Zu viel Fokus auf Formalqualifikationen verhindert nachhaltiges Business Development
Wer als Projekt- oder Interim-Manager unterwegs ist, sieht sich in der Regel mit Ausschreibungen konfrontiert. Unternehmen und Projektvermittler, sogenannte Provider, beschreiben hier jeweils sehr minutiös, was sie suchen, oder besser gesagt, was sie glauben zu suchen. Nicht selten mündet dieser Glaube in eine ganze Reihe von Detailanforderungen: Berufsabschlüsse, Sprachkompetenzen, IT-Skills, bestimmte Projektmanagement-Methoden und -Tools, spezifische, ähnlich gelagerte Projekterfahrungen aus der Vergangenheit, Branchenkenntnisse sowie persönliche Eigenschaften. Gesucht wird die eierlegende Wollmilchsau. Dieses Vorgehen ist auch nicht falsch, weil es die Entscheidungsgrundlage für oder gegen einen Bewerber transparent macht und so beide Seiten wissen, was idealerweise erwartet wird. Der Suchraum wird so aber weitgehend über die Charakteristika bisheriger Lösungsansätze definiert. Eine abstrahierte Formulierung des Problemraums findet nicht statt, so dass sich letztlich auch das Projekt selbst wahrscheinlich in einem eng definierten Lösungsraum bewegen wird.
Kreative Lösungskompetenz wird nicht abgebildet
Dieses Vorgehen hat also Nachteile, die insbesondere, wenn es um ein strategisches Business Development oder Innovationsmanagement geht, gravierend sein können. Das Denken „out of the box“, kreative Lösungskompetenzen, die Fähigkeiten, Probleme schnell zu erfassen und unkonventionell zu beheben, sowie die Verfügbarkeit von Kompetenznetzwerken, die Entscheidungen optimieren helfen, werden in aller Regel durch die bulletpointartigen Ausschreibungskriterien nicht erfasst. Genau diese Fähigkeiten sind es aber, die in einer komplexen, flexiblen und volatilen Welt mit all ihren schnellen Veränderungen viel zum Erfolg eines Projektes beitragen. Ob jemand gut führen, den Projektbeteiligten Wertschätzung geben und gegenüber dem Auftraggeber mit der gebotenen Autorität auftreten sowie auf die tatsächlichen Herausforderungen hinweisen kann, kann durch die Formalanforderungen einer Projektausschreibung allenfalls interpretiert werden. Persönlichkeiten und Lebenserfahrungen im weiteren Sinne stehen zumeist nicht in Lebensläufen und Expertenprofilen.
Technologiefolger oder Innovator
Oft wird die Forderung aufgestellt, in der exakt gleichen Tool-Umgebung und Aufgabenstellung bereits x-mal gearbeitet zu haben, am besten in den letzten fünf Jahren. Das bedeutet aber einerseits, nur oberflächliche Lösungen in Form von „Quick Wins“ generieren zu können, und es führt andererseits zu einer „Kopie von ..“ als Ergebnis. Die Ergebnisse machen Unternehmen und Produkte dann eher zu „Technologiefolgern“ als zu echten Innovatoren und Innovationen. Wenn es stimmt, dass sich Unternehmen und Märkte heute in einer VUCA-Welt bewehren müssen, und das jeweilige Geschäftsumfeld immer komplexer wird, dann können die so gefundenen Standardantworten nicht die richtigen sein.
Für Projekt- und Interim Manager sollte deswegen mehr denn je gelten: Viele, sehr unterschiedliche Projekte in ganz verschiedenen Branchen sind eine Referenz, insbesondere dann, wenn die genannten Projekte über einen längeren Zeitrahmen liefen und erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Praxiserfahrung zählt, und das Finden von Lösungen.
Branchenkenntnis ist gut, neue Perspektiven sind besser
Bestimmte Kriterien in Ausschreibungen werden überschätzt und verhindern nicht selten, dass tatsächlich der Beste am Ende mandatiert wird. Wer in der Lage ist, sich schnell in eine neue Aufgabe, eine neue Branche und in neue Produkte hineinzudenken, ist meist der geeignetere Berater als der, der die Branche seit vielen Jahrzehnten kennt und eben nicht die bereits eingefahrenen Wege meidet. Innovationen und neue Services entstehen aus der Perspektive des Kunden und des Marktes, nicht aus der Kenntnis dessen, was bisher gegolten hat. Zu viel Insider-Wissen kann schaden und Innovationen verhindern.
