Erholung im Berufsalltag: Wie man richtig Pause macht

„Wissen, denken, träumen. Es ist alles da“, schreibt der Schriftsteller Victor Hugo. Gemeint ist unser Gehirn. Dieses Wunderwerk der Evolution ist ein mentaler Staubsauger, der alle Impulse empfängt, begutachtet, speichert, entsorgt und bei Bedarf aktiviert. Außerdem steuert diese Zentralinstanz alle physiologischen Vorgänge, kümmert sich um den Blutdruck, die Atmung, eine innere Balance und kämpft gegen eingedrungene Fremdkörper. Ach ja, und Lernen kann es auch, sogar in hervorragender Weise. Wir können zurecht stolz sein auf unser Gehirn, das tags und nachts zuverlässig ein neuronales Netzwerk baut, das seinesgleichen suchen muss.

Höchstleitungen nur mit Ruhezeiten

Den heutigen Menschen ist jedoch nicht immer bewusst, dass unser Oberstübchen so funktioniert wie vor 60.000 Jahren. Es arbeitet analog, langsam und manchmal für den Menschen unverständlich. Heutzutage muten wir unserem Denkpalast zu, sich mit einer digitalen Umwelt auseinanderzusetzen. Das ist auch möglich. Doch dabei überschätzen wir oft die Leistungskraft des Nervennetzwerks unter unserer Schädeldecke. Die Flut von einprasselnden Informationen ist ein Gräuel für unser Denkorgan. Immer wieder will der Hirnbesitzer alles auf einmal hineinstopfen, betreibt Multitasking und sorgt sich wenig um die Aufnahmekapazität des Gehirns. Nicht umsonst gehört die Klage, dass einem alles auf die Nerven geht, zu den häufigen Begleiterscheinungen unseres unsteten Lebens.

Beim Lernen – und das tut unser Denkpalast vom ersten bis zum letzten Moment unseres Lebens – benötigt unser Gehirn Zeit, um die Impulse aller fünf Sinne aufzunehmen, sie zu sichten, zu verarbeiten, zu speichern und zu entsorgen. Überprüft wird zunächst, inwiefern die eintreffenden Impulse für das zukünftige Leben wertvoll und nützlich sind. Im Anschluss, wenn die eingetroffenen Informationen positiv beurteilt wurden, benötigt das Gehirn viel Zeit, um die Speicherung im Langzeitgedächtnis zu bewerkstelligen. Das geschieht beim Schlafen, wenn Wissen konsolidiert und für lange Zeit eingelagert wird. Wenn sich der Körper in Ruhe befindet, vollbringt das Hirn Höchstleistungen. Toxische Stoffwechselprodukte werden entsorgt, und das Hirn wird darauf vorbereitet, am nächsten Tag arbeiten zu können.

Was hat eine Cocktailparty mit Lernen zu tun?

Alle fünf Sinne sind permanent auf Empfang geschaltet. Von daher nehmen wir auch bei voller Konzentration nicht nur das wahr, womit wir gerade beschäftigt sind, sondern auch das, was um uns herum geschieht. Das ist auch sinnvoll, denn es könnten wichtige Informationen darunter sein. Ein Beispiel: Sie fahren ein Auto und unterhalten sich angeregt mit dem Beifahrer. Nebenbei registrieren alle Sinne das Geschehen. Plötzlich leuchten vor Ihnen die Bremslichter auf. Die Unterhaltung ist augenblicklich unterbrochen, Sie treten rechtzeitig auf die Bremse – und dann kann das Gespräch fortgesetzt werden. Ein weiteres Beispiel: Sie befinden sich auf einer Cocktailparty. Dutzende Gäste halten ein Sektglas in der Hand und reden miteinander. Plötzlich hören Sie, wie am Ende des Saals Ihr Name genannt wird. Der Smalltalk mit Ihrem Gesprächspartner ist sofort unterbrochen, und Sie wollen wissen, wer über Sie gesprochen hat.

