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Effectuation: Erfolgreich in Zeiten der Ungewissheit

Effectuation: Erfolgreich in Zeiten der Ungewissheit

Seit über einem Jahr sind Unternehmen u.a. bedingt durch die Corona-Pandemie mit extremer Ungewissheit konfrontiert. Vieles erscheint sehr brüchig, auch wenn bereits unzählige Herausforderungen erfolgreich gemeistert wurden. Doch was meint Ungewissheit genau? Von Ungewissheit ist immer dann sinnvoll zu sprechen, wenn wir uns in einer Situation jenseits der Vorhersagbarkeit, jenseits des Planbaren befinden. Die aktuelle Lage lässt sich somit durchaus als ein Langstreckenlauf im Umgang mit Ungewissheit beschreiben. Aber auch schon vor März 2020 war das Arbeitsleben zunehmend von Merkmalen geprägt, die sich mit dem Akronym VUCA beschreiben lassen. VUCA beschreibt eine Welt, welche als sprunghaft/unbeständig (volatile), unsicher (uncertain), komplex (complex) und mehrdeutig (ambiguous) wahrgenommen wird. Zusammenfassend lässt es sich mit „extrem hohe Komplexität“ beschreiben.

Als Reaktion auf die aktuellen sowie zukünftigen Entwicklungen fordert US-Forscher Jamais Cascio jedoch, das Akronym VUCA durch BANI (brittle, anxious, nonlinear und incomprehensible) abzulösen. Damit meint er, dass das, was früher verlässlich erschien, heute nicht mehr so ist. Klare Ursachen-Wirkungs-Beziehungen bestehen nicht mehr oder sind zumindest aufgrund von Verzögerungen nicht klar erkennbar. Auch der früher sehr hilfreiche Versuch, Sicherheit durch zusätzliche Informationen herzustellen, scheint nicht mehr zu gelingen. Ungewissheit kann dadurch nicht nur Unsicherheit, sondern auch Besorgnis und Ängste auslösen.

Warum nicht von erfolgreichen Mehrfachgründer*innen lernen?

Die angloamerikanische Forscherin Prof. Saras Sarasvathy hat 2001 erfolgreiche Mehrfachgründer*innen hinsichtlich ihrer Denk- und Entscheidungslogik erforscht. Erstes zentrales Ergebnis war, dass das Denken, Entscheiden und auch Handeln von erfolgreichen Unternehmer*innen beobachtbar, lehrbar und auch lernbar ist. Weiterhin fand sie heraus, dass erfolgreiche Mehrfachgründer*innen nicht die klassischen Management-Tools anwenden, also keine Energie auf Analysen und Vorhersagen und die darauf aufbauende Planung verwenden. Sie gehen anders vor.

Sich mit der Ungewissheit verbünden – Effectuation als Zweitsprache

Ein wichtiger Hinweis vorab: In diesem Artikel geht es nicht um ein „entweder – oder“ und schon gar nicht um einen neuen Hype, der bisher erfolgreich Praktiziertes über den Haufen werfen soll. Vielmehr geht es um das „erfolgreiche Anwenden einer Zweitsprache“ für den noch leichteren und eleganteren Umgang mit Ungewissheit. Dies bedeutet, in Situationen, in denen die Vorhersagbarkeit und Planbarkeit hoch ist, weiterhin die vertrauten Werkzeuge aus dem kausalen Denken, also die bekannten Management-Tools, anzuwenden. Hingegen in Situationen, die durch ein hohes Maß an Ungewissheit gekennzeichnet sind, die Denk- und Entscheidungslogik von Effectuation anzuwenden. Wie funktioniert nun Effectuation?

Das Kunstwort Effectuation übersetzen wir gerne mit folgender Umschreibung: In einem Umfeld von Ungewissheit mit Leichtigkeit ins Handeln zu kommen, sprich sich mit dem Unerwarteten zu verbünden.

Auf mehrere, wendige Schnellboote statt auf den einen großen Tanker setzen

Die Corona-Pandemie stellt vieles bisher gut Funktionierende infrage, teilweise inklusive der Herausforderung, sich neu zu erfinden. Die größte Gefahr in solchen von Ungewissheit geprägten Situationen ist die Erstarrung. Ein wesentlicher Game Changer von Effectuation ist hier der direkte Blick auf die in dem jeweiligen Moment vorhandenen Mittel. Leitend ist also die Frage, welche Mittel mir jetzt zur Verfügung stehen. Somit ist Handlungsfähigkeit deutlich schneller erreichbar. Hoteliers, die ihre unvermieteten Räume in der Pandemie für Mitarbeitende im Homeoffice zur Verfügung gestellt haben, sind hierfür ein konkretes Beispiel. Folgende drei Fragen erleichtern die eigene Mittelanalyse: Wer bin ich? Was kann ich? Wen kenne ich? Erweitert wird diese Perspektive um die Frage, welcher Einsatz zum aktuellen Zeitpunkt vertretbar ist. Erlauben wir uns dieses Vorgehen, fallen zahlreiche, oft als zäh und ergebnislos empfundene Diskussionen hinsichtlich des stimmigen Ziels weg.

