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Energiewirtschaft mitten im Umbruch: Welche Herausforderungen nun warten

Energiewirtschaft mitten im Umbruch: Welche Herausforderungen nun warten

Die Energiewirtschaft ist seit längerem im Wandel, aber die aktuelle Krise macht das Thema Energie spätestens jetzt zu einem Top-Thema für Geschäftsführer vieler kleinerer und mittelständischer Unternehmen. Sie müssen im Sinne ihrer Firmen aktiv werden, um nicht abgehängt zu werden.

Auch in der aktuellen Krise bleiben die wesentlichen Treiber Dezentralisierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung für Veränderungen in der Energiewirtschaft relevant. Aber die Brisanz nimmt zu, es geht nun zusätzlich um Versorgungssicherheit und Kosten. Im Besonderen für Unternehmen mit energie-intensiver Produktion und hohen Transportkosten. Kurzfristig liegt die Priorität darauf, mit den Verwerfungen des Marktes umzugehen. Das bedeutet zum einen aktives Risikomanagement rund um die Energiebeschaffung. Sprich: Wie können Unternehmen Gas ersetzen bzw. den absolut notwendigen Anteil beschaffen? Zum anderen geht es um aktives Kostenmanagement. Sprich: Wie gehen Firmen mit der Kostenexplosion um – in der direkten Energiebeschaffung und indirekten Kostensteigerungen von Materialien und Dienstleistungen? Des Weiteren wird ein effektives Verbrauchsmanagement immer wichtiger. Die zentralen Fragen dabei lauten: Welche Effizienzmaßnahmen greifen? Wo kann eingespart werden?

Mit mittelfristiger Wirkung geht es jetzt vor allem um Investitionen in eine schnellere grüne Transformation. Das Ziel dabei: schneller autarker werden, um Risiken und Kosten besser managen zu können und gleichzeitig nachhaltiger zu werden. Jedes Unternehmen kann so zur gesamten Energiewende beitragen: durch eigene nachhaltige Energie-Erzeugung, intelligente Steuerungen, stärkere Elektrifizierung und Effizienzmaßnahmen.

Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern erreichen

Seit längerem sind sich alle Experten einig: Ein signifikanter und schnellerer Hochlauf beim Ausbau der erneuerbaren Energien und verstärkte lokale Produktion werden benötigt. Es wird dadurch auch zu einer massiven Elektrifizierung kommen – wo immer das möglich ist. Man muss ganzheitlich denken und verschiedene Pfade beschreiten, um die Nachfrage nach Strom und das Angebot aus volatiler Einspeisung aus erneuerbaren Energien miteinander zu synchronisieren.

Zum einen geschieht dies durch den Einsatz von Zwischen-Speichertechnologien und Energieumwandlung – etwa als grünes Gas oder in Wärmespeichern. Die Wärme oder der Wasserstoff werden dann im Idealfall direkt in weiteren (lokalen) Prozessen genutzt. Eine Rückfallmöglichkeit ist dabei die Rückverstromung, Allerdings ist diese mit weiteren Effizienzverlusten verbunden. Ein zentrales Thema der Energiewende ist somit die Weiterentwicklung von effizienten Verfahren zur Umwandlung sowie der Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur.

Zum anderen muss das Stromnetz intelligenter und zugleich durchgängig ausgebaut werden. Strom muss über Trassen dorthin transportiert werden können, wo er benötigt wird. Parallel dazu müssen Anreize geschaffen werden, den Strom dann zu verbrauchen, wenn die Preise gering sind und das Angebot groß ist. Gegebenenfalls muss auch Strom selbst zur Verfügung gestellt werden, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt.

Die Gaskrise hat den Unternehmen zudem stärker vor Augen geführt, dass bei der Energiewende neben der Stromwende auch verstärkt die Wärmewende in den Fokus genommen werden muss. Dort, wo die Elektrifizierung – z.B. mit dem Einsatz von Wärmepumpen – nicht greift oder nicht greifen kann, muss sowohl in den zentralen Kraftwerken als auch dezentral beim Verbraucher die Umstellung auf grüne Gase möglich gemacht werden.

Last but not least: Die Energiewende funktioniert nur mit den richtigen regulatorischen Rahmenbedingungen. Diese müssen etwa im Hinblick auf Genehmigungsverfahren, Wasserstoffhandel, Strommarktdesign, Anreize für Energieeinsparungen und vieles mehr geschaffen bzw. angepasst werden. Ein erstes Zwischenfazit lässt sich also bereits ziehen: Es gibt keine eindimensionale Lösung. Es braucht vielmehr diverse Hebel und Technologieoffenheit: Die unterschiedlichen Disziplinen müssen zusammenspielen.

Die aktuelle Energiekrise sensibilisiert für Nachhaltigkeitsthemen

Eine aktuelle Atreus-Studie hat klar bestätigt, dass die derzeitige Krise – neben der kurzfristig sehr relevanten Versorgungssicherheit – Unternehmen für eine beschleunigte grüne Transformation weiter sensibilisiert hat. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass rund 80 Prozent die Entwicklung als mittel- bzw. langfristig ansehen.

Fakt ist: Investitionen in eine schnellere „grüne Transformation“ werden von den allermeisten Unternehmen bereits umgesetzt oder zumindest diskutiert. Damit einher geht eine Erhöhung der Transformationsgeschwindigkeit. Aus der Not kann in diesem Fall eine Tugend gemacht und die Krise als Chance erlebt und wahrgenommen werden. Zumindest mittelfristig werden nachhaltige Investitionen zudem einen Wettbewerbsvorteil liefern. Einerseits aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Unternehmen die vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsprozesse in ihrem „Fußabdruck“ und damit in der Umwelt-Dimension ihrer Nachhaltigkeitsstrategie berücksichtigen möchten und müssen. Und andererseits schlichtweg aus Kostengründen.