Gerade für das Lernen – und wir lernen nicht nur, wenn ein Lehrbuch aufgeschlagen ist oder wir uns in einer Schule befinden – ist es wichtig zu wissen, wie Lernstoff ins Gehirn gelangt, wie er dort verarbeitet wird und welche Bedingungen erfüllt sein sollten, damit der Lernstoff erfolgreich im Gehirn verankert werden kann.

Das Gehirn in der Hängematte?

Die Kapazität unseres Gehirns ist begrenzt. Wir besitzen ein kleines Arbeitsgedächtnis, das ermüdet, wenn es zu stark beansprucht wird. So wie auch ein Motor nicht pausenlos mit Vollgas gefahren werden kann, verlangt auch unser Hirn Auszeiten.

Doch schaukelt unser Denkorgan keineswegs untätig in einer Hängematte. Ruhezeiten benötigt unser Hirn, um die eingetroffenen Informationen zu verarbeiten, im neuronalen Netzwerk einzuordnen und Zusammenhänge herzustellen. Neurowissenschaftler haben gezeigt, dass Ruhepausen genutzt werden, um Energiereserven zu mobilisieren, und dass das Gehirn bei völliger Stille neue Nervenzellen im Hippocampus bildet. Diese Region ist verantwortlich dafür, dass nützliche Gedächtnisinhalte herausgefiltert werden, um sie später in das Langzeitgedächtnis zu überführen. Der Hippocampus verhält sich laut Neurowissenschaftler Henning Beck wie ein „Besserwisser des Großhirns“. Er arbeitet als temporärer Zwischenspeicher und entscheidet, welche Informationen weitergeleitet werden. Das geschieht wie gesagt im Schlaf. Von daher ist der Hippocampus sehr wichtig beim Lernen.

Pausen, Stille und Mußezeiten tun dem Gehirn gut

Jeder kennt es: Die besten Ideen haben wir beim Duschen, beim Autofahren oder beim Joggen. Wenn anspruchsarme Tätigkeiten ausgeübt und keine neuen Informationen angeboten werden, gehen die Gedanken auf Reisen. Im Hintergrund verarbeitet das Gehirn die zuvor aufgenommenen Impulse. Auch wenn das Oberstübchen scheinbar inaktiv ist, tauchen häufig Lösungen für Probleme auf, nach denen wir am Schreibtisch vergeblich gesucht hatten.

Wer etwas Neues lernt, etwa eine Sprache oder ein Musikinstrument, verbringt viel Zeit mit Übungen. Das scheint, wie Studien ergeben haben, aber nicht immer der beste Weg zum Erfolg zu sein. Der eigentliche Lernprozess findet augenscheinlich im Gehirn gerade dann statt, wenn wir zwischendurch kurze Pausen einlegen. Im Gehirn treten in der Pause die gleichen Aktivitätsmuster auf wie während der Übungen, allerdings dreimal so häufig und mit zwanzigfach erhöhter Geschwindigkeit. Ohne Ruhemomente gelingt auch das Lernen nicht gut.

Der Zeitforscher Karlheinz Geißler meint, dass wir Menschen Pausenwesen seien: „Wer nicht zwischen Zeiten der Aktivität und der Passivität wechselt, der wird atemlos und gestresst.“ Und bei Stress wird Cortisol ausgeschüttet, ein Kampf- und Fluchthormon, das jeden Lernprozess verhindert. Stress entsteht auch, wenn wir zu viel auf einmal erledigen wollen und wenn wir nichts beenden. Jedes Informationsangebot buhlt in unseren temporeichen Zeiten um Aufmerksamkeit. Die Ablenkung ist häufig nur einen Klick entfernt.

Pausen als Erfolgsfaktor im Arbeitsleben

In der Arbeitswelt ist es unerlässlich, produktiv zu arbeiten und die Arbeiten schnell und effizient zu erledigen. Weit verbreitet ist allerdings der Glaube, dass durch ununterbrochenes Arbeiten mehr geschafft werden kann. Die Bedeutung von Pausen zur Steigerung der Produktivität wird oft unterschätzt. Wer pausenlos arbeitet, verbraucht viel Energie und hat es schwer, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Viele kennen das Problem: Eine nicht verschiebbare Aufgabe ruft nach sofortiger Erledigung, To-do-Listen und Termine bringen die Planung durcheinander und dann rückt auch noch eine Deadline unerbittlich näher. Das führt zu hektischer Betriebsamkeit, Abnahme der Leistungsfähigkeit und fehlerhaften Ergebnissen.

