Abfall ist nicht gleich Abfall. Oft verstecken sich darin wertvolle Rohstoffe. Um diese zu nutzen, lohnt sich für Unternehmen ein systematisches Abfallmanagement. Dabei helfen Handreichungen, etwa der Standard DIN SPEC 91436. TÜV SÜD erklärt, wie Unternehmen von einer Zertifizierung profitieren.
Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft ist ein erklärtes Ziel der EU. Abfälle im eigentlichen Sinn entstehen dann immer weniger; stattdessen werden Wertstoffe durch Verwertung wieder dem Wirtschaftskreislauf zugeführt. Doch noch geschieht das in den meisten Unternehmen zu selten. 31 Prozent ihres Abfalls haben die 40 größten deutschen Unternehmen 2023 nicht recycelt. Das besagt der aktuelle Resourcify Sustainability Index Report. Wenn Reststoffe systematisch vermieden oder wiederverwendet werden, hilft das aber nicht nur der Umwelt, sondern auch der Unternehmensbilanz.
Transparent bei der Nachhaltigkeit
Informationen zu Abfällen müssen die meisten Unternehmen außerdem jährlich in ihrem Nachhaltigkeitsbericht offenlegen. Den fordert die Corporate Sustainability Reporting Direktive (CSRD) ab 2024 schrittweise von rund 15.000 Unternehmen in Deutschland – zuerst von großen Banken und Versicherern, dann von Großunternehmen und ab 2026 auch von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Die konkreten Berichtsanforderungen sind in den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) definiert. KMU können sich entscheiden, die Berichterstattung bis maximal 2028 aufzuschieben. Diese Flexibilität gibt ihnen mehr Zeit zur Vorbereitung und zur Bestimmung der relevanten Nachhaltigkeitsaspekte.
Wer bei der sogenannten „doppelten Wesentlichkeitsanalyse“ Abfälle bezüglich der Unternehmensentwicklung oder Umweltauswirkungen als erheblich („materiell“) bewertet, muss den Umgang mit Abfällen in den Nachhaltigkeitsbericht aufnehmen. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn erstens hohe Kosten für die Entsorgung sich negativ auf das Unternehmen auswirken und zweitens Abfälle des Unternehmens Mensch und Umwelt wesentlich beeinflussen. Das meint Abfälle entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die beispielsweise Gesundheit und Umwelt schädigen. Da die Einführung eines Abfallmanagements Zeit benötigt, sollten sich auch später von der CSRD betroffene Unternehmen schon jetzt damit auseinandersetzen.
Refuse, Reduce, Recycle
Bei der Implementierung des Abfallmanagements unterstützt die DIN SPEC 91436. Eine DIN SPEC ist eine zertifizierbare Vorläuferform, aus der eine voll gültige ISO-Norm entstehen kann. Langfristiges Ziel der DIN SPEC 91436 ist das vollständige Verwerten von Reststoffen, auch mit dem Begriff „Zero Waste“ umschrieben. Der Standard ist praxisnah, da er von Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft und auch Spezialisten von TÜV SÜD gemeinsam entwickelt wurde. Er bietet einen Leitfaden, um Schritt für Schritt die Abfälle im Unternehmen vollständig zu erfassen, möglichst sorgfältig zu trennen und aufzubereiten. Prüflisten erleichtern es, den eigenen Stand beim Abfallmanagement zu beurteilen und einzustufen. Dabei gilt der Grundsatz: Der beste Abfall ist der, der gar nicht erst entsteht. Die Vermeidung ist die erste Stufe der „Abfallhierarchie“, einem u.a. im deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz enthaltenen Prinzip, auf dem auch die 2021 publizierte DIN SPEC 91436 basiert.
