Auch rechtsgetreue Unternehmen rücken unfreiwillig immer wieder in den Fokus der Ermittlungsbehörden mit dem Vorwurf der Umsatzsteuerhinterziehung.
Verfolgung der Umsatzsteuerhinterziehung bildet Schwerpunkt bei der Steuerfahndung
Im Oktober 2024 hat das Bundesfinanzministerium (BMF) die für das Jahr 2023 maßgebliche jährliche Statistik über die Ergebnisse der Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten sowie die Ergebnisse der Steuerfahndung veröffentlicht (siehe www.bundesfinanzministerium.de). Hiernach entfällt der weitaus größte Teil des für das Berichtsjahr vorläufig festgestellten Mehrergebnisses der Steuerfahndung von insgesamt 2,5 Milliarden Euro mit 966,2 Millionen Euro auf die Umsatzsteuer. Die Ermittlungen im Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung, insbesondere des Umsatzsteuerkarussells und der betrügerischen Umsatzsteuerkette, nehmen insoweit in Deutschland bei den Steuerfahndungsstellen eine herausgehobene Stellung ein. Dafür, dass diese Ermittlungen mit Nachdruck geführt werden und in Anklagen und Verurteilungen münden, sorgt seit dem Jahr 2021 die Europäische Staatsanwaltschaft, deren Hauptaufgabe in Deutschland die Verfolgung systematischen Umsatzsteuerbetrugs ist (siehe www.eppo.europa.eu).
Betrugsanfällige Branchen
Trotz des sogenannten Reverse-Charge-Verfahrens (§ 13b Umsatzsteuergesetz – UStG) auf betrugsanfällige Warengruppen sind Umsatzsteuerkarusselle und -ketten an der Tagesordnung. Ziel der Reverse-Charge-Regelung ist es, die Gefahr von Umsatzsteuerbetrug zu minimieren, indem die Möglichkeit entfällt, vereinnahmte Steuerbeträge nicht an das Finanzamt weiterzuleiten bzw. diese als Vorsteuer zu verrechnen. Anders als im Normalfall, bei dem der Leistungserbringer die Umsatzsteuer ans Finanzamt abführt und in der Rechnung an den Leistungsempfänger ausweist, geht beim Reverse-Charge-Verfahren die Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger über. Dies hat zur Folge, dass der Leistende lediglich Netto-Beträge in seiner Rechnung ausweisen darf.
Das Reverse-Charge-Verfahren gilt allerdings nur für bestimmte Warengruppen. Die Täter bedienen sich insofern immer wieder neuer Warentypen, bei denen weiterhin der Leistungserbringer der Steuerschuldner ist, und die daher umsatzsteuerbetrugsanfällig sind. Zu denken ist hierbei insbesondere an umsatzstarke Produkte wie Strom, Zertifikate, Luxusfahrzeuge, Uhren, aber auch an Dienstleistungen.
Im Blickpunkt der Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft stehen bei einem Umsatzsteuerbetrug nicht nur die Initiatoren des jeweiligen Betrugsmodells, die – da zumeist im außereuropäischen Ausland ansässig – ohnehin nicht greifbar sind. Ermittelt wird auch gegen an sich am Markt legal operierende Unternehmen im Inland, die als so genannter „Buffer“ in eine betrügerische Lieferbeziehung eingebunden sind. Die Aufgabe des Buffers besteht darin, die Lieferkette zu verlängern. Er steht in der Kette oder im Karussell nach dem Missing Trader, um das Betrugsschema zu verschleiern. Das nachfolgende Schaubild zeigt, dass sich der Buffer per se umsatzsteuerrechtlich legal verhält: Er stellt seinem Leistungsempfänger eine Rechnung mit Umsatzsteuer aus und führt diese, nachdem er sie vom Leistungsempfänger erhalten hat, ans Finanzamt ab bzw. verrechnet diese mit der Vorsteuer aus der Rechnung seines Vorlieferanten.

Das an sich für einen Unternehmer nach § 15 UStG geltende Recht auf Vorsteuerabzug ist allerdings nach § 25f Abs. 1 UStG zu versagen, wenn dieser wusste oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz im Zusammenhang mit Umsatzsteuerbetrug, und zwar an irgendeinem Punkt in der Lieferkette, steht. Anhaltspunkte für ein „Hätte-Wissen-Müssen“ sind
- ein Angebot von Waren weit unter dem Marktpreis,
- das Fehlen von Branchenkenntnissen bei den Geschäftspartnern, insbesondere beim Angebot großer Warenbestände,
- häufig wechselnde Ansprechpartner bei den Geschäftspartnern,
- intransparente Lieferketten und
- Preisabsprachen.
