hatte, konnte seinen Grundbedarf erfüllen: essen, wohnen, leben. Je besser es der Gesellschaft ging, umso mehr manifestierte sich der Wunsch nach Spaß, Erfüllung und Selbstverwirklichung. Gleichzeitig wird die Welt immer komplexer und unkalkulierbarer. In einer volatilen Umgebung suchen Menschen Sicherheit durch Anerkennung. Wer das als Unternehmen akzeptiert, kann Fachkräfte besser halten. Manager müssen zuhören, handeln, die Rahmenbedingungen den neuen Bedürfnissen anpassen und ein Umfeld schaffen, in dem Akteure jeden Tag Wertschätzung, Sicherheit, Verbundenheit und Empowerment spüren.

Natürlich lässt sich eine schwache Employee Experience nicht über Nacht nach links drehen. Alles startet mit dem Bewusstsein: Sich als Unternehmen aktiv und strategisch mit diesem Thema zu beschäftigen, legt den Grundstein. Wer das Wecken positiver Gefühle als oberste Priorität lebt, verhindert, dass Topkräfte abwandern, weil sie sich wegen überholter Rahmenbedingungen oder schlechter Stimmung nicht mehr wohlfühlen. Versäumen Führungskräfte bei ihren Leuten diese emotionalen Booster zu zünden, schleichen sich schnell negative Strömungen wie Angst, Wut, Langeweile oder Frust in den Arbeitsalltag. Überwiegt dieser Ballast, droht die Kündigung.

Zur Person

Uwe Göthert

Geschäftsführer von Dale Carnegie
Deutschland

Stand: 21.11.2022 07:45