Die Insolvenzzahlen verharren auch weiterhin auf überraschend niedrigem Niveau. Doch der Schein trügt: Viele Firmen konnten nur überleben, weil die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt war. Diese Phase endete jedoch am 30.4. Kommt nun die große Insolvenzwelle?
„Ziel erreicht!“ könnte man sagen. Zumindest ein wichtiges Ziel der Bundesregierung: Die ahnte vor einem Jahr, dass die Corona-Pandemie zu einer Welle von Insolvenzen führen könnte. Deshalb setzte sie frühzeitig die Pflicht zur Insolvenzanmeldung bei pandemiebedingter Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung aus. Diese Regelung wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 30.4.2021, jedoch nur noch bei Überschuldung. Und tatsächlich: Während die Inzidenzzahlen stiegen und stiegen, blieb der von Vielen prognostizierte rasante Anstieg der Insolvenzzahlen aus.
Alles gut also? Nicht ganz. Im Herbst geisterte das hässliche Wort von den „Zombie-Unternehmen“ durch die Medienlandschaft. Über die „Zombifizierung der Wirtschaft“ schrieb beispielsweise die „WirtschaftsWoche“ vergangenen Herbst und meinte damit, dass die Zahl derjenigen Betriebe stark zunehme, die unproduktiv und ohne gutes Geschäftsmodell seien und künstlich beatmet würden. Das Magazin zitierte auch Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. „Zombies sind Spreader, die durch ihr unternehmerisches Handeln ihre Geschäftspartner, Lieferanten und Kreditgeber infizieren.“ Dies könne etwa durch ruinöse Preiskämpfe geschehen oder dadurch, dass Rechnungen nicht oder zu spät bezahlt würden. Es drohten „Zweitrundeneffekte“ – also Anschlussinsolvenzen ursprünglich solider Firmen.
Es folgte der zweite Lockdown und damit eine bedrohliche Situation für zahlreiche Unternehmen, aber es folgte weiterhin keine Pleitewelle. Der Staat zahlte weiterhin Hilfen in beträchtlichem Umfang und setzte die Insolvenzantragspflicht immer weiter aus. Doch damit ist nun Schluss. Seit dem 1.5. gilt wieder das alte Insolvenzrecht, und damit die uneingeschränkte Anmeldungspflicht.
Deshalb schlugen die Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg und die Creditreform Bonn Rossen KG Ende April Alarm. Sie warnten vor einer Trendwende bei den Insolvenzen und forderten weitere Unterstützungsmaßnahmen. Hintergrund: Creditreform Bonn hatte zuvor eigene regionale Zahlen ausgewertet – mit alarmierenden Ergebnissen. „Nachdem wir im Jahr 2020 in Bonn/Rhein-Sieg eine rückläufige Insolvenzentwicklung beobachten konnten, scheint sich nun im ersten Quartal 2021 eine Trendwende abzuzeichnen“, sagt Creditreform-Bonn-Geschäftsführer Jörg Rossen.
Indikator: Deutliche Zunahme der Verbraucherinsolvenzen
Wie Creditreform Bonn herausfand, haben die Verbraucherinsolvenzverfahren im ersten Quartal 2021 gegenüber dem Vorjahresquartal um 52% zugenommen. Rossen: „Der Anstieg ist vermutlich zu einem großen Anteil auf die im Januar in Kraft getretene Verkürzung der Verfahrensdauer zur Restschuldbefreiung auf drei Jahre zurückzuführen.“ Schuldnerberatungsstellen hätten in der zweiten Jahreshälfte 2020, als die Gesetzesnovelle mit der Erleichterung für Schuldner im Verbraucherinsolvenzverfahren absehbar war, dahingehend beraten, den Insolvenzantrag erst im neuen Jahr zu stellen. „Unabhängig von diesem Nachholeffekt verdichten sich die Anzeichen für eine Zunahme der Verbraucherinsolvenzen ebenso wie die Unternehmensinsolvenzen aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung“, erklärt Rossen weiter. Bei den Unternehmensinsolvenzen scheine der Abwärtstrend des Vorjahres nun auch in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis gebrochen zu sein. „Die Firmenpleiten bewegen sich im ersten Quartal 2021 auf dem Vorjahresniveau“, betont Rossen, „und sie werden im zweiten Quartal steigen.“
Bestätigung für diese Einschätzung kommt beispielsweise vom DEHOGA-Bundesverband. Der veröffentlichte Ende April die Ergebnisse einer aktuellen Branchenumfrage, an der sich über 4.700 gastgewerbliche Unternehmen beteiligten. „Jeder vierte Unternehmer (25,6%) zieht eine Betriebsaufgabe in Erwägung“, teilte der Verband mit. „6,1% der Betriebe sehen konkret die Gefahr, dass sie in den nächsten drei Wochen einen Insolvenzantrag für ihren Betrieb stellen müssen.“
Auch die IHK Bonn/Rhein-Sieg befürchtet eine Trendwende. Bislang hätten die direkten Hilfen wie auch die rechtlichen Regelungen im Insolvenzrecht einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen verhindert, sagt Regina Rosenstock, Gesamtbereichsleiterin Unternehmensförderung. Nun seien laut jüngsten Zahlen von IT.NRW die Privatinsolvenzen bereits um 29% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. „Darunter sind wahrscheinlich auch viele Soloselbstständige und Kleinunternehmen in den geschlossenen Branchen“, erläutert Rosenstock, „die ohne Perspektive nun die Geschäftstätigkeit einstellen, um den weiteren finanziellen Schaden von sich abzuwenden, denen aber auch häufig der Durchhaltewille verloren gegangen ist.