Statt nach der einen goldenen Lösung zu suchen, kommt Leichtigkeit ins Spiel durch den Fokus auf das, was ich mit meinen momentan vorhandenen Mitteln ausprobieren mag – im Effectuation oft Schnellboote genannt. Der Fokus wechselt von „was sollten wir“ auf das, was ich jetzt tun kann. Wen binde ich dabei mit ein und was kann auf dieser Basis miteinander vereinbart werden? Die zentrale Währung bei Effectuation ist hierbei ein sogenanntes „ask“. Also Kolleg*innen aus dem Netzwerk nach Unterstützung zu fragen oder bei der Organisation XY anzurufen. Diese Währung großzügig auszugeben, fällt erfolgreichen Mehrfachgründer*innen sehr leicht. Bei Coachings zur Professionalisierung der persönlichen Effectuation-Kompetenz ist das Training der Freizügigkeit hinsichtlich der Währung „ask“ ein zentraler Punkt. Gerade hier liegen im Alltag oft die größten Hürden. Erfolgreiche Kontaktaufnahmen leben sowohl von einer freizügigen Weitergabe des im Moment vorhandenen Wissens als auch von der inneren Bereitschaft, dass ein „Nein“ meines Gegenübers völlig in Ordnung ist. Letzteres bedeutet, dass ich anstelle langer, umständlicher Überzeugungsversuche meine Energie unmittelbar auf meine nächsten potenziellen Ansprechpartner*innen lenke. Hiermit kommt Leichtigkeit ins Spiel.

Scheitern aktiv mitdenken

Diese Leichtigkeit wird in einem Umfeld von Unsicherheit auch über das aktive Mitdenken von potenziellem Scheitern unterstützt. Dies mag sich zunächst paradox anhören, aber das aktive Mitdenken von potenziellem Scheitern befreit von der anstrengenden Suche nach dem einen richtigen Weg und schützt vor dem Verharren in Untätigkeit sowie davor, sich zu überheben. Auch an dieser Stelle nochmals der Hinweis, dass Prozessstabilität in einem stabilen, planbaren Umfeld verbunden mit den Anstrengungen zur Verhinderung unerwünschter Ergebnisse absolut sinnvoll ist. Wir alle schätzen es sehr, wenn einer Knie-OP ein sehr stabiler, gut eingespielter Prozess zugrunde liegt. Die Pflege dieser Prozesse ist ein wichtiges Tool des kausalen Denkens, das sehr sinnvoll in einem planbaren Umfeld ist. Anders sieht es jedoch in einem von Unsicherheit geprägten Umfeld aus. Hier lässt uns der Fokus auf den nächsten machbaren Schritt ins Handeln kommen. Der nächste machbare Schritt, beispielsweise über sogenannte Schnellboote – etwas einfach mit geringem Einsatz auszuprobieren – gibt mir zeitnah eine Rückmeldung über die Auswirkungen. Letztendlich komme ich so in einen Modus des Segelns auf Sicht.

Unternehmerisch Handeln auf der Ebene der Beschäftigten

Welche Rahmenbedingungen braucht es nun, damit Mitarbeitende erfolgreich effectuieren? Zunächst einmal ist eine klare, transparente Kommunikation des Handlungs- und Entscheidungsspielraums der Beteiligten notwendig. Das meint eine eindeutige Benennung der Givens inklusive aller bereits getroffenen Entscheidungen. Mit dieser Transparenz und der Benennung der Ressource Zeit kann Effectuieren auf Ebene der Mitarbeitenden innerhalb ausgesuchter Abteilungen und Bereiche oder auch unternehmensübergreifend gut funktionieren. Ein geeigneter Auftakt kann hierfür eine gemeinsame Veranstaltung, auch Marktplatz der Macher*innen genannt, sein, in der die Handlungsanlässe der Anwesenden mit den zur Verfügung stehenden Mitteln für entstehende Schnellboote verwoben werden. Diese – auch online durchführbare – Veranstaltung steht und fällt mit der von der Geschäftsführung zur Verfügung gestellten Ressource Zeit und der Würdigung insbesondere von gescheiterten Schnellbooten. Werden nur erfolgreiche Schnellboote gewürdigt, bleibe ich schnell in der bisherigen Logik des kausalen Denkens mit dem Bemühen um Fehlervermeidung stecken. Hier entstehen keine neuen Kreationen, da frühzeitig der Filter „was funktioniert“ eingeschaltet wird. Die Grundidee der Schnellboote liegt allerdings in dem Ermöglichen zeitnaher Erfahrungen von Neuem und dem Grundgedanken, dem Zufall eine Chance zu geben. Entwicklung liegt oft in dem zunächst Unerwartetem und nicht selten in dem zunächst Unerwünschten.

Auch zukünftig wird Ungewissheit unser Begleiter bleiben

Zahlreiche Unternehmen haben bereits zu Beginn der Corona-Pandemie gezeigt, dass sie sich erfolgreich den Herausforderungen rund um Ungewissheit gestellt haben: Es wurden Geschäftsmodelle angepasst oder sogar ganz umgestellt. Vieles wurde ermöglicht, von dem vorher nur geträumt werden konnte. Schauen wir auf zukünftige Entwicklungen, wird Ungewissheit auch weiterhin unser Begleiter sein. Insofern ist der erfolgreiche Umgang mit der Rahmenbedingung Ungewissheit ein noch entscheidenderer Wettbewerbsfaktor geworden.

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Zur Person

Carolin Wolf ist seit 2001 Geschäftsführerin von Wolf & Oberkötter Personal- und Organisationsentwicklung, mit den Schwerpunkten des betrieblichen Gesundheitsmanagements, Begleiten und Gestalten von Veränderungsprozessen sowie der Konfliktklärung. Die Diplom-Psychologin ist als hypnosystemische Beraterin und Effectuation-Expertin in unterschiedlichen Kontexten tätig.

www.wolf-oberkoetter.de

Stand: 01.07.2021 10:30