Ist keine Vermeidung möglich, sollten gemäß dem Standard möglichst viele Stoffe wiederverwendet werden. Dies ist etwa bei sauberen Verpackungseinheiten oder technischen Kleinteilen wie Schrauben oder Steuerungschips leicht umsetzbar. Wo die Wiederverwendung nicht möglich ist, spart ein konsequentes Recycling Abfallmengen und Entsorgungskosten. Zugleich sind Unternehmen durch die Nutzung von recycelten Materialien weniger abhängig von Lieferketten, die je nach Branche störungsanfällig sein können. Zum Re- oder Upcycling eignen sich etwa Pappen, Holzreste oder Metalle, die aus zurückgegebenen Elektrogeräten gewonnen werden. Aus Kunststoffplanen können Taschen oder Rucksäcke entstehen. Andere Stoffe lassen sich kompostieren oder in einer Biogasanlage vergären.
Alle ziehen an einem Strang
Ein effizientes Abfallmanagement kann nur gelingen, wenn alle mitmachen. Daher bietet es sich im Rahmen der Einführung der DIN SPEC 91436 an, die Mitarbeiter in einer Kommunikationskampagne von den Vorteilen zu überzeugen. Mitarbeiter haben oft Einblick, welche Herausforderungen am Arbeitsplatz bestehen, um Materialien getrennt zu erfassen, zurückzugewinnen oder wiederzuverwerten. Eine Sensibilisierung regt dazu an, Ideen, Feedback und Vorschläge zu sammeln. Anreizsysteme erhalten das Engagement im Umgang mit Reststoffen. So könnte etwa ein Teil der eingesparten Entsorgungskosten in Boni für die Mitarbeiter umgewandelt werden.
Führungskräfte sollten beispielhaft vorangehen und zeigen, dass sie die Mülltrennung ernst nehmen. Fehlwurfquoten sollten erfasst und transparent veröffentlicht werden. Wenn sie an den Abfallsammelplätzen ausgewiesen werden, ist das ein Ansporn, besonders sorgfältig zu trennen. Klare Verantwortlichkeiten im Team erleichtern es, das systematische Abfallmanagement langfristig im Blick zu behalten. Werden diese Prinzipien konsequent umgesetzt, nähern sich Unternehmen dem Ideal der Kreislaufwirtschaft.
Fünf Fragen, die sich Unternehmen stellen sollten:
- Sind wir verpflichtet, nach CSRD über Abfälle zu berichten?
- Was sind unsere Abfälle, was Wertstoffe?
- Sind unsere Abfallsammelplätze ausgewiesen und gut erreichbar?
- Kennen wir unsere Fehlwurfquote bei der Mülltrennung?
- Gibt es Mengennachweise, beispielsweise in Form von Wiegescheinen?
Erfolg im Audit? Nur mit Daten!
Ein betriebliches Abfallmanagement einzurichten, bedeutet, Prozesse anzupassen. An erster Stelle steht eine digitale Erfassung, das Monitoring und die Dokumentation der Daten zu den Abfallströmen. Denn nur was bekannt ist, kann verbessert werden. Wieviel Abfall entsteht wo? Wie wird damit umgegangen? Die Prüfung dieser Fragen zeigt oft ein Optimierungspotential bei den Kosten, etwa weil Deponiegebühren entfallen. Auch die freiwillige Auditierung gemäß DIN SPEC 91436 fokussiert die Datenerfassung, Prozesse und Dokumentation im Abfallmanagement. Dabei nutzen die Spezialisten der auditierenden Stelle die Prüflisten der DIN SPEC 91436, um Unternehmen nach ihrem Abfallmanagement in Reifegrade einzustufen. Außerdem sprechen sie mit Führungskräften und Teammitgliedern im Bereich des Abfallmanagements, begehen die einzelnen Standorte und begutachten Abfallsammelplätze. Wenn die Auditierung erfolgreich abgeschlossen ist, erhält das Unternehmen ein Zertifikat.
Gold, Silber oder Bronze?