„Ein Neustart wird für viele betroffene Unternehmen ohne erforderliche Rücklagen ein Kraftakt“, glaubt Rosenstock. Denn trotz der Fördermaßnahmen hätten viele Unternehmen nach den mehrfachen Vorbereitungen auf eine Wiederöffnung ihre Rücklagen aufgebraucht und könnten Waren und Betriebsmittel nicht mehr aus eigener Kraft vorfinanzieren.“
Es kommt nun darauf an, Risiken zu reduzieren
Der 1.5. ist jedenfalls eine Zäsur für die künftige Insolvenzentwicklung. „Jetzt zeigt sich, wer auch ohne gesetzliche Sonderregelungen ein wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell und zudem seine Finanzierung im Griff hat“, ist Creditreform-Bonn-Geschäftsführer Rossen überzeugt.
Die Konsequenz: Auch Lieferanten, Geschäftspartner und Kreditgeber beobachten nun angespannt die Entwicklung. Und tun gut daran. „Gerade jetzt kommt es für alle aktiven Unternehmen darauf an, das Risiko von Forderungsausfällen bei Kunden und auch Produktionsstopps durch ausgefallene Lieferanten zu reduzieren“, betont Rossen. Selbst langjährige und verlässliche Geschäftspartner können durch die anhaltende Wirtschaftskrise in Schieflage geraten sein.
Gerade jetzt: Die Kostenseite nicht aus den Augen verlieren
Unternehmen sollten derzeit bei sämtlichen Geschäftsprozessen die Zahlen besonders genau im Blick behalten. Das notwendige Risikomanagement beginnt bereits bei der Kundenakquise. „Gerade jetzt, wo alte Geschäftsmodelle auf den Prüfstand geraten und viele sich neue Geschäftsfelder und Kunden erschließen, ist es entscheidend, zuverlässige, bonitätsstarke Kunden zu gewinnen“, empfehlen Rossen und Moritz von Padberg, Geschäftsführer der Creditreform Köln v. Padberg GmbH & Co. KG.
Firmen sollten sich deshalb detailliert über Neukunden informieren und alle relevanten Informationen zusammentragen – die von Auskunfteien wie Creditreform ebenso wie die des eigenen Vertriebs, der mit den Kunden im Gespräch ist. Auch die Ausfallwahrscheinlichkeit lässt sich bestimmen – von der verzögerten Zahlung oder Lieferung über die Nichtzahlung oder -lieferung bis zur Insolvenz. Das alles sollte in ein Kunden- und Kreditmanagement als Teil des Risikomanagements einfließen – frühzeitig und systematisch. Gleichzeitig sollte man die bestehenden Geschäftsbeziehungen im Blick behalten und auch dort die Bonität kontinuierlich überwachen.
Wichtig: ein straffes Forderungsmanagement
Nächster Schritt: ein straffes Forderungsmanagement und Mahnwesen. „Firmen sollten sofort nach Leistungserbringung die jeweilige Rechnung stellen und dabei unbedingt auf die korrekte und vollständige Aufzählung ihrer erbrachten Leistungen und der vereinbarten Preise achten“, rät Padberg. Und auf die Zahlungseingänge!
Trotzdem kommt es immer wieder zu Zahlungsverzögerungen und -ausfällen. Deshalb: Keine Scheu vor schriftlichen Mahnungen. Sie dokumentieren den Zahlungsanspruch und verleihen einer Forderung Nachdruck. Zwei Mahnstufen genügen: „Erinnerung“ und „Letzte Mahnung“. Außerdem sollte eine Liefer- oder Leistungssperre als mögliche Folge an den Schuldner kommuniziert werden. Wird nicht gezahlt, kann man Kontakt aufnehmen und versuchen, strittige Punkte telefonisch zu klären. Führt das zu keinem Ergebnis, sollte man anschließend unverzüglich einen Inkassodienstleister und bei strittigen Forderungen eine Anwaltskanzlei mit dem Forderungseinzug beauftragen.
Auf die Kommunikation kommt es an Die Zeiten sind turbulent. Auch viele gesunde Unternehmen sind von der Coronakrise betroffen – oder geraten jetzt in die Krise, weil Kunden und einst verlässliche Geschäftspartner ausfallen. Stichwort „Zweitrundeneffekt“. Was können sie in diesem Fall noch tun? Schließlich sind und bleiben sie ja ihrerseits von Finanzierungspartnern und ihrem guten Namen abhängig.
Bei ihrer Bonitätsbewertung von Unternehmen sind Wirtschaftsauskunfteien wie Creditreform strengen Regeln unterworfen. „Creditreform kann deshalb auch und gerade in diesen von Unsicherheit geprägten Zeiten eine Positiv-Bewertung nicht per se zusichern“, unterstreichen Jörg Rossen und Moritz von Padberg. „Aber wir informieren unsere Kunden auf Wunsch laufend über die Veränderungen ihrer Bonität, sodass sie den Zeitfaktor für sich nutzen und bei eventuellen Veränderungen schnell Gegenmaßnahmen einleiten können.“ Viele Firmen hätten in den vergangenen Monaten diese Selbstauskunft angefordert.
„Auf dieser Basis können wir auch miteinander reden. Wir messen das reale Risiko – aber verantwortungsbewusst und mit Augenmaß.“ Deshalb sollten umsichtige Unternehmen frühzeitig und regelmäßig das Gespräch suchen und transparent kommunizieren.
Seit der Gründung im Jahr 1879 ist es das Ziel von Creditreform, Unternehmen vor Forderungsausfällen zu schützen, die Liquidität vernichten und den Fortbestand von Unternehmen gefährden. Dieser Maxime sind alle Lösungen und Angebote von Creditreform verpflichtet.