Jedes Unternehmen benötigt ein Frühwarnsystem, um Risiken gezielt steuern zu können. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen besteht in Sachen Risikovorsorge eine Bandbreite von sehr gut bis kaum vorhanden. Der Gesetzgeber hat mit dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz seine Anforderungen präzisiert. Damit ergeben sich für die Geschäftsführung einer GmbH klare Aufgaben.
Unternehmerische Chefaufgabe
Das frühzeitige Erkennen risikobehafteter Entwicklungen hilft entscheidend beim Gegensteuern, damit Risiken erst gar nicht existenzbedrohend werden. Von dieser Einsicht dürften alle GmbH-Geschäftsführer überzeugt sein. Die Praxis zeigt allerdings, dass bei diesem Thema oft nicht agiert, sondern nur und vielfach zu spät reagiert wird.
- Agieren würde insoweit bedeuten: Die wesentlichen unternehmerischen Risiken vorausschauend und präventiv identifizieren, im Blick behalten und steuern.
- Reagieren ist leider weit verbreitete Realität: Auf sich anbahnende oder womöglich sich konkretisierende oder bereits eingetretene Risiken mit operativer Hektik antworten.
Wichtig ist es, als GmbH-Geschäftsführer zwei Blickwinkel im Auge zu haben: Wo ergeben sich Chancen, die nicht wahrgenommen werden (können)? Wo entwickeln sich Risiken, die man im Griff haben muss? Diese Chefaufgabe ist keine einmalige Angelegenheit: Ein erarbeitetes Frühwarnsystem gehört auch danach jährlich auf den Prüfstand mit der Frage, ob es immer noch alle Facetten abdeckt und welche Erfahrungen eine Verbesserung der Aussagefähigkeit und Treffsicherheit genutzt werden können. Wenn Unternehmen ein solches System nicht alleine erarbeiten können, sollten sie externe Unterstützung in Anspruch nehmen.
Anforderungen des Gesetzgebers
Neben dem ureigenen unternehmerischen Selbstschutz durch ein Risikofrühwarnsystem hat der Gesetzgeber weiteren Handlungsdruck aufgebaut. Für mittelgroße und große Kapitalgesellschaften formuliert das HGB die Anforderung „Risikomanagementsystem“, das vom Wirtschaftsprüfer auf seine Eignung und Nutzung zu prüfen ist. Für die kleinen Kapitalgesellschaften (weniger als 12 Millionen Euro Umsatz, 6 Millionen Euro Bilanzsumme und unter 50 Mitarbeitern – ein Kriterium darf überschritten sein) formuliert das seit dem 1.1.2021 geltende Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) in § 1 Abs. 1: „Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorgan) unverzüglich Bericht.“
Was der Gesetzgeber ein wenig abstrakt formuliert hat, kann man wie folgt für die GmbH-Praxis übersetzen: Der GmbH-Geschäftsführer hat ein Früherkennungssystem zu entwickeln, dieses laufend zu nutzen und der Gesellschafterversammlung zu berichten, wann er existenzgefährliche Entwicklungen erkennt.
Risiken und Risikopuffer
Welches Risiko kann oder will ein Unternehmen sich leisten? Dies hängt von den vorhandenen Reserven und der persönlichen Risikoeinschätzung ab. Reserve oder Risikopuffer im Unternehmen ist das Eigenkapital in der Bilanz und unter Umständen weitere Mittel, die eingebracht werden könnten. Dabei handelt es sich also um eine nüchterne Zahl, einen Euro-Betrag. Eigenkapital ist der Risikopuffer in der Unternehmensbilanz. An die Risikoeinschätzung können Geschäftsführer aus zwei Perspektiven herangehen:
- Die eine Perspektive ist die Kennzahl „Eigenkapitalquote“: Eigenkapital dividiert durch die Bilanzsumme multipliziert mit 100. Das Ergebnis lautet: Zu X Prozent ist das Unternehmen mit Eigenkapital finanziert. Sodann ist zu entscheiden, welche Eigenkapitalquote für das jeweilige Unternehmen angemessen bzw. erforderlich ist.
- Die zweite Perspektive sind die absolute Höhe in Euro und das Risiko, das die Geschäftsführung mit Blick darauf eingehen will. Beim Standard-Eigenkapital vieler GmbHs von 25.000 Euro ergibt sich daraus nur ein enger Rahmen!
Die größten unternehmerischen Risiken
Ein Frühwarnsystem sollte in der Lage sein, die größten unternehmerischen Risiken erfassen und steuern zu können. Das sind diejenigen Risiken, die zu einer Existenzgefährdung führen könnten. Das Ausmaß der Existenzgefährdung richtet sich in der Größenordnung nach den vorhandenen Risikopuffern – siehe oben. Welche Risiken das dem Grunde nach sind, hängt maßgeblich vom Geschäftsmodell des Unternehmens ab. Es gibt keine „Musterlösung“ für ein Frühwarnsystem, das alle Unternehmen gleich nutzen könnten. Aber natürlich gibt es Problembereiche, die Geschäftsführer durchleuchten müssen, wenn sie eine „Inventur“ ihrer Risiken in Angriff nehmen. Dabei dürfen erwartete Umsetzungs-Schwierigkeiten nicht die Aufnahme in den Frühwarnkatalog verhindern.
