Sollen die Babyboomer nun die Plätze für Jüngere räumen oder doch bis über 67 arbeiten? Es ist normal, dass wir mit Widersprüchen leben müssen. Für die Babyboomer-Generation bedeutet dies oft, zu alt zu sein für das, was die Unternehmen mit „Transformationsprozessen“ betiteln. Als ob es nicht schon immer eine erforderliche Anpassung an sich verändernde Bedingungen gab. Dann der laute Schrei aus Politik und Gesellschaft: „Liebe Babyboomer, jetzt bleibt doch bis 67 und wenn es geht auch länger.“ Fachkräftemangel und keine Lösung in Sicht! Da wäre es doch schön, wenn die Babyboomer aus der Patsche helfen.
Was denn nun? Kleben die Älteren an ihren Sesseln und wollen sie nicht für die jüngere Generation freimachen? Oder möchten die Jüngeren die altgedienten Kollegen jetzt daran festkleben, bis sie dann wirklich die letzten Kräfte für die Arbeit mobilisiert haben? Und wenn sie das getan haben, wird ihnen dann ihre fehlende Work-Life-Balance um die Ohren geschlagen und ihnen erzählt, dass eine Vier-Tage-Woche doch schon lange das bessere Arbeitszeitmodell wäre? Sicher, das ist eine zugespitzte Beschreibung. Aber was steckt dahinter?
Gründe für den vorzeitigen Ruhestand
Fragt man nach, kommen unzählige Beispiele dafür, wie sich die Zufriedenheit mit dem Job verändert hat, wie sie umgeschlagen ist in zunehmende Demotivation und innere Kündigung. Die Erzählungen zeigen in den unterschiedlichsten Nuancen auf, wie manches Mal offen und dann wieder subtil Mitarbeitern ab einem bestimmten Alter die Erfahrung, die Kreativität, die Anpassungsfähigkeit und das aktuelle Wissen abgesprochen werden. Eine häufige Reaktion ist der Rückzug und nicht selten der frühzeitige Eintritt in den Ruhestand. Letztlich zeigen fehlende Rituale zur Verabschiedung und nicht definierte Offboarding-Prozesse deutlich, wie wenig wert die gesamte Lebensarbeitsleistung von Mitarbeitern ist. Das deckt sich mit folgender Aussage aus einer aktuellen Studie der Antidiskriminierungsstelle: „Der am häufigsten angegebene Bereich erlebter Altersdiskriminierung ist der Arbeitsplatz.“ Weshalb, so stellt sich die Frage, sollten Babyboomer dann länger bleiben als nötig?
Die Sicht der Babyboomer
Diskriminierung beginnt dort, wo nicht individuelle Stärken und der differenzierte Blick auf die Kompetenzen über die Teilnahme an Fortbildungen und Übernahme von Projekten, über Karrierechancen etc. entscheiden. Wo wir nicht mehr selbst definieren dürfen, was wir tun wollen und können, sondern wo von außen pauschal aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe Zugänge verwehrt werden. Das ist nicht selten die Realität, auf die Mitarbeiter ab einem bestimmten Alter in den Unternehmen treffen. Ab wann dies der Fall ist, ist unterschiedlich und hängt von der Branche, der Unternehmenskultur und nicht zuletzt von der Altersstruktur ab. Fakt ist, dass zu einem gewissen Zeitpunkt fast jeder mit diesem unsichtbaren Verfallsdatum konfrontiert wird: abgelaufene Leistungsfähigkeit, mangelnde Kreativität und nicht mehr „frisch genug“. Da hilft es häufig wenig, als Babyboomer die Hand zu heben und das Gegenteil beweisen zu wollen. Altersstereotype sind nicht leicht aufzubrechen, sonst würden sie nicht so heißen. Selbst wenn Studien regelmäßig attestieren, dass „ältere Mitarbeiter“ nicht weniger leistungsfähig sind. Vielmehr legen sie andere Vorteile wie u.a. Erfahrung, Netzwerke oder Verlässlichkeit auf die Waagschale.
Was müsste geschehen? Diskriminierung aufgrund des Alters kommt nicht immer plakativ daher. Sie ist häufig subtil, drückt sich in kleinen Interaktionen aus, findet sich, wenn man genau hinhört, in der Sprache wieder und scheint zunächst einmal nur eine individuelle Wahrnehmung zu sein. Es braucht eine (alters-)sensible inklusive Kultur in den Unternehmen, die Demotivation und frühem Ausstieg nicht nur bei Babyboomern vorbeugt.
Fallbeispiel für altersdiskriminierendes Verhalten
Heide, Anfang 57, Leiterin des Bereichs Marketing, ist eine dynamische, motivierte Mitarbeiterin. Mit ihrer Neugierde, Offenheit und Innovationskraft ist sie an aktuellen Entwicklungen höchst interessiert. Die neuen Medien sieht sie als große Chance für ihre Firma. Sie bildet sich regelmäßig weiter und bringt diese Erfahrungen in die Arbeit ein. Dank Ihrer IT-Affinität ist sie eine ausgewiesene Expertin. Viele Kollegen suchen sich bei Problemen gerne Rat bei ihr. Sie hat sich dafür engagiert, dass es einen eigenen Arbeitsbereich „Digitales Unternehmen“ gibt und sich auf diese neue Herausforderung gefreut. Ihr Chef überbringt ihr die Nachricht, dass ein „junger, hoch kompetenter Mitarbeiter“ diese Aufgabe übernehmen wird. „Da kommen wir Alten ja auch nicht mehr mit, nicht wahr?“, so der Vorgesetzte im Gespräch mit ihr. Heide ist wie vor den Kopf gestoßen. Sie zieht sich zunehmend zurück, macht Dienst nach Vorschrift und plant, in spätestens zwei Jahren das Unternehmen zu verlassen.
