Berufliche Sinnhaftigkeit: Warum Unternehmen ihren Mitarbeitern die Sinnfrage stellen sollten

Menschen wollen heute nicht mehr nur das WAS, sondern auch das WARUM in Ihrer beruflichen Tätigkeit erkennen. Die Frage nach dem Sinn ist dabei nicht nur eine Frage der persönlichen Einstellung, sondern auch eine strategische Aufgabe für Unternehmen.

Dabei ist das Thema nicht neu. Als im 14. Jahrhundert die Ponte Vecchio in Florenz gebaut wurde, fragte der Architekt drei Arbeiter: „Was machst du hier?“ Der erste sagte: „Ich schleppe Steine.“ Der zweite erklärte: „Ich baue eine Brücke.“ Der dritte erwiderte: „Ich erschaffe eine Verbindung zwischen Menschen, die für Jahrhunderte bestehen wird.“

Ein Journalist besuchte die Fabrik von Thomas Edison. Er stellte sinngemäß dieselbe Frage. Der erste antwortete: „Ich setze Glühbirnen zusammen.“ Ein anderer meinte: „Ich arbeite für Edison.“ Der dritte sagte: „Ich bringe Licht in die Welt!“

Bei einem Termin beim Pharmakonzern Roche, fragte ich eine Mitarbeiterin: „Was machst du bei Roche?“ Ihre Antwort: „Ich helfe Roche dabei, Patientinnen und Patienten auf der ganzen Welt ein längeres und besseres Leben zu ermöglichen.“ Unterschiedliche Zeiten, unterschiedliche Berufe, unterschiedliche Menschen. Und doch haben sie alle etwas gemeinsam: Sie erkennen den Sinn in dem, was sie tun und dass sie mit ihrem Beitrag Teil eines großen Ganzen sind. Teil eines monumentalen Bauwerks, Teil einer bahnbrechenden Erfindung, Teil einer großen Vision oder Mission. Davon profitiert am Ende auch die Unternehmung, für die die Menschen tätig sind.

Die Vorteile einer sinnstiftenden Unternehmenskultur

Die Auswirkungen einer sinnstiftenden Unternehmenskultur sind vielschichtig:

  • Mitarbeiter und Teams sind motivierter, engagierter und zeigen Eigeninitiative.
  • Sie denken eher über Verbesserungspotenzial oder neue Lösungen nach. Das gilt nicht nur für Führungskräfte, sondern für sämtliche Hierarchiestufen.
  • Sinnerfüllte Mitarbeiter identifizieren sich mit ihrem Arbeitgeber, sind loyal und fallen seltener aus. Studien zeigen, dass in sinnerfüllten Unternehmenskulturen die Fluktuationsraten bis zu 40 Prozent niedriger sind.
  • Unternehmen positionieren sich als attraktive Arbeitgeber, die Talente und Fachkräfte nicht nur anziehen, sondern langfristig binden.

Letztlich zahlt sich eine sinnerfüllte Unternehmenskultur auch wirtschaftlich aus: Reduzierte Fluktuation bedeutet geringere Rekrutierungskosten, während das erhöhte Mitarbeiterengagement die Produktivität, Innovation und Kreativität für nachhaltig steigende Unternehmensergebnisse sorgen. Laut einer Studie von Deloitte erzielen sinnorientierte Unternehmungen eine um 30 Prozent höhere Innovationsrate, während die Produktivität um bis zu 21 Prozent gesteigert wird.

Warum viele Unternehmen die Sinnfrage fürchten

Auf die Sinnfrage angesprochen erwiderte ein Unternehmer einmal: „Diese Frage stelle ich meinen Mitarbeitern nicht. Dann laufe ich Gefahr, schlafende Hunde zu wecken.“ Die Befürchtung, dass Unzufriedenheit sichtbar wird, Änderungswünsche laut werden oder die Zusammenarbeit in Frage gestellt wird, liegt nahe und ist als Argument nicht von der Hand zu weisen. Aber: Schlafende Hunde wachen irgendeinmal auf. Ist es nicht sinnvoller, Themen frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, bevor sie zum Problem werden? Die Vorteile liegen auf der Hand:

  • Das Unternehmen zeigt Wertschätzung. Mitarbeiter werden nicht nur als Ressource, sondern als Menschen mit individuellen Bedürfnissen und Wünschen verstanden.
  • Das Unternehmen demonstriert Mut, Verantwortungsbewusstsein und Wille zur Selbstreflexion.
  • Bedürfnisse oder Veränderungswünsche werden frühzeitig erkannt, Maßnahmen können proaktiv in die Wege geleitet werden.
  • Der Fokus und die Ressourcen können auf die langfristigen Ziele und Visionen ausgerichtet werden.

Mit der SINN-Formel zur individuellen und kollektiven Sinnhaftigkeit

Die SINN-Formel ist ein Leitfaden, der sich aus den folgenden vier Elementen zusammensetzt:

  • Standpunkt,
  • Innere Haltung,
  • Nutzen,
  • Nachhaltigkeit.

Zuerst das Individuum…

Hier geht es darum, die innere Haltung – sprich die persönlichen Werte und Prioritäten jedes Einzelnen – zu definieren. Welchen Nutzen will ich für andere und mich erzielen? Welchen Beitrag kann und will ich leisten, damit Ziele erreicht werden?

Am Anfang steht die Standortbestimmung. Wo stehe ich heute? