Im deutschen Mittelstand wird heiß diskutiert, ob es sich auszahlen wird, jetzt schon schwer verdientes Geld für KI-Tools auszugeben. Unser Gastautor Dr. Andreas Dahmen zeigt, warum es sich lohnen kann, die neue Technologie schnell im Unternehmensalltag einzusetzen. So können gleich mehrere aktuelle regulatorische Herausforderungen gemeistert werden.
Die Euphorie, aber auch die Verunsicherung ist groß. Ein sehr erfolgreicher Unternehmer und Eigentümer eines mittelständischen Produktionsunternehmens sagte mir kürzlich: „ChatGPT ist doch etwas für Spinner und Spieler.“ Ihm fehle komplett „die Fantasie“, wie er die neue Technologie in seinem Unternehmen erfolgreich einsetzen könnte. Außerdem fragt er sich wie viele: „Wie kann ich denn wissen, ob die Antworten auch tatsächlich valide sind und ob ich den Antworten vertrauen kann?“
Die Entwicklung nicht verschlafen
Zugegeben: Vieles in dieser neuen Vielfalt an technologischen Möglichkeiten ist jetzt noch schwierig zu verstehen – und sicher noch nicht ganz ausgereift. Aber wir haben in Deutschland schon oft neue Technologien und innovative digitale Produkte zu spät ernst genommen und zu lange an Bewährtem festgehalten.
Wohin das führt, ist derzeit in der Automobilindustrie zu besichtigen: Ausländische Hersteller aus China und vor allem der amerikanische Elektroinnovator Tesla profitieren von steigenden E-Auto-Verkäufen. Die deutschen Automobilunternehmen fahren dagegen beim Absatz hinterher. Dazu beigetragen hat sicher der Hang deutscher Ingenieure zum Over-Engineering im Hardwarebereich. Viele Pferdestärken sind aber out. Vor allem Chinesen, aber auch immer mehr Amerikaner und zunehmend auch junge Zielgruppen in Europa verlangen im Auto vor allem Konnektivität sowie digitalen Komfort jeder Art.
Diesen Fehler der Ignoranz gespeist aus Verunsicherung sollten wir nicht bei der Nutzung von KI-Tools wiederholen. Zwar wird die Anwendung von KI den deutschen Mittelstand nicht allein davor schützen, wie Dinosaurier zu enden, aber KI erst mal gar nicht zu nutzen, würde unweigerlich dazu führen.
Wir sollten deshalb lernen, mit den Risiken umzugehen. Aber vor allem sollten wir schnell lernen, die sich daraus ergebenden Chancen zu ergreifen: Gerade der aktuelle Fachkräftemangel bietet uns in Deutschland die Chance, durch Digitalisierung oder eben Automatisierung der kaufmännischen Prozesse einen hohen Prozentsatz an heute noch notwendigem Personal einzusparen und durch digitale Prozesse zu ersetzen. Die dafür erforderlichen Ausgaben sind eine gute Investition in die Zukunft des Mittelstands, um auch künftig im weltweiten Wettbewerb mithalten zu können.
Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg werden künftig vor allem die Kosten sein. Denn in vielen Branchen sind die Märkte verteilt. Steigerungen des Gewinns durch Wachstum sind vielfach kaum mehr möglich: Mehr Geld verdienen könne also künftig nur noch, „wer kostengünstiger produzieren kann“, sagte vor kurzem einer meiner Gesprächspartner.
Was kann KI leisten?
Und genau da kann uns KI künftig helfen. Denn immer noch wissen viele Unternehmen gar nicht, welche operativen KPIs (Kennzahlen) sie verwenden sollen, um eine kosteneffizientere Leistungserstellung hinzubekommen. Fragt man die Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen, in welchen Prozessen der Leistungserstellung sie das größte Kosteneinsparungspotential besitzen, sind diese bei der Antwort häufig verlegen.
Aber wenn wir uns verabschieden müssen von wachsenden Märkten und damit steigenden Umsätzen, dann müssen die Geschäftsführungen einen transparenteren Blick auf ihre Kosten haben – vor allem in dezentralen Strukturen und in durch externes Wachstum entstandenen Konzerngruppen.
Und dabei kann KI künftig helfen: Aktuell bedeutet Reporting in Unternehmen oftmals, dass Controller die meiste Arbeitszeit zur Vor- und dann Nachbereitung der erhobenen Daten verwenden. Gleichzeitig wird ständig mit den operativen Fachbereichen diskutiert, welche denn nun die „richtigen“ Daten sind und welche nicht. Vielfach findet im Wesentlichen nur „Number-Crunching“ statt. Was nicht stattfindet: Analyse der Daten, deren Abweichungen und daraus folgend die Ableitung notwendiger Maßnahmen zum Gegensteuern.
Wenn es nun den Unternehmen gelingen würde, einen Datenraum aller digitalen Daten (Datawarehouse) zu schaffen, um dort die Daten aller IT-Systeme automatisiert (digital) einfließen zu lassen, dann sind KI-Tools z.B. auf Basis von ChatGPT in der Lage, in kürzester Zeit die Daten zu analysieren und dann dem Management die notwendigen Gegensteuerungsmaßnahmen vorzuschlagen. So erhalten die Geschäftsführungen hoch wirksame Instrumente an die Hand, um ihre Unternehmen in kurzer Zeit erfolgreicher zu machen.
