Klare Prozesse, starke Menschen, mehr Profit: So funktionieren Teams besser ohne Chef

Damit ein Unternehmen Gewinn macht, braucht es jemanden, der den Überblick behält. Das gelingt nur, wenn das Daily Business auch ohne diese Führungskraft reibungslos funktioniert. Wie es gelingt, dass Chefs sich aus dem operativen Geschäft komplett zurückziehen und der Betrieb trotzdem rund läuft, weiß Businesscoach Philip Semmelroth.

Viele Unternehmer haben kein System, um mit Mitarbeitern erfolgreich zu werden. Die meisten arbeiten zu viel an den falschen Baustellen. Sie verzetteln sich im Tagesgeschäft und verlieren wichtige Aufgaben aus dem Blick. So mancher GmbH-Chef verbringt seine Zeit damit, die Arbeitswoche seiner Teams zu strukturieren, To-Dos zu verteilen, Projekte abzustimmen und Ergebnisse zu kontrollieren. Dieses Top-Down-Prinzip funktioniert nicht mehr.

Zum einen ist in komplexen Zeiten niemand in der Lage, in jedem Teilbereich zu glänzen. Dafür braucht es Fachkräfte. Außerdem fehlt schlicht die Zeit, sich als Chef um alles zu kümmern. Eine Firma im Alleingang zu führen, Strategien zu entwickeln und die Umsetzung an allen Fronten zu koordinieren, erweist sich als Ding der Unmöglichkeit. Die gute Nachricht: Ein intaktes System braucht im Alltag auch gar keinen Chef. Wer als Entscheider im Daily Business mitarbeitet, gefährdet im Gegenteil die Firma. Mit einer „Ohne mich läuft nix“-Attitüde wird jede Aktion zum Nadelöhr. Diese Haltung frustriert Mitarbeiter, Kunden und am Ende auch den Inhaber.

Denn wer behält den Überblick, während der Chef Adressen recherchiert? Wer beobachtet den Wettbewerb, durchdenkt die Kundenstruktur, behält Preispolitik und Recruiting im Auge, wenn die Führungskraft Termine koordiniert? Am Ende fehlt die Zeit für Aktivitäten, die wirklich einen Unterschied machen. Im bittersten Fall steht ein Großkunde vor der Tür und der Entscheider bemerkt es nicht, weil das Tagesgeschäft ihn vollends blockiert. Wer als Unternehmer erfolgreich sein will, zieht sich daher so bald wie möglich aus dem operativen Geschäft zurück. Nur dann findet er Zeit und Energie, das System als Ganzes zu optimieren und weiterzuentwickeln. Er kümmert sich um Strategien, Wachstum, Schlüsselkunden und die eigene persönliche Weiterbildung – aber nicht um Jobs, für die eigentlich die Mitarbeiter da sind. Gewinnorientierte Inhaber stellen sich niemals selbst auf den Platz.

Chaos vermeiden statt beherrschen

Damit der Rückzug gelingt, lassen sich mehrere Hebel ziehen. Wer in seiner Abwesenheit Chaos vermeiden und das Business profitabel aufstellen will, braucht ein funktionierendes System mit guten Standards und Prozessen. Sie geben Struktur und Orientierung. Durchdachte Fahrpläne aufzustellen, bedeutet richtig viel Arbeit. Doch die Mühe zahlt sich vielfach aus. Klare Abläufe verbessern Effizienz, Planbarkeit und Kalkulation und reduzieren den Leerlauf. Gleichzeitig wird deutlich, welche Angebote unverhältnismäßig aufwendig sind und gestrichen werden können. Brauchbare Prozesse machen das Geschäft zudem skalierbar und erhöhen die Attraktivität für Bewerber und potenzielle Käufer.

Das Sicherheitsgefühl durch Routinen beflügelt besonders. Jeder im Team weiß, was in welcher Situation, in welcher Reihenfolge, wie und in welchem Umfang zu tun ist. Jeder kennt die Handlungsspielräume und Grenzen. Schnitzer und Rückfragen nehmen rapide ab. Je weniger Selbstmanagement und Planung im Alltag nötig sind, desto eher erreichen Mitarbeiter die Ergebnisse auch dann, wenn sie mal einen schlechten Tag haben. Selbst Azubis können so schnell hochwertige Leistungen abwickeln.

Saubere Prozesse entstehen, indem Führungskräfte aus Einzelideen die beste Lösung destillieren, diese aufschreiben und alle dazu verpflichten. Am Anfang schaut der Chef seinem Team mit dem Blick auf Grundlegendes über die Schulter. Wo hakt es immer wieder? Was dauert unverhältnismäßig lange? Wo gibt es häufig Missverständnisse? Auch Reklamationen sind ein Barometer. Parallel protokollieren Fachkräfte ihre einzelnen Handlungsschritte. Das Vorgehen, das sich am Ende als so gründlich wie effizient entpuppt, wird zum Muster erklärt. Ab sofort ist dieser Ansatz verbindlich. Mögliche Fragen bereinigen alle gemeinsam. Die finale Beschreibung muss so simpel sein, dass sie Neuzugänge in die Lage versetzt, die Dienstleistung ohne Hilfe zu erbringen.

Treppengeländer geben Sicherheit

Der häufigste Einwand bei diesem Vorgehen ist, es sei Gängelei. Fachkräfte würden in ihrer Freiheit und Entscheidungskompetenz begrenzt. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Die Vorgaben engen nicht ein, sondern bilden Treppengeländer, an denen sich alle bei Bedarf festhalten können. Auch Piloten arbeiten vor jedem Start im Cockpit penibel und zu zweit eine Checkliste ab – obwohl sie schon tausende Male geflogen sind. Solche Schriftstücke geben Sicherheit, erleichtern den Alltag und machen auch in stressigen Situationen handlungsfähig.