Damit ein Zertifikat ausgestellt werden kann, muss ein Unternehmen mehr als drei Viertel seines Abfalls „positiv“ verwerten, also nicht deponieren, sondern wiederverwenden oder aufbereiten. Das Zertifikat liegt in drei Abstufungen vor, die den sogenannten Reifegrad repräsentieren. Dieser bestimmt sich u.a. (aber nicht nur) dadurch, wie hoch der Anteil der positiven Verwertung ist. Für Gold sind mindestens 95, für Silber 90 und für Bronze 85 Prozent gefordert. Außerdem fließen weitere Kriterien ein, etwa ob die Aufgaben klar verteilt sind, eine Abfallbilanz besteht und Ziele gesetzt sowie Verwertungsalternativen geprüft wurden. Die Kriterien des Reifegrads sind in den Prüflisten A, B und C erfasst. Wer die Liste A erfüllt, erhält den Reifegrad Bronze, bei A und B ist es Silber, bei allen drei Prüflisten Gold.
Praxisbeispiel: Insekten als Mülltrenner
Eine ungewöhnliche Lösung für Abfallprobleme setzt auf die Mitarbeit von Insekten. Die Larven der schwarzen Soldatenfliege ernähren sich u.a. von Fleischresten. Ein Unternehmen mit Standort in Slowenien nutzte daher diese Insekten, um mit Fleischresten verunreinigte Folien zu säubern. Die Larven weideten in kurzer Zeit die Kunststofffolien ab, sodass diese sauber zurückblieben und vollständig recycelt werden konnten. Bisher waren sie deponiert worden, was hohe Entsorgungskosten verursachte. Die Larven der Soldatenfliege können zudem als Tierfutter weiter verwertet werden. Die Umwelt freut es: Bei einer Deponierung der Folien entsteht Methangas, eine der wichtigsten Treibhausgasemissionen. Diese werden nun vermieden. Die Idee zum Einsatz der fleißigen Fliegen entstand übrigens im Rahmen einer Auditierung für die DIN SPEC 91436.
Um die Zertifizierung aufrechtzuerhalten, werden jährliche Überwachungsaudits durchgeführt. Dies bietet die Chance, den Reifegrad jedes Jahr zu verbessern. Alle drei Jahre wird ein erneutes umfassendes Audit erforderlich. Bei diesem sogenannten Re-Zertifizierungsaudit werden auch Neuerungen der DIN SPEC 91436 berücksichtigt. Viele Unternehmen erzielen schnell große Fortschritte beim Abfallmanagement – das zeigt, dass hier oft noch Potenziale schlummern.
Sinnvoll ist es, das Abfallmanagement in bestehende Nachhaltigkeitsinitiativen zu integrieren. Das verbessert die Akzeptanz und Zeitplanung im Unternehmen. Wer etwa Audits geschickt kombiniert, spart Kosten. So kann die Zertifizierung nach DIN SPEC 91436 mit der Auditierung des Umweltmanagementsystems nach ISO 14001 verknüpft werden. Eine solche gemeinsame Auditierung ist preiswerter als die jeweiligen Einzel-Audits. Außerdem erhöht eine Zertifizierung nach DIN SPEC 91436 die Erfolgschancen bei der ISO 14001. Unabhängige Prüfdienstleister, etwa der TÜV SÜD, führen die Audits vor Ort im Unternehmen durch.
Für die Zukunft aufgestellt
Bislang sind die Einführung und Zertifizierung des Abfallmanagements ein freiwilliger Prozess. Die EU hat sich mit ihrem Green Deal zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Anstrengungen auch bei der Abfallvermeidung werden sich also voraussichtlich vergrößern. Dazu müssen Unternehmen ihren Teil beitragen. Zunehmend muss die Wirtschaft auch in ihrer Berichterstattung Rechenschaft leisten über ihre Anstrengungen bei der nachhaltigen Nutzung von Ressourcen.


TÜV SÜD Management Service GmbH Ridlerstraße 57
80339 München
julia.bulling@tuvsud.com
alice.beining@tuvsud.com
www.tuvsud.com/tms
Bilder: TÜV SÜD