Mit dem Beratungsansatz „CFO Excellence“ lassen sich beispielsweise die Herausforderungen „KI, Digitalisierung, Fachkräftemangel und ESG-Einführung“ organisch zu einem gemeinsamen Lösungsansatz verbinden. Dessen fünf Phasen werden an einem nachfolgenden Anwendungsfall beispielhaft vorgestellt.
Aufbau eines Datawarehouses
Unser Mandant ist ein Anlagenbauer, der aus einem akquirierten Verbund von 16 Unternehmen mit über 1.200 Mitarbeitern besteht. Die Projekte werden hauptsächlich auf Baustellen in ganz Deutschland erbracht. Aufgrund der Zukäufe ist eine unübersichtliche Anzahl von IT-Systemen im Einsatz; kaufmännische Prozesse werden damit auf unterschiedlichste Art und Weise durchgeführt und das Reporting beschränkt sich auf ein Finanzreporting.
Der Komplexität des Unternehmens geschuldet wird in der ersten Phase zunächst ein Pilotprojekt definiert. Das ist für den Erfolg von immenser Bedeutung, um die Funktionsfähigkeit des Datawarehouse und dessen Vorteile frühzeitig allen Beteiligten zeigen zu können.
In der zweiten Phase wird eine Bestandsaufnahme für die zentralen kaufmännischen Prozesse „Order-to-Cash“, „Purchase-to-Pay“ sowie das finanzielle und operative Reporting gemeinsam mit den Mitarbeitern des Unternehmens durchgeführt. Gleichzeitig mit der Bestandsaufnahme wird mit den Beteiligten bereits an der Soll-Konzeption der digitalen Prozesse und der zur Steuerung notwendigen KPIs gearbeitet, die in der dritten Phase nach der Abstimmung des Konzepts mit der Geschäftsführung in der Erstellung eines Anforderungskatalogs mündet. Dieser ist nun wiederum die Basis für die Ausschreibung der IT-Dienstleister in der vierten Phase. Hierbei werden für die notwendigen Leistungskomponenten des Datawarehouse die IT-Dienstleister in einem Ausschreibungsverfahren ausgewählt, da nicht jedes Tool und jeder Dienstleister zu jedem Unternehmen passt. In der fünften Phase wird dann auf Basis der Anforderungskataloge das Datawarehouse aufgebaut, in dem alle IT-Systeme des Piloten, die für die Steuerung und Transparenz des Unternehmens wichtig sind, angeschlossen werden. Im Falle des Anlagenbauers sind dies in erster Linie die Zeiterfassungs- und Warenwirtschaftssysteme sowie die Finanzbuchführung.
Nach der erfolgreichen Pilotierung wird die Anbindung der weiteren IT-Systeme der anderen Verbundunternehmen vollzogen und damit der Roll-out des Datawarehouse auf den gesamten Konzern vorgenommen. Und da die Geschäftsführung am Piloten sehen konnte, wie sie mit den dort erhobenen Kennzahlen die Steuerung bereits in kürzester Zeit verbessern konnte, werden weitere operative KPIs definiert, die über die Daten der operativen IT-Systeme abgebildet werden können.
Außerdem wird auch entschieden, das notwendige ESG-Reporting mit dem Datawarehouse voll automatisiert aufzusetzen. Zu guter Letzt wird ein Change-Projekt konzipiert und durchgeführt, um die Mitarbeiter anzuhalten, alle notwendigen Daten in die Systeme einzugeben, um die Datenqualität und damit die Aussagekraft der KPIs zu erhöhen.
Arbeitszeit und Fachkräfte werden eingespart
Mit diesem Vorgehen eines vollautomatisierten Datawarehouse aus den im Unternehmen verwendeten IT-Systemen entfällt zum einen für die Geschäftsführung die Einführung eines unternehmensweiten ERP-Systems für alle 16 Verbundunternehmen. Zum anderen wird der Finanzchef (CFO) entlastet, denn er übergibt die Verantwortung für die reporteten Zahlen an die operativ Verantwortlichen: Wenn ein solcher Verantwortlicher eine Kennzahl im Reporting des CFO sehen möchte, muss er dafür sorgen, dass seine Mitarbeiter die IT-Systeme mit den Daten füllen, über die im Reporting berichtet werden soll. Der Vorteil: Schatten-Excel-Tabellen müssen nicht mehr vom CFO akzeptiert werden, da sich das Datawarehouse die in den jeweiligen IT-Systemen eingegebenen Daten automatisch herauszieht. Alles was nicht eingegeben wird, kann damit auch nicht reportet werden. Dafür ist dann final der Bereichsleiter verantwortlich und nicht mehr der CFO oder die Geschäftsführung.
Wenn dann im nächsten Schritt die künstliche Intelligenz aus den Daten des digitalisierten (automatisierten) Unternehmens-Datenraums (also des Datawarehouses) der Geschäftsführung die notwendigen Informationen einen Klick weiter zur Verfügung stellen kann, ist der Fachkräftemangel im CFO-Bereich beherrschbar und das künftig gesetzlich vorgeschriebene ESG-Reporting verliert seinen Schrecken.
Unternehmen haben dann endlich ein Instrumentarium, um trotz stagnierender Umsätze die Margen zu erwirtschaften, die sie benötigen, um weiterhin profitabel zu sein. So kann jeder Geschäftsführer neue Herausforderungen zu seinem eigenen Vorteil nutzen – die Geschäftsführungen im Mittelstand müssen dies nur erkennen und dann konsequent handeln!
Dr. Andreas Dahmen
Digitalisierungs-Experte &
Gründer und Geschäftsführer der
GHK Management Consulting GmbH