Energie ist mehr denn je als massiver Kostentreiber und auch als Risikofaktor für die meisten Unternehmen identifiziert worden. Da die Kosten für CO2-Emissionen und Transporte sowie für fossile Brennstoffe immer rasanter steigen, kommt es zu gleich mehreren Folgeerscheinungen: Denn sowohl die dezentrale, lokale Erzeugung vor Ort als auch der Bezug von erneuerbarer Energie wird künftig eine immer größere Rolle spielen. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass dadurch auch über die jeweilige Wirtschaftlichkeit entschieden wird.

Energieverfügbarkeit wird künftig Standorte stärker beeinflussen

Somit rückt auch die Standortfrage stärker in den Vordergrund. Während Politik, Industrie und Gesellschaft an den unterschiedlichen Herausforderungen arbeiten, gibt es gleichwohl noch Handlungsbedarf. Die Politik muss noch stärker liefern, auch wenn sie bereits zentrale Themen wie Genehmigungsverfahren oder die Beschleunigung von Planungsprozessen im Blick hat. Die Anforderung ist klar: Großprojekte müssen in einer professionelleren und auch moderneren Art und Weise gemanagt werden – bis zur endgültigen Umsetzung dauern sie schließlich immer noch deutlich zu lange. Der Gesellschaft muss die Dringlichkeit einer Entscheidung aufgezeigt werden und sie darf nicht zum Spielball von Wählerstimmen werden. Im Zweifel müssen daher auch unpopuläre Entscheidungen getroffen und ein überparteilicher Schulterschluss gesucht werden. Gebraucht werden mehr Windkraftanlagen und Trassen in den Süden.

Ungeachtet dessen gilt: Zum Standort-vor- oder Nachteil für Industrien wird das sogenannte energiewirtschaftliche Dreieck werden, das sich aus Energieverfügbarkeit, Energiebezahlbarkeit und Nachhaltigkeit zusammensetzt. Neben allgemeinen vorteilhaften Rahmenbedingungen und Förderungen sind gerade für Neuansiedlungen auch intelligente, übergreifende Energiekonzepte von zentraler Bedeutung, die unter anderem Wärme, Dampf, Strom und Gas berücksichtigen. Bei vielen Energieversorgern und -Contracting-Firmen ist das bereits im Portfolio enthalten und wird kontinuierlich
weiterentwickelt.

Neue Geschäftsmodelle fördern Wachstum und Transformationsgeschwindigkeit

Es stellt sich nun die Frage, ob der Kapitalmarkt hier ein weiterer Katalysator für die Energiewende sein kann? Beim Blick auf die Kapitalströme wird klar, dass in schnell wachsende und skalierbare Geschäftsmodelle immer mehr Fremd- und Eigenkapital fließt. Klar ist ebenfalls, dass ganz grundsätzlich ohne eine klare Nachhaltigkeitsstrategie nach ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) nicht mehr viel geht. An Start-Up- und Scale-Up Unternehmen, die für nachhaltige und schnell wachsende Lösungen heute Milliardensummen „einsammeln“ und hohe Bewertungen erzielen, ist das am besten zu sehen. Es ist davon auszugehen, dass diese Dynamik eher weiter zunehmen wird. Unternehmen, für die Investitionen in die Weiterentwicklung und den Ausbau der erneuerbaren Energien, Speicherlösungen und die gesamte Wasserstoffwertschöpfungskette eine hohe Priorität haben, sind mit Blick auf Energielösungen klar im Vorteil. Damit einhergeht, dass Energieverfügbarkeit dezentraler wird.

Weiter an Bedeutung werden außerdem intelligente Plattformlösungen gewinnen, die digital, einfach und kundenzentrisch sind. Unternehmen, die sowohl mit technologischen als auch kundenorientierten Geschäftsmodell-Innovationen aufwarten können, werden im Vorteil sein.

Erfolgsfaktoren: Verfügbarkeit von Fachkräften und neue Kompetenzen

Der Arbeitsmarkt ist aktuell mehr als angespannt und offenbart auch immer stärker strukturelle Herausforderungen. Das gilt für Fachkräfte, insbesondere Handwerker, aber auch Projektmanager und andere Profile. Das wiederum wirkt sich auch auf die Umsetzungsmachbarkeit und -geschwindigkeit von Projekten aus. Kapital allein hilft nicht.

Um die Energiewende zu forcieren, braucht es auch andere, neue bzw. adaptierte Kompetenzen im Bereich der Digitalisierung, des Innovations- und Technologiemanagement, z.B. rund um das Thema Wasserstoff. Außerdem werden Fähigkeiten und Methoden benötigt, in dynamischen Umfeldern zusammenzuarbeiten und dort gestalten zu können.

Daher sind die Unternehmensattraktivität für passendes Personal und der Zugang zu den richtigen Kompetenzen auch äußerst relevant für Investitionsentscheidungen in Bezug auf die grüne Transformation. Sie muss Teil eines aktiven Risikomanagements sein.

Zur Person

Martin Schulz

Leiter der Solution Group Energie und
Umwelt sowie Partner und
Direktor bei der Managementberatung
Atreus

www.atreus.de

Stand: 03.11.2022 12:41