Interview
Vielen CEOs oder Führungskräften auf der Top-Ebene fällt es schwer, ihre Themen – ob persönlich, strategisch oder unternehmerisch – mit ihren Mitarbeitern oder Kollegen zu teilen. Denn oft fehlt die vertrauliche Nähe zu ihnen. Auch wollen sie nicht als „Versager“ dastehen und treffen folglich viele Entscheidungen allein. Der mangelnde Austausch macht sie oft einsam – mit negativen Folgen für sie selbst und das Geschäft. Ein externer und vertraulicher Sparringspartner kann dabei unterstützen, die beruflichen Beziehungen neu zu gestalten und Einsamkeit zu überwinden. Im Gespräch erklärt Anke Stein-Remmert, Rechtsanwältin, Mediatorin und Businesscoach, wie das gelingt.
Warum sind CEOs oder Top-Manager oft einsam?
Ein CEO strebt ähnlich wie ein Extrembergsteiger danach, es ganz nach oben zu schaffen. Oben angekommen stellt er allerdings fest, dass die Luft dünner und es einsam um ihn herum ist. Der Sauerstoff, sprich die vertraulichen Beziehungen, fehlen ihm, und er hat den Kontakt zu seinen Mitarbeitern weiter unten an der Baumgrenze verloren. Auch der Mitarbeiter, der den steinigen Weg nach oben nicht gehen will, hat keine Nähe zum CEO. Das Fatale dabei: Die große Distanz hat negative Auswirkungen sowohl auf der persönlichen als auch der beruflichen Ebene.
Inwiefern?
Jeder Top-Manager ist Führungskraft von und für Menschen. Wenn die Nahbarkeit aber fehlt, weil die Mitarbeiter an der Baum- bzw. Respektgrenze stehenbleiben, dann weiß sie oder er nicht mehr, womit sich die Teams im operativen Geschäft auseinandersetzen müssen. Wer die Perspektive und das Erfahrungswissen seiner Mitarbeiter nicht einbezieht, kann keine guten unternehmerischen Entscheidungen treffen. Besonders in Konzernen zeigt sich oft, dass Top-Manager isoliert in ihren Glaskästen sitzen. Im Mittelstand sind sie zwar vergleichsweise näher an ihren Mitarbeitern dran, aber auch hier verpassen viele die Chance, durch die Büros zu laufen und Gespräche zu führen. In familiengeführten Unternehmen kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, nicht zur „Familie“ zu gehören, gehen sie oft auf Distanz.
Und auf der persönlichen Ebene?
Viele Top-Manager empfinden es als Schwäche, ihre Gefühle zu äußern und Einsamkeit zuzugeben. Wenn sie Selbstzweifel oder Unsicherheit verspüren oder überlastet sind, versuchen sie das eher mit sich selbst auszumachen. Auch sind sie es gewohnt, Entscheidungen allein zu treffen. Vor allem bei älteren Führungskräften beobachte ich, dass sie sich aus Angst vor Gesichtsverlust davor scheuen, andere um Rat zu fragen oder ihre Gefühle zu äußern. Vielen ist nicht bewusst, dass ihnen ein Sparringspartner fehlt. Jüngere Führungskräfte haben oft weniger Probleme damit, andere Perspektiven einzuholen und auch Schwächen zuzugeben. Anders als ältere Manager fordern viele zur Begleitung des Karriereschritts ins Top-Management einen Coach ein.
Wer ist besonders von Einsamkeit betroffen?
Während werteorientierte Menschen eher den Austausch suchen, sind dominante Persönlichkeitstypen in dem Glaubenssatz gefangen, dass sie aufgrund ihrer hohen Position allein entscheiden müssen. Letztere sehen sich im Wettbewerb mit anderen. Ihrer inneren Überzeugung nach könnte der Austausch mit anderen sie verweichlichen. Daher sind sie tendenziell eher von Einsamkeit betroffen als werteorientierte Menschen. Was dabei oft vergessen wird: Jeder braucht – unabhängig von seiner Persönlichkeit – Bezogenheit und Zugehörigkeit zum Team. Zugehörigkeit bedeutet auch Anbindung an ein System mit den darin handelnden Menschen. Dadurch werden die Sinnstiftung gefördert und Einsamkeitsgefühle verhindert. Denn auch Top-Manager haben genau wie alle anderen Menschen Bedürfnisse und Ängste.
Warum schränken Top-Führungskräfte ihre Sozialkontakte ein?
Viele verfügen über eine hohe Fachkompetenz, aber die soziale Kompetenz, also die Fähigkeit, auf andere zuzugehen und empathisch zu sein, ist oft nicht sehr ausgeprägt. Viele meiden den Austausch mit anderen. Wer aber regelmäßig kein Feedback erhält, entwickelt sich nicht weiter. Es findet kein Brainstorming bei wichtigen Themen statt, wodurch die Kreativität verloren geht. Ideen im Austausch zu generieren, ist aber gerade jetzt in Zeiten der Rezession so wichtig, um das Geschäft am Laufen zu halten oder zu retten.
Inwiefern schadet diese Haltung darüber hinaus dem Geschäft?