Pausen sind wie Balsam für die mentale Batterie. In Pausen hat unser Denkorgan Zeit, Abstand zur aktuellen Tätigkeit zu schaffen und sich zu regenerieren. Das baut Stress ab und steigert die Leistungsfähigkeit.

Nach etwa 50 Minuten Arbeit sollte eine zehnminütige Pause eingelegt werden. Eine Faustregel von Henning Beck lautet: „Fünf Teile Arbeit, ein Teil Pause.“ Um das Arbeitsgedächtnis vor Überforderung zu schützen, sind auch Mikropausen von etwa 20 Sekunden hilfreich.

Wir sind bildschirmverliebt. Der Alleskönner im Hosentaschenformat ist zum zentralen Begleiter unseres Lebens geworden. Warum soll mein Gehirn eine digitale Pause einlegen und die „Nabelschnur“ durchtrennen, mit der wir unser Leben vereinfachen können?

Weil unser Denkorgan es auf wundersame Weise schafft, sich zu regenerieren und die geistige Leistungskraft wiederherzustellen. Allerdings gelingt das nur, wenn wir offline sind. „Handy aus – Gehirn an!“, so lautet der Titel einer Studie zur Auswirkung von Smartphones auf die Aufmerksamkeit. Das Handy lenkt uns auch dann ab, wenn es ausgeschaltet ist. Fazit: Handy ausschalten und in einen anderen Raum legen. Somit kann die kognitive Leistungskraft wieder hergestellt werden.

Für Führungskräfte heißt das, die Potenziale der Mitarbeiter auch durch digitale Auszeiten bestmöglich zu fördern.

Das können Sie tun:

  1. Jede Beschäftigung braucht Unterbrechungen: Aktivieren Sie Ihren Ruhemodus, indem Sie gedankenlos aus dem Fenster oder sonst wohin schauen.
  2. Unterbrechen Sie Ihre Tätigkeit: Verzichten Sie bei Pausen unbedingt auf elektronische Medien! Wenn Sie am Schreibtisch vergeblich eine Lösung für ein Problem suchen, unterbrechen Sie Ihre Arbeit und unternehmen Sie eine rhythmische Tätigkeit, z.B. Joggen, Spazierengehen oder Fahrradfahren. Währenddessen arbeitet Ihr Gehirn an der Frage weiter und bietet Ihnen eine Lösung an.
  3. Langeweile ist gut: Wenn Kinder Ihnen vorjammern, ihnen sei langweilig, dann lassen Sie es zu und verzichten Sie darauf, dem Nachwuchs Vorschläge gegen Langeweile zu unterbreiten. Smartphones sind in dieser Situation besonders tabu!
  4. Digitale Pausen einlegen: Der Alleskönner im Hosentaschenformat buhlt permanent um unsere Aufmerksamkeit. Nur wenn das Handy ausgeschaltet istund in einem anderen Raum liegt, kann eine digitale Auszeit die kognitive Leistungskraft fördern.
Michael Kühl-Lenjer

Michael Kühl-Lenjer verknüpft langjährige Vertriebs-, Führungs- und Trainingserfahrungen mit aktuellen Erkenntnissen der Gehirnforschung. Als Business-Trainer und Kommunikationsberater unterstützt er Unternehmen und Ausbildungsinstitute dabei, neurowissenschaftliche Aspekte in ihre Aus- und Weiterbildung einfließen zu lassen. Er ist Mitglied in der Akademie für neurowissenschaftliches Bildungsmanagement (AFNB) und bezieht seine neurobiologischen Kenntnisse direkt von Wissenschaftlern. In seinem Buch „Leben und Lernen mit Köpfchen“ vermittelt er seine Erfahrungen und Kenntnisse in allgemeinverständlicher Form.

Weitere Informationen unter:
www.kuehl-lenjer-training.de

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