Standards bedeuten nicht, moderne Fließbandarbeit salonfähig zu machen. Vielmehr optimieren sie den Einsatz von Ressourcen, vereinfachen Daily Jobs und befreien von unprofitablen Aktivitäten. Mit den Veränderungen starten Inhaber am besten dort, wo sich schnell positive Effekte einstellen, bei häufig anfallenden Jobs (z.B. Rechnungsstellung) oder in Bereichen, wo Kunden regelmäßig Rückfragen haben.

Durch gezielte Überforderung das Selbstbild stärken

Nun ist es Aufgabe des Teams, die Muster mit Leben zu füllen. Die Performance des Einzelnen steigern Führungskräfte, indem sie das Spielfeld für autarke Entscheidungen bereitstellen und jedem das Selbstbewusstsein für Torschüsse verleihen. Es gehört mehr denn je zur Führungsaufgabe, das Selbstbild der Mannschaft zu pushen. Der Unternehmenserfolg hängt extrem vom Selbstvertrauen der Akteure ab. Denn wie leistungsfähig jemand wirklich ist, bestimmt nicht die Qualifikation. Ergebnisse im Job hängen vielmehr davon ab, wie sehr Handelnde sich einbringen und wie stark sie bereit sind, ihre eigenen Ressourcen zu mobilisieren.

Viele Mitarbeiter bremsen sich jedoch selbst aus. Innere Dialoge wie „Das schaffst du eh nicht“ beeinflussen das Handeln so sehr, dass fähige Talente von Menschen überholt werden, die einfach weniger an sich zweifeln. Selbstsichere Kollegen schlüpfen seltener in die Opferrolle, brauchen weniger Zuspruch und entscheiden autarker und schneller. Das macht sich im Umsatz bemerkbar. Kunden suchen Sicherheit und greifen bei dem zu, der sein Angebot am überzeugendsten präsentiert.

Wer mit gesundem Ego im Kundengespräch einen starken Auftritt hinlegt, verkauft mehr als ein schüchterner Kandidat. Das Selbstbild des Einzelnen stärken Chefs, indem sie Zweifel ausräumen, gute Ergebnisse loben und an tolle Leistungen erinnern. Der besondere Hebel allerdings ist die gezielte Überforderung. Selbstbewusstsein wächst durch positive Erfahrungen, durch das Überwinden unbezwingbar erscheinender Hürden. Im Joballtag bedeutet das, Kollegen vor kontrollierte Wachstumssituationen zu stellen, die sie aus ihrem Wohlfühlbereich zwingen und Erfolgserlebnisse
verschaffen. Mit einem kleinen Anstoß wird aus Angst jede Menge Stolz. Ist die Herausforderung gemeistert, belohnt der Chef Ergebnisse, keine Aktivitäten. Das vermeidet blinden Aktionismus.

Der Chef ist kein Babysitter

Damit der Ausstieg aus dem Tagesgeschäft wirklich gelingt, müssen Führungskräfte vor allem eines: loslassen. Diese Lektion mussten viele schon beim Homeoffice lernen. Wo früher alles über Sicht- und Anwesenheitskontrolle lief, weichen heute die Grenzen auf. Unternehmen können schneller agieren und höher wachsen, wenn Chefs den richtigen Menschen maximal vertrauen.

Natürlich wird auch einmal was schiefgehen. Garantien gibt es nicht. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Doch mehr Kontrollen merzen diesen Fakt nicht aus, sondern verlangsamen nur das System. Wer zudem weiß, dass jemand anderes die Lage noch mal prüft, identifiziert sich weniger mit seinem Auftrag. Allein Verantwortliche arbeiten sorgfältiger, engagierter und lernen mehr aus ihren Fehlern.

Die Show dem Team überlassen

Inhaber müssen lernen, ein rationales Verhältnis zu ihrem Unternehmen aufzubauen. Viele hängen emotional zu sehr an ihrem Betrieb. Sie behandeln ihre Firma wie ein Baby. Sie opfern sich Tag und Nacht auf, investieren Geld und Energie in Herzensprojekte, die zum Scheitern verurteilt sind. Wer emotional zu sehr drinhängt, steht sich selbst im Weg. Um ein Business profitabel führen zu können, sollten Eigentümer es als das betrachten, was es ist: ein Instrument für ein erfülltes Leben. Profis lösen sich von einer Haltung, die mehr von sentimentaler Anhänglichkeit als von nüchterner Rationalität geprägt ist. Elterliche Gefühle sind hier fehl am Platz.

Sich als Chef herauszuziehen und dem Team die Show zu überlassen, freut auch die Mitarbeiter. Viele wünschen sich flache Hierarchien, Mitspracherecht und Selbstverwirklichung. Wenn Führungskräfte sich zurückhalten, Verantwortung übergeben und die Füße im Tagesgeschäft still halten, kommen sie den modernen Bedürfnissen der Menschen entgegen. Nur wenn das komplette Business – von Recruiting über Kundenmanagement, von Reklamation über Buchhaltung – völlig ohne Rudelführer läuft, kann dieser den Überblick behalten und die Firma profitabel aufstellen und führen.

Zur Person

Philip Semmelroth
Business-Strategie-Experte, Unternehmer
und Bestsellerautor

www.Philip-Semmelroth.com


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