Wenn Top-Manager keinen Bezug zu den Problemen im operativen Geschäft mehr haben, verlieren sie auf Dauer die Bodenhaftung und bleiben in ihrem Tunnelblick. Das führt dazu, dass sie für bestimmte Faktoren blind werden, z.B. für die Mitarbeiterbindung – ein großes Risiko in Zeiten des Fachkräftemangels. Die Mitarbeiter wollen mit ihren Themen und Bedürfnissen aber gesehen werden. Wenn es jedoch keine Verbundenheit mit der Führung gibt, hat das negative betriebswirtschaftliche Folgen. Die Leistung sinkt, der Krankenstand geht hoch, Mitarbeiter verlassen das Unternehmen, was die Kosten für die Neubesetzung in die Höhe treibt. Vor allem jüngere Mitarbeiter erwarten, dass es eine gesunde Fehlerkultur und einen guten Informationsfluss gibt. Das vorzuleben, ist die Aufgabe von Managern auf der Top-Ebene.
Warum gibt es keinen Austausch auf gleicher Ebene?
Oft meiden Top-Manager den Austausch auf gleicher Ebene, weil sie Angst haben, als „Versager“ dazustehen. Vor allem bei kritischen Themen wie Gehaltserhöhungen oder Entlassungen stecken sie in dem Glauben fest, dass sie das allein bestimmen müssen. Hinzukommt, dass andere Führungskräfte bzw. potenzielle Vertrauenspersonen auch Teil der Organisation mit eigenen Bedürfnissen und folglich nicht frei von interner Unternehmenspolitik sind. Unter Umständen trifft ein CEO Entscheidungen unter „falscher Rücksichtnahme“, weil er oder sie z.B. einen Kollegen nicht entlassen will, der Familie hat und folglich in einer Verpflichtungsstruktur steckt. Daher ist es in solchen Fällen schwer, eine neutrale, unbelastete Entscheidung zu treffen.
Inwiefern könnte ein Coach ein guter Sparringspartner sein?
Ein Coach ist neutral und bringt ein breites Erfahrungswissen mit. Denn bestenfalls war er oder sie als Führungskraft oder Coach in verschiedenen Unternehmen tätig. Als unvoreingenommener Sparrings- und Reflektionspartner kann ein professioneller Coach das jeweilige Verhalten spiegeln und ein ehrliches Feedback geben. Gemeinsam wird reflektiert, worin die Gründe für die Distanz zu den Mitarbeitern und die damit verbundene Einsamkeit liegen. Auch ungesunde Glaubenssätze, die der vertrauensvollen Beziehung häufig im Weg stehen, können positiv umgewandelt werden. Durch das Bewusstmachen eigener Verhaltensmuster können mögliche negative Konsequenzen von Einsamkeit frühzeitig erkannt und angemessene Umgangs- und Bewältigungsmechanismen entwickelt werden. Im Austausch mit dem Coach lernen viele Top-Manager, Einsamkeit ein Stück weit zu akzeptieren und erkennen auch den Gewinn darin. Denn einsame Momente sind auch Momente der Besonnenheit und der Gestaltungsfreiheit. Wer diesen Mehrwert erkennt, entwickelt positive Energie, Lösungen und Vertrauen in die eigene Kraft, anstatt dagegen anzukämpfen.
Was bedeutet das für das operative Geschäft?
Wenn ein Top-Manager den Mehrwert des Austauschs bei schwierigen Entscheidungen erkannt hat, dann tritt das Risiko eines möglichen Gesichtsverlusts in den Hintergrund. Der Wert der Perspektive des anderen, des Erfahrungsaustauschs und der Weiterentwicklung treten dagegen in den Vordergrund. Für das operative Geschäft bedeutet das, dass der Top-Manager seine Mitarbeiter zu Experten macht und er sie je nach Fachkompetenz in bestimmte Entscheidungen miteinbezieht. Das Vertrauen in die Expertise der Mitarbeiter stärkt nicht nur deren Motivation, sondern lässt starke Beziehungen entstehen, die auf eine gute Unternehmenskultur einzahlen und die Bindung stärken.
Mit welchen Methoden wird im Coaching gearbeitet?
Neben der Arbeit mit negativen Glaubenssätzen, die oft im Elternhaus geprägt werden, ist die systemische Fragetechnik eine wichtige Methode. Sinnvoll ist z.B. der Einsatz der Wofür-Frage, die auch eine Haltung beschreibt. Sie zielt auf Absichten, Motivationen, Ziele, Bedürfnisse und Emotionen und gibt Antworten auf die Frage nach dem Sinn. Anders als die Warum-Frage, die die Vergangenheit beleuchtet, lenkt die Wofür-Frage den Blick nach vorn und stärkt die Lösungsorientierung. Für den Top-Manager auf dem Berggipfel heißt das: Anstatt sich fern von den Mitarbeitern an der Baumgrenze abzuheben, zieht er die Experten zu sich heran. Statt ihnen Steine in den Weg zu legen, ermöglicht er ihnen den Aufstieg oder trifft sich mit ihnen auf halben Wegen, um sich auszutauschen und gemeinsame Lösungen für berufliche Herausforderungen zu entwickeln. Denn sein Ziel ist es nicht mehr, der Beste zu sein. Nicht die dünne Luft allein auf der Bergspitze ist der Sauerstoff, sondern die vertraulichen Beziehungen auf gleicher Ebene.
Das Interview führte Annette Neumann, freie Journalistin aus Berlin.
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Anke Stein-Remmert ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Businesscoach. Als Krisenmanagerin mit Leidenschaft unterstützt sie Konzerne und mittelständische Unternehmen in den Bereichen Kommunikation, Konfliktmanagement und
Verhandlungsführung.
E-Mail: kontakt@ankestein.com
Weitere Informationen unter: www.ankestein.com