Bei der Prüfung, ob der Anscheinsbeweis für eine private Nutzung betrieblicher Fahrzeuge erschüttert werden kann, müssen nach Auffassung des BFH (Urteil vom 22. Oktober 2024) sämtliche Begleitumstände berücksichtigt werden.
Im Urteilsfall erzielte der Kläger in den Streitjahren (2011 bis 2013) Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit (zur Bedeutung des Urteils für GmbH-Geschäftsführer siehe weiter unten). Im Jahr 2010 schloss der Kläger einen Leasingvertrag über einen BMW zum Preis von 89.563 Euro. Die Leasingraten machte der Kläger in voller Höhe als Betriebsausgaben geltend. Im Jahr 2012 leaste der Kläger zusätzlich einen Lamborghini Aventador (Preis: 279.831 Euro netto). Auch die Leasingraten für diesen Wagen machte der Kläger als Betriebsausgaben geltend. Für beide Fahrzeuge führte er jeweils handschriftliche Fahrtenbücher, aus denen sich eine 100-prozentige betriebliche Nutzung für beide Fahrzeuge ergab.
In den Streitjahren besaß der Kläger außerdem zwei weitere Fahrzeuge im Privatvermögen, einen Ferrari 360 und einen Jeep Commander.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass die beiden handschriftlichen Fahrtenbücher des Klägers nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Fahrtenbuchprüfung entsprachen und deshalb nicht berücksichtigt werden könnten. Der Anscheinsbeweis für eine private Nutzung der Fahrzeuge komme damit zum Tragen mit der Folge, dass der Gewinn des Klägers nach der 1-Prozent-Pauschalmethode zu erhöhen sei. Das Finanzgericht schloss sich dieser Auffassung an.
Der BFH verwies den Rechtsstreit an das Finanzgericht zurück mit der Begründung, es habe nicht alle Umstände hinreichend berücksichtigt, die den Anscheinsbeweis der Privatnutzung entkräften könnten. Es müsse nach der Überzeugung des Gerichts feststehen, dass eine private Nutzung der betrieblichen Fahrzeuge tatsächlich stattgefunden habe. Die allgemeine Lebenserfahrung – und damit der Anscheinsbeweis –, dass betriebliche Fahrzeuge auch privat genutzt würden, könne erschüttert werden. Zu diesem Zweck müsse der Steuerpflichtige nicht etwa den Gegenbeweis führen, dass eine private Nutzung nicht stattgefunden hat. Für die Erschütterung des Anscheinsbeweises könne es aber ausreichen, wenn der Steuerpflichtige auf ein oder zwei gleichwertige Fahrzeuge im Privatvermögen verweisen könne. Allein auf die fehlende Ordnungsmäßigkeit der Fahrtenbücher abzustellen und
damit den Anscheinsbeweis zu rechtfertigen, genüge nicht. Vielmehr müssten sämtliche Begleitumstände berücksichtigt werden, die den Anscheinsbeweis erschüttern könnten. Dazu gehöre auf jeden Fall der Umstand, dass der Kläger im Urteilsfall für seine Privatfahrten auf zwei gleichwertige Fahrzeuge im Privatvermögen zurückgreifen konnte.
Das Urteil betraf zwar einen Freiberufler, es dürfte aber auch für GmbH-Geschäftsführer relevant sein, denen die Gesellschaft einen Dienstwagen gestellt hat. Bei der Beurteilung, ob sie das Fahrzeug auch privat nutzen und dafür nach der 1-Prozent-Methode einen geldwerten Vorteil zu versteuern haben, sind ebenfalls sämtliche Begleitumstände zu berücksichtigen, wenn sie den Anscheinsbeweis der privaten Nutzung des Fahrzeugs erschüttern möchten.
Im Anschluss an die Urteilsbegründung könnte der Anscheinsbeweis wie folgt erschüttert werden:
(1) Der Geschäftsführer zeichnet – nach dem Vorbild im Urteilsfall – sämtliche Fahrten auf. Dabei müssen die strengen Anforderungen, die das Gesetz an die Anerkennung eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs stellt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 Einkommensteuergesetz), nicht erfüllt sein. Die Aufzeichnungen müssen lediglich in sich stimmig sein.
(2) Der Geschäftsführer kann auf ein gleichwertiges Fahrzeug in seinem Privatvermögen verweisen, mit dem er der seine Ehefrau alle privaten Fahrten zurücklegt.
(3) Im Dienstwagenüberlassungsvertrag zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer wird vereinbart, dass die private Nutzung des Fahrzeugs ausgeschlossen ist. Auch eine solche Vereinbarung wäre nach der Urteilsbegründung als „Umstand“ zu berücksichtigen, der den Anscheinsbeweis der Privatnutzung entkräften kann. Zumal das Finanzamt nicht unterstellen darf, dass ein Geschäftsführer seinen Dienstwagen vertragswidrig einsetzt, indem er ihn – trotz des Verbots – auch privat nutzt.