Wir leben in einer von rascher Veränderung geprägten VUKA-Welt. Das erfahren Vertriebsmitarbeiter im Kundenkontakt täglich. Doch oft sind sie noch unsicher, wie sie unter den veränderten Marktbedingungen agieren sollen. Also benötigen sie Unterstützung.
„Unsere Kunden wissen oft selbst nicht, wie es weitergeht bzw. weitergehen soll. Entsprechend zögerlich sind sie mit ihren Kaufentscheidungen.“ Diese Klage hört man gehäuft von B2B-Verkäufern. Sie ist zwar nicht neu, doch zahlreiche, oft unvorhergesehene Ereignisse haben in zurückliegenden Jahren dazu geführt, dass inzwischen fast alle Verkäufer das Problem am eigenen Leib erfahren haben. Wir leben in einer VUKA-Welt – also einer Welt, die von einer immer rascheren Veränderung geprägt ist, weshalb die Zukunft immer schwieriger vorhersehbar und somit planbar ist.
Verkäufer werden Buying-Consultants
Doch was bedeutet dies für die Verkäufer, die alltäglich im Kontakt mit den Kunden ihres Unternehmens stehen – speziell diejenigen, die ihren Zielkunden Investitionsgüter und Problemlösungen verkaufen, die ihnen helfen, die Geschäftsprozesse ihres Unternehmens so zu gestalten, dass dieses auch künftig mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfolgreich ist?
Diese Verkäufer sind, wenn ihre Kunden selbst nicht wissen, was die aktuelle Situation erfordert, verstärkt als Buying-Consultants gefragt – also als Experten, die ihre Kunden diesbezüglich beraten, und sie im Idealfall beim Realisieren der Lösung unterstützen.
Vertriebsleiter werden Business Coaches
Doch unter welchen Voraussetzungen können Verkäufer als Buying-Consultants fungieren? Mit Sicherheit nicht, wenn sie selbst hypernervös sind und im Kundenkontakt weitgehend planlos agieren. Dann potenzieren sie nur die Unsicherheit der Kunden. Und wessen Aufgabe ist es, den Verkäufern die nötige emotionale Stabilität und Verhaltenssicherheit zu vermitteln, die sie im Kundenkontakt brauchen? Weitgehend die ihrer Führungskräfte, also der
Vertriebsleiter.
Sie müssen sich – sei es alleine, im Kollegenkreis oder im Dialog mit einem Business-Coach – intensiv mit dem Phänomen VUKA und den hieraus resultierenden Anforderungen an den Vertrieb befassen. Nur so können sie anschließend mit ihren Mitarbeitern konkrete Handlungsoptionen für den Vertriebsalltag entwickeln und die Mitarbeiter daran anknüpfend im Arbeitsalltag coachen.
Als Grundlage für ein tieferes Verständnis des Phänomens VUKA kann eine Beschäftigung mit den vier Begriffen dienen, die in diesem Akronym zusammengefasst sind.
Volatilität erfordert Agilität
Wenn die Zukunft immer weniger planbar ist, muss man im Denken und Handeln flexibel sein und bleiben. Das heißt auch, die Verkäufer müssen mehrere Handlungsoptionen haben, damit sie ihr Verhalten bei Bedarf der jeweiligen Situation anpassen können. Das erfordert auch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, und setzt bei den Vertriebschefs
häufig einen Perspektivenwechsel sowie ein Überdenken der Vertriebsziele voraus.
Unsicherheit erfordert Fokussierung
Um in einer von hoher Unsicherheit geprägten Situation nicht beliebig zu handeln, braucht man eine Vision – also eine Vorstellung davon, wie es weitergehen könnte, wenn verschiedene Krisenfälle eintreten sollten.
Deshalb sollten die Vertriebschefs und ihre Teams bezogen auf die Kernzielgruppen ihres Unternehmens mehrere (Zukunfts-) Szenarien im Kopf haben, um darauf aufbauend mögliche Handlungsstrategien für den Umgang sowohl mit den verschiedenen Kundentypen als auch den typischen Herausforderungen im Vertriebsalltag entwerfen zu können.
Dabei muss ihnen jedoch Folgendes bewusst sein: Jedem Szenario liegen Annahmen zugrunde, die sich im Vertriebsprozess als unzutreffend erweisen können. Deshalb sind zur Erfolgskontrolle kurz- und mittelfristige Etappenziele nötig, sodass man bei Bedarf das Vorgehen ändern kann.
