Haftpflichtversicherung für „Führungskräfte“ (D&O-Versicherung)

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 16. Januar 2025, Az. 7 W 20/24


Kardinalpflichten, deren Verletzung zu einer Leistungsfreiheit führt

(OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 16. Januar 2025, Az. 7 W 20/24)

– Der Fall und die Entscheidung:

Der Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) lag ein Antrag eines Insolvenzverwalters auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen den D&O-Versicherer des Geschäftsleiters des insolventen Unternehmens zugrunde. Streitpunkt war insbesondere, ob der Versicherungsschutz wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen ist. Der Versicherer hatte sich auf Leistungsfreiheit berufen, da der Geschäftsführer gegen zentrale Pflichten verstoßen habe, insbesondere gegen das Zahlungsverbot nach § 64 GmbHGesetz alte Fassung (heute § 15b Insolvenzordnung – InsO) und die Pflicht zur rechtzeitigen Insolvenzantragstellung.

Das OLG Frankfurt/Main konkretisiert in dieser Entscheidung sowie in seinem Urteil vom 5. März 2025 (Az. 7 U 134/23), welche Kardinalpflichten einen Geschäftsführer treffen und unter welchen Umständen der Versicherungsschutz ausgeschlossen ist. Es lehnte den Versicherungsschutz in beiden Fällen mit der Begründung ab, dass die Geschäftsführer trotz Krisenanzeichen die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft nicht überwacht haben, sondern stattdessen „blind durch die Krise segelten“. Deshalb bestätigte das OLG die Entscheidung der Vorinstanz, wonach die Klage des Insolvenzverwalters keine hinreichende Erfolgsaussicht habe.

– Die Konsequenzen:

D&O-Versicherungsbedingungen sehen in der Regel vor, dass für wissentlich begangene Pflichtverletzungen kein Versicherungsschutz für den Geschäftsleiter besteht. Für das Vorliegen eines solchen Versicherungsausschlusses ist grundsätzlich der D&O-Versicherer darlegungs- und beweispflichtig. Der Versicherer hat hierzu einen Sachverhalt vorzutragen, der auf eine wissentliche Pflichtverletzung des Versicherten hindeutet. Der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien ist dabei entbehrlich, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann (sogenannte Kardinalpflichten).

Eine wissentliche Pflichtverletzung ist dann ausgeschlossen, wenn ein Versicherter eine Pflichtverletzung in dem Bewusstsein der Pflicht und dem Bewusstsein, sich nicht pflichtgemäß zu verhalten, begangen hat. Für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer darlegungs- und beweispflichtig. Der Versicherer hat Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Danach obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung gerade nicht zulassen.

Das OLG stellt klar, das die Annahme einer Kardinalpflichtverletzung grundsätzlich voraussetzt, dass die von dem Versicherten verletzte Rechtsnorm zu den zentralen, fundamentalen Grundregeln einer bestimmten Regelungsmaterie gehört. Zu solchen Kardinalpflichten zählt nach Auffassung des OLG die Pflicht eines Vorstands/Geschäftsführers, weder sich noch Dritten aus dem Unternehmensvermögen Vorteile zu gewähren, auf die kein Anspruch besteht, das Unternehmensvermögen nicht für unternehmensfremde Zwecke zu verwenden sowie die Pflicht, bei Insolvenzreife rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen.

Bei der Insolvenzantragspflicht handelt es sich um eine der wesentlichen gläubigerschützenden Vorschriften der InsO (§ 15a Abs. 1 Satz 1), die auf zahlreiche andere Vorschriften Bezug nehmen. Die Bedeutung der Insolvenzantragspflicht wird durch die Strafbarkeit der Insolvenzverschleppung in § 15a Abs. 4 InsO hervorgehoben.

Hinweis: Zum Elementarwissen eines Geschäftsführers/Vorstands gehört daher insbesondere die Vergewisserung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft sowie die jederzeitige eingehende Prüfung einer Insolvenzreife.

Das OLG stellt ferner klar, dass sich ein Strohmann-Geschäftsführer nicht damit entlasten kann, dass er keine Einblicke in das Unternehmen hatte und der faktische Geschäftsführer verantwortlich sei. Das Gericht hob hervor, dass dem Strohmann-Geschäftsführer insoweit die wissentliche Verletzung kardinaler Organisations- und Kontrollpflichten anzulasten sei.

Das OLG verweist dabei auf einen Beschluss des BGH vom 21. Mai 2019 (Az. II ZR 337/17). Danach wird dem im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer, der die Geschäftsführertätigkeit faktisch nicht ausübt und keine Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf die Geschäfte der Gesellschaft hat, eine Organisationspflicht auferlegt, die ihm die zur Wahrnehmung seiner Pflichten erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht.

Das OLG betonte, dass ein Strohmann-Geschäftsführer seine Kardinalpflicht, sich ständig über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens informiert zu halten, schon dadurch verletzt, indem er sich auf eine formale Geschäftsführerstellung beschränkt, ohne seinen Organisations- und Kontrollpflichten Rechnung zu tragen.

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