Das Problem: Heide wird nicht in ihrer Kompetenz gesehen. Sie hätte alle Voraussetzungen dazu, die neue Aufgabe erfolgreich zu bewältigen. Ihr Vorgesetzter begegnet ihr mit dem Altersstereotyp „ist alt, nicht mehr motiviert für etwas Neues, kann bei den neuen Medien sowieso nicht mithalten“. Die Aussagen ihres Chefs bringen das deutlich zum Ausdruck.
Dass ihr Vorgesetzter ihre nachweislich hohen Kompetenzen für die neue Aufgabe nicht anerkennt und ohne ihre Beteiligung einen Mitarbeiter einstellt, erlebt Heide als kränkende Erfahrung. Sie sieht sich nicht angemessen wahrgenommen und fühlt sich übergangen.
Wichtiger Teil einer alterssensiblen Unternehmenskultur ist es, Führungskräfte dafür zu befähigen, Altersstereotype zu erkennen und so die Ausgrenzung von Arbeitnehmern zu vermeiden. Für Heides Vorgesetzten würde dies bedeuten, dass er seinen eigenen Stereotyp („Ältere Mitarbeiter kennen sich mit digitalen Medien nicht aus“) wahrnimmt und einen altersneutralen Blick auf die vorhandenen Kompetenzen seiner Mitarbeiter entwickelt. Durchaus nicht selten überlagern sich Alters- und Geschlechterstereotype: „Frauen können keine Technik“ und „Ältere denken nicht digital“ haben im Fallbeispiel ihre ausgrenzende Wirkung entfaltet.
Ansatzpunkte für die Gestaltung einer alterssensiblen Unternehmenskultur
- Es braucht Faktenwissen über Menschen in der zweiten Lebenshälfte, ihre Leistungsfähigkeit und bereitschaft, ihre Motivation, Vorstellungen und Wünsche.
- Wichtig ist, eine Vision zu entwickeln, wie eine inklusive, (alters-)sensible Unternehmenskultur aussieht und wie sie gestaltet werden kann.
- Führungskräfte müssen unterstützt und qualifiziert werden mit dem Ziel, (alters-) diskriminierenden Umgang in den unterschiedlichsten Formen zu erkennen, zu reflektieren und Maßnahmen einzuleiten, um die Probleme im Sinne der Betroffenen strukturell wie individuell abzubauen.
- Es bedarf dialogischer Erfahrungsräume, in denen Mitarbeiter über ihr Alterserleben am Arbeitsplatz gemeinsam reflektieren und persönliche Strategien für ihr Erwerbsleben und den Übergang in den Ruhestand entwickeln. Dies darf keinesfalls als Selbsterfahrungsangebot isoliert stehen, sondern braucht den Dialog innerhalb des Unternehmens.
- Wertschätzende Unternehmenskultur beinhaltet eine Abschiedskultur, die Mitarbeitern am Ende ihres Erwerbslebens Anerkennung für ihre Lebensarbeitsleistung gibt. Dazu gehören strukturierte Offboarding-Prozesse. Sie helfen, in der Übergabe Wissen zu sichern, Risiken zu minimieren und den Übergang für den Gehenden sowie das Unternehmen zu gestalten.
Was müssen Babyboomer tun?
Eines ist klar: Bei allen beschriebenen Maßnahmen, die sinnvoll sind, damit das Potenzial der Babyboomer erhalten bleibt, ist es keine Einbahnstraße, in der allein die Unternehmen verantwortlich sind.
Es braucht von den Babyboomern nicht den frustrierten Rückzug. Das Festhalten an dem, was scheinbar „immer so war“, darf und muss hinterfragt werden. Andere Lösungen, neue Ansätze und Methoden führen ebenfalls zum Ziel, sind nicht selten effektiv und wirkungsvoll. Jüngere Mitarbeiter sind häufig hoch qualifiziert, bringen Kompetenzen und Fähigkeiten mit, die gepaart mit der Erfahrung der Babyboomer zu Erfolgsfaktoren für Unternehmen werden können. Und wenn man auf der Erfahrungs- und Karriereleiter in einem gewissen Alter weit oben angekommen ist, kann es wichtig sein, die eigene Rolle einmal anders zu begreifen: Wie bin ich ein guter Mentor, eine gute Mentorin? Wie stelle ich mein Wissen und langjährige Erfahrung in den Dienst der Jüngeren, teile sie, damit sie beruflich Fuß fassen und sich entwickeln? Wenn es gelingt, uneitel zu sein, nicht mehr immer selbst im Rampenlicht stehen zu wollen, mal ein Stück zurückzutreten und die Bühne den nachkommenden Jüngeren zu lassen, dann bleiben Babyboomer geschätzte Mitarbeiter über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus.
So wenig sinnvoll es ist, die Jungen von heute über einen Kamm zu scheren, so wenig gilt es, Babyboomer unter Generalverdacht zu stellen und zu Problemverursachern der Gegenwart zu machen. Wir sitzen in einem Boot. Der Schlüssel liegt darin, die Potenziale aller für unsere Gesellschaft zu nutzen – gemeinsam.
Angelika Gaßmann
Angelika Gaßmann ist Personalberaterin und Fachbuchautorin.
E-Mail: info@pe-gassmann.de