Gewinnschätzung durch das Finanzamt: Richtsätze als Schätzungsgrundlage geeignet?

Die Finanzbehörde ist grundsätzlich berechtigt, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist unter anderem, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben bestehen. Formelle Buchführungsmängel berechtigen aber nur insoweit zur Schätzung, als sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln.

Es ist Sache des Finanzamts (FA) und des Finanzgerichts (FG) zu entscheiden, welche Schätzungsmethode genutzt wird, wenn diese geeignet ist, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen. Der Steuerpflichtige selbst hat keinen Anspruch auf die Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode. Weder das FA noch das FG sind grundsätzlich verpflichtet, das Ergebnis noch durch die Anwendung einer weiteren Schätzungsmethode zu überprüfen oder zu untermauern. Zudem müssen Schätzungsgrundlagen in einem Streitfall von der Finanzbehörde so dargelegt werden, dass ihre Nachprüfung und insbesondere eine Schlüssigkeitsprüfung des zahlenmäßigen Ergebnisses der Schätzung möglich ist. Hierzu müssen sowohl die Kalkulationsgrundlage – und damit auch die spezifischen Daten, auf denen die Schätzung basiert – als auch die Ergebnisse der Kalkulation sowie die Ermittlungen, die zu diesen Ergebnissen
geführt haben, offengelegt werden.

Der BFH hat nunmehr das Bundesfinanzministerium aufgefordert, in einem Revisionsverfahren zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein äußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatzsammlung zulässig ist. Unklar erscheint insbesondere,

  • welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der Richtsätze der jeweiligen Gewerbeklasse einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird und ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein ausgeschlossen werden;
  • ob die regional zum Teil erheblich unterschiedliche Höhe fixer Betriebskosten (insbesondere Raum- und Personalkosten) der Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze entgegensteht;
  • weshalb die Ergebnisse von Außenprüfungen bei sogenannten Verlustbetrieben unberücksichtigt bleiben, obwohl auch solche Betriebe grundsätzlich einen positiven Rohgewinnaufschlagsatz ausweisen;
  • ob ganz oder teilweise erfolgreiche Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen gegen die auf eine Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide Eingang in die Richtsatzsammlung finden.

In Deutschland existieren etwa 8 Mio. Betriebe, die in 74 Gewerbeklassen der Richtsatzsammlung unterteilt sind. Wenn in jeder Klasse ca. 10.000 Vergleichsbetriebe berücksichtigt würden, entspräche dies nur ca. einem Zehntel aller vorhandenen Betriebe. Nach den statistischen Regeln sei dies deutlich zu wenig. Darüber hinaus fehlt es oftmals an einer Vergleichbarkeit der Betriebe, die derselben Gewerbeklasse zugeordnet sind. So ist eine Diskothek nicht im Ansatz mit einer Gaststätte vergleichbar. Vergleichbare Schätzungsfälle sollten mit einem Einspruch offengehalten werden, bis der BFH in diesem Verfahren endgültig entschieden hat.

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