Inkongruente Gewinnverteilung: Zulässigkeit auch aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses

Kann eine inkongruente (disquotale) Gewinnausschüttung durch einen Gesellschafterbeschluss mit steuerlicher Wirkung beschlossen werden, wenn die Satzung der Gesellschaft grundsätzlich eine Ausschüttung entsprechend der Beteiligungsquote vorschreibt? Diese Frage hatte der BFH in seinem Urteil vom 29.8.2022 zu entscheiden.

Laut Sachverhalt war S zu 50 Prozent an der A-GmbH und zu 100 Prozent an der B-GmbH beteiligt. Die B-GmbH war ebenfalls zu 50 Prozent an der A-GmbH beteiligt. Die Gesellschafter der A-GmbH – also S und die B-GmbH – fassten in den Streitjahren jeweils einstimmig Gewinnausschüttungsbeschlüsse, wonach die Ausschüttungen ausschließlich an die B-GmbH erfolgen sollten. Der Gesellschaftsvertrag der A-GmbH enthielt keine Regelungen zur Gewinnverteilung. Diese waren daher entsprechend den Beteiligungsverhältnissen zu verteilen (§ 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG).

Das Finanzamt (FA) sah die Ausschüttungsbeschlüsse wegen der inkongruenten Verteilung der Gewinne als zivilrechtlich nichtig an und unterwarf die hälftigen Ausschüttungsbeträge bei S als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG der Besteuerung.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Der BFH wies die Revision des FA gegen das zugunsten der Kläger ergangene Urteil des FG als unbegründet zurück: Ein punktuell satzungsdurchbrechender Beschluss über eine inkongruente Ausschüttung, der von der Gesellschafterversammlung einstimmig gefasst worden ist und von keinem Gesellschafter angefochten werden kann, ist als zivilrechtlich wirksamer Ausschüttungsbeschluss entgegen der Sichtweise der Finanzverwaltung der Besteuerung zugrunde zu legen. Ein Gesellschafter, an den nach einem solchen Beschluss kein Gewinn verteilt wird, verwirklicht nicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Es liegen daher nur offene Gewinnausschüttungen der A-GmbH an die B-GmbH und keine Ausschüttungen an die Kläger vor.

Der BFH verneinte auch einen Gestaltungsmissbrauch, weil S als Kläger keinen steuerlichen Vorteil erzielt hatte. Zwar waren die überquotalen Ausschüttungen ausschließlich einer GmbH (der B-GmbH) zugutegekommen, die der Kläger als deren alleiniger Gesellschafter beherrschte. Der „Verzicht“ des Klägers auf den Empfang von Ausschüttungen bewirkt jedoch nur eine zeitliche Verschiebung der Einkünfteerzielung, nicht aber eine steuerliche Statusverbesserung. Denn eine Ausschüttung der auf die empfangende GmbH verlagerten Gewinne durch diese an den Kläger würde nach den gleichen
Bedingungen besteuert werden wie eine Ausschüttung in den Streitjahren.

Im Urteilsfall blieb die Ausschüttung an die B-GmbH im Ergebnis zu 95 Prozent steuerfrei (§ 8b Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 5 KStG). Die B-GmbH konnte die erhaltenen Ausschüttungen nahezu vollständig zur Finanzierung geplanter Investitionen oder für Ausschüttungen in der Zukunft verwenden. Voraussetzung dafür war, dass die B-GmbH zu Beginn des Kalenderjahres mit mindestens 10 Prozent am Stammkapital der ausschüttenden Gesellschaft beteiligt war (§ 8 Abs. 4 KStG), was laut Sachverhalt der Fall war.

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