Neben den mit der Versagung des Vorsteuerabzugs verbundenen steuerlichen Auswirkungen begeht der Verantwortliche des Buffers (also in der Regel der Geschäftsführer) darüber hinaus eine strafbewehrte Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Abgabenordnung (AO), für die er persönlich in Anspruch genommen wird, wenn er zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass
- die Gesellschaft durch den Ansatz der Vorsteuern in den Umsatzsteuererklärungen aus den Rechnungen des Vorlieferanten zu einer Steuerverkürzung kommen könnte bzw.
- die Gesellschaft ungerechtfertigte Steuervorteile in Form einer Steuervergütung erlangen würde.
Diese Kenntnis muss nicht einmal in der Person des Geschäftsführers selbst vorliegen. Ausreichend für die strafrechtliche Verantwortung des Geschäftsführers kann vielmehr schon sein, dass ein Mitarbeiter des Unternehmens über dieses Wissen oder „Hätte-Wissen-Müssen“ verfügte. Denn für die Versagung des Vorsteueranspruchs kommt es nicht auf die Kenntnis des Hinterziehungstäters an, sondern auf die Kenntnis des Steuerpflichtigen, also der Buffer-Gesellschaft als juristischer Person. Analog zu § 166 Bürgerliches Gesetzbuch können dieser nicht nur die Kenntnis ihrer Organe, sondern auch die der sonstigen Angestellten zugerechnet werden, wenn diese die Kenntnis aufgrund der vorgesehenen Arbeitsteilung und Organisation erlangt haben. Die Geschäftsleitung eines Buffer-Unternehmens ist folglich einem großen Risiko ausgesetzt.
Mit der strafrechtlichen Inanspruchnahme des Geschäftsführers geht darüber hinaus auch die strafgerichtliche Einziehung der zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerbeträge beim Buffer-Unternehmen einher. Als in der Regel solventes Unternehmen stellt ein Buffer daher auch aus finanziellen Gründen ein wichtiges Ermittlungsobjekt dar. Ziel der Ermittlungen von Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft ist es nämlich nicht nur Personen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Maßgeblich für die Strafverfolger ist auch, dass der verursachte Steuerschaden wiedergutgemacht wird.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass Buffer-Gesellschaften meist unfreiwillig Gegenstand von betrügerischen Umsatzsteuerlieferketten werden und sich die Geschäftsführung ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit gar nicht bewusst ist. Unternehmensleiter finden sich insofern oftmals völlig ungeahnt auf der Anklagebank einer Wirtschaftsstrafkammer wieder. Wenn der Staatsanwaltschaft der Nachweis gelingt, dass der Unternehmensverantwortliche von der Einbindung seiner Gesellschaft in ein betrügerisches Umsatzsteuersystem Kenntnis hatte und die Wissenszurechnung gelingt, droht ihm infolge der üblicherweise im Millionenbereich angesiedelten Steuerschäden beim Umsatzsteuerbetrug regelmäßig eine Haftstrafe. Daneben hat das Unternehmen durch die strafrechtliche Einziehungsentscheidung eine Steuerrückzahlung in Millionenhöhe zu befürchten, die die Insolvenz des Unternehmens nach sich ziehen kann.
„VAT-Health-Check“ als geeignete Vorsichtsmaßnahme
Es empfiehlt sich daher für Unternehmen in gefahrgeneigten Branchen, regelmäßig die Lieferbeziehungen durch einen VAT-Health-Check zu analysieren, um nach Auffälligkeiten zu schauen, ein effektives Compliance-System vorzuhalten und die mit den Liefergeschäften betrauten Mitarbeiter zu überwachen. Können wirksame Compliance-Mechanismen im Unternehmen nachgewiesen werden, wird den Ermittlungsbehörden der Nachweis des „Hätte-Wissen-Müssens“ auf Geschäftsführerebene deutlich erschwert. Wesentlich für eine wirksame Verteidigung gegenüber einem umsatzsteuerstrafrechtlichen Vorwurf ist auch eine lückenlose Dokumentation der Liefervorgänge.
Selbstanzeige
Sofern der VAT-Health-Check ergibt, dass das Unternehmen unrechtmäßig in einen Umsatzsteuerbetrug verwickelt wurde, bietet die strafbefreiende Selbstanzeige einen rechtlichen Ausweg, sofern sie vollständig ist und erfolgt, bevor die Behörden den Betrug aufdecken. Zudem müssen alle hinterzogenen Steuern plus anfallende Zinsen beglichen werden.

Dr. Anna Krause-Ablaß ist Rechtsanwältin, ehemalige Deligierte Europäische Staatsanwältin und assoziierte Partnerin bei Flick Gocke Schaumburg, Frankfurt a.M. Als Rechtsanwältin berät und vertritt sie nationale sowie internationale Unternehmen und Individualpersonen in allen Bereichen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts.
Weitere Informationen unter: www.fgs.de