Kunden:
- Abhängigkeit im Umsatz von wenigen großen Kunden
- geringe Deckungsbeiträge wichtiger Kunden
- hohe/wachsende Forderungsbestände gegenüber einzelnen Kunden
Produkte/Dienstleistungen:
- Umsatzanteil nicht mehr dauerhaft zukunftsträchtiger Produkte/Dienstleistungen ist hoch
- wenige oder keine Produkt-Weiter-/ Neuentwicklungen
- hohe Umsatzanteile mit margenschwachen Produkten
- technische Risiken in Produkten (Produkthaftung)
Lieferanten:
– Abhängigkeit von wenigen großen Lieferanten
– keine Streuung der Lieferanten gerade bei „strategischen“ Bezügen
Geschäftsführung:
- kein Notfallplan für den Ausfall der Geschäftsführung
- keine rechtzeitige Nachfolgeregelung
Mitarbeiterschaft:
- fehlende zweite Ebene unterhalb der Geschäftsführung – speziell in stark wachsenden Unternehmen
- Belegschaft entspricht in (vielen) Teilen qualitativ nicht mehr den künftigen Anforderungen
Finanzierung:
- keine angemessene Eigenkapitalausstattung im Vergleich mit den Risiken, die im Bestand sind oder laufend eingegangen werden
- keine Finanzierungs- und Sicherheitenstrategie
Liquidität:
- nicht ausreichende Kontokorrentkreditlinien für die Umsatzfinanzierung
- gerade in Wachstumsphasen und in Zeiten von Umsatzrückgängen
- keine klare Liquiditätsplanung
Rechnungswesen:
- Jahresabschluss wird nicht innerhalb der vom HGB gesetzten Fristen erstellt
- betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA) ist nicht aussagefähig („qualifiziert“) und damit zur Steuerung des Unternehmens und seiner Risiken nur bedingt geeignet oder gar ungeeignet
- kein aussagefähiges Kalkulationssystem für Vor-, projektbegleitende und Nach- Kalkulation
Gesetze:
- unzulängliche Beachtung behördlicher Regelungen und gesetzlicher Vorgaben (Sicherheit, Emissionen, Arbeitsschutz usw.)
Digitale Transformation:
Kein oder nicht ausreichender Blick auf
- die entsprechenden Veränderungen im Markt und im Kundenverhalten heute und morgen
- die Daten- und Cyber-Sicherheit
Nachhaltigkeit:
Kein oder nicht ausreichender Blick auf
- die entsprechenden Erwartungen der Kunden heute und morgen
- die Möglichkeiten, den CO2-Fußabdruck des Unternehmens zu erfassen und zu reduzieren
Das Erfassen der Risiken
In der Unternehmensführung gibt es eine alte Weisheit: Was man nicht messen kann, kann man auch nicht steuern. Damit ergibt sich folgende Herausforderung: Die Geschäftsführung muss im Frühwarnsystem für die als wesentlich erkannten Risiken
- Messgrößen definieren,
- die Ziel-/Maximal-/Minimal-Grenze dieser Messgrößen festlegen,
- festlegen, wer auf welchem Wege in welcher Häufigkeit die Einhaltung der Grenze zu prüfen hat,
- festlegen, bei welcher Erreichung/Überschreitung der definierten Grenze wer wen informieren muss,
- festlegen, dass die so Informierten eine Handlungsverantwortung haben und an wen sie unter Umständen über ihr Handeln zu berichten haben.
Mit Blick auf die Vielzahl möglicher Risiken und die geschilderten Schritte zu ihrer Erfassung mag das manchem Geschäftsführer als aufwändig und neben dem Tagesgeschäft kaum realisierbar erscheinen. Dies kann als Entschuldigung für Nichtstun aber nicht akzeptiert werden. Denn es ist Aufgabe der Geschäftsführung, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Und es geht darum, persönliche Haftungsrisiken im Fall der Fälle zu minimieren – also aus Selbstschutz-Motiven heraus. Die beispielhafte Aufzählung von Frühwarn- Kriterien zeigt: Es können nicht alle Indikatoren durch eindeutige Zahlen oder Kennzahlen dargestellt werden. In diesen anderen Fällen muss die Messgröße eine eindeutig definierte Aktivität sein nach dem Muster: Wer macht was/mit wem/bis wann? Nach der Risikoinventur ist zu entscheiden, wie mit den identifizierten Risiken umzugehen ist. Die Alternativen im Einzelnen:
Risiken selbst tragen: in Abhängigkeit von finanziellen Reserven im Eigenkapital und eventuell ergänzend dazu
- Risiken vermindern: beispielsweise durch konsequentes Mahnwesen und Lieferantensteuerung;
- Risiken vermeiden: beispielsweise sich von Kunden trennen, Aufträge nicht annehmen, Bestände reduzieren;
- Risiken überwälzen: beispielsweise durch Versichern, Einschalten von Subunternehmern, Vertragsgestaltungen.
Diese Entscheidungen sind einmal grundsätzlich und dann laufend im Rahmen der zeitlich festgelegten Berichterstattung zu treffen.
Carl-Dietrich Sander ist freiberuflicher Berater für kleinere und mittelständische Unternehmen und bietet Vorträge, Seminare sowie Workshops an. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen auf:
- Finanzierung sichern,
- Liquidität steuern,
- Rating verbessern,
- Bankenkommunikation gestalten.
Zudem hat er zahlreiche Publikationen zu diesen Themen verfasst.