Sachkompetenz ist die Pflicht, nicht die Kür
Das bedeutet nicht, dass Sachkenntnis kein Kriterium sein soll. Ganz im Gegenteil sollte ein Projektmanager ein tiefgreifendes Verständnis des Projektgegenstandes und des technologischen Umfeldes haben. Natürlich ist es wichtig, dass man sich bei einem Projekt in der IT oder in der Telekommunikation mit den Themen kritische Infrastruktur oder öffentliche Netze auskennt. Natürlich ist es ebenso sinnvoll, dass die Basics in Sachen Projektmanagement, Rechtsrahmen, Betriebswirtschaft und Organisationsentwicklung vorhanden sind. Aber es zählen eben auch Kompetenzen, die mit Kreativität und unkonventionellem Denken und Handeln zu tun haben – und für die es den passenden Bulletpoint nicht gibt.
Es sollten andere Fähigkeiten im Vordergrund stehen und den Ausschlag geben – beispielsweise sich schnell in neue Geschäftsfelder und Technologien einzuarbeiten und das Problem mit einem unbeeinflussten Blick zu analysieren. Genau das ist es ja, was einen guten Projekt- oder Interim Manager ausmacht.
Ausschreibungen und Bewerbungsprozesse mutiger gestalten
Die Provider müssen lernen, mehr zwischen den Zeilen zu lesen, und sie müssen flexibler werden in den Ausschreibungen. Das Entscheiden auf Aktenbasis greift zunehmend zu kurz. Stattdessen braucht die Persönlichkeit des Gesuchten mehr Raum als in früheren Zeiten, als Projekte und Märkte noch statischer waren. Auf der anderen Seite sollten sich Projektmanager mehr trauen, sich auch auf Mandate zu bewerben, auf die sie augenscheinlich nicht uneingeschränkt passen. Wer sich zutraut, ein Projekt zu managen, Lösungen zu finden und Ziele zu erreichen, wird wahrscheinlich auch dazu in der Lage sein. Das jedenfalls lehrt die Erfahrung. Am Ende zählen Ergebnisse, nicht Voraussetzungen.
Generalisten sind gefragt
Im Fokus sollten die Ziele stehen und diejenigen, die sich zutrauen, diese zu erreichen. Bulletpoints sind hier nur ein Instrument, um einen Matching-Prozess zu gestalten. Ein Ausschlusskriterium sollten sie nicht sein. Generalisten sind gefragt, solche, die sich schnell in ein Thema hineindenken und sich an die Situation anpassen können. Der technologische Fortschritt durch generative KI und kollaborative, cloudbasierte Netzwerke tut sein Übriges, dass sich Generalisten gegenüber den Spezialisten durchsetzen, deren Wissen sich allein durch Bulletpoints erfassen lässt.
Neue Formen des Bewertungs- und Ausschreibungs-Engineering
Ausschreibungen haben sich dank KI zwar gegenüber der alten Stichwortsuche fortentwickelt, leider aber eben in die falsche Richtung: KI kann die Stichwortliste freier interpretieren und als synonyme Angaben finden, aber sie wird sich aufgrund der Aufgabenstellung nicht von ihr lösen können. KI kann noch nicht abstrahieren. Deswegen kommt es auf diejenigen an, die Projekt- und Interim Manager suchen und auf diejenigen, die die Ausschreibungen formulieren. Kreatives und flexibles „Ausschreibungs- und Bewertungs-Engineering“ ist gefragt.
Thomas Pförtner ist Projekt- und Interim Manager. Er realisiert neue Geschäftswerte durch fokussierte Projekte und ist immer dann gefragt, wenn es um strategisches Wachstum durch technische Innovationen geht. Zu seinen Auftraggebern zählen wachstumsorientierte Unternehmen aus der IT/K-Branche, der Chip- und Halbleiterindustrie sowie aus Produktion und Fertigung.
Als Universalist verbindet er umfassendes technologisches Wissen über Chips und Halbleiter sowie moderne Fertigungsverfahren und Werkstoffe mit Praxiswissen über Netze, Server, moderne IT-Services und EDV. Ergänzt wird sein Kompetenzportfolio um strategisches Unternehmensmanagement-Know-how und Erfahrungen in den Bereichen Qualitätssicherung, Risikobewertung, Finanzen, Einkauf, Fertigung, Vertragswesen, Führung und Prozessteuerung. Er wirkt als Generalist. Technologie ist für ihn Mittel zum Zweck – mit und für die Menschen, die sie anwenden. Er steht für greifbare Ergebnisse und eine nachhaltige Umsetzung in der betrieblichen Praxis. Seine ganzheitliche Sicht auf menschliche, technologische, betriebswirtschaftliche, gesellschaftliche und ethische Fragestellungen in einer volatilen Geschäftswelt bringt der Diplom-Ingenieur und ausgezeichnete Interim Manager auch in verschiedene Fachzirkel und Gremien ein. Wegen seiner tiefgründigen Analysen und seiner systemisch-generalistischen Denkansätze ist er zudem als Autor in Fachmedien gefragt sowie als Experte im Rahmen von Workshops, Tagungen und Kongressen.
Weitere Informationen unter: www.pfoertner-net.de