Komplexität erfordert Strukturierung
Komplexität bedeutet Mehrarbeit. Deshalb ist es im VUKA-Vertrieb wichtig, die Zielkunden z.B. in einer Vier-Felder- Matrix bezüglich ihrer Umsatzpotenziale und der Auftragschancen zu bewerten, um zu entscheiden, bei welchen Unternehmen sich ein Engagement lohnt.
Um auf den Bedarf der Kunden angemessen zu reagieren, müssen die Verkäufer zudem deren Märkte kennen und wissen, was dort die stärksten Treiber von Veränderungen sind. Außerdem müssen sie die Organisation ihrer Kunden kennen bzw. zumindest einschätzen können, was deren größte „Kittelbrennfaktoren“ – also die Faktoren, die aus Sicht der Kunden selbst am problematischsten erscheinen – sind. Das können die Kosten, die technische Innovation, die Personalbeschaffung und viele weitere sein. Nur wenn Verkäufer diese kennen, können sie im Dialog mit den Kunden passgenaue Lösungen entwerfen.
Das Entwickeln solcher Lösungen setzt voraus, dass die Verkäufer das Vertrauen ihrer Vorgesetzten haben und diese ihnen die nötigen Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume gewähren. Ihre Chefs müssen verinnerlichen, dass es nicht ihre Aufgabe ist, über das kunden- bzw. projektspezifische Vorgehen selbst zu entscheiden, sondern solche Entscheidungen herbeizuführen. Hierbei müssen sie ihre Verkäufer zudem unterstützen, beispielsweise indem sie
- mit ihnen Praxisfälle aus dem Vertriebsalltag trainieren und/oder
- sie beim Entwickeln und Umsetzen der kundenspezifischen Problemlösungen coachen.
Ambiguität erfordert Handlungsoptionen
Ein unterstützendes Coaching der Verkäufer ist auch nötig, weil die aktuelle Situation zahlreicher Unternehmen vielschichtig ist. Das heißt, sie sehen sich mit verschiedenen Unwägbarkeiten konfrontiert, u.a. weil letztlich niemand weiß, wie sich ihre Märkte mittel- und langfristig entwickeln.
Entsprechend gewagt ist es heute aus Unternehmenssicht, auf Problemlösungen zu setzen, die der Entweder-oder-Logik folgen. Gefragt sind vielmehr Ansätze, die mehrere Faktoren berücksichtigen. Es braucht also Konzepte, die z.B. sowohl das Gewachsene respektieren als auch Schneisen in die Zukunft schlagen – Schneisen, die bei Erfolg zu breiten Straßen ausgebaut werden können.
Das heißt für den Vertrieb: Er muss sich bei seiner Alltagsarbeit oft situativ vom gesunden Menschenverstand leiten lassen, anstatt starren Regeln zu folgen, denn nur dann kann er die Chancen nutzen, die sich aus den Marktveränderungen ergeben. Zudem muss er bereit sein, neue Wege zu gehen, indem er z.B. die Digitaltechnik inklusive KI aktiv für die Marktbearbeitung und Kundenbetreuung nutzt.
Verhaltensunsicherheiten sind in der VUKA-Welt normal
In der VUKA-Welt ist es normal, dass selbst erfahrene Vertriebsmanager bei der Vertriebsplanung, -führung und – teuerung immer wieder vor ungelösten Fragen stehen und erfahrene Vertriebsmitarbeiter im Kundenkontakt Verhaltensunsicherheiten zeigen.
Entsprechend wichtig ist es, dass ihnen Gesprächspartner zur Verfügung stehen, die mit ihnen die Ist-Situation reflektieren und ihnen neue Perspektiven eröffnen. Dies können Vorgesetzte oder erfahrene Kollegen sein.
Insbesondere bei Vertriebschefs, die im Vertriebsalltag ihren Mitarbeitern den erforderlichen Halt und die nötige Orientierung geben und hierbei eine gewisse innere Ruhe und Zuversicht ausstrahlen müssen, empfiehlt sich jedoch auch der Kontakt zu einem externen Business-Coach. Der Grund: Jede Organisation entwickelt auch gewisse Denk- und Verhaltenspräferenzen, die ein Denken abseits festgefahrener Konventionen und das Finden neuer Problemlösungen erschweren. Auch hierfür hat die Digitaltechnik den Unternehmen neue Möglichkeiten eröffnet – z.B. in Form eines Telefon- oder Online-Coachings, das ein schnelles Reagieren auf den akuten Bedarf ermöglicht.
Peter Schreiber ist Inhaber der B2B-Vertriebs- und Managementberatung Peter Schreiber & Partner in Ilsfeld bei Heilbronn. Er ist u.a. Referent an der IHK-Akademie München in Westerham und bei WEKA Industrie Medien in Wien sowie Lehrbeauftragter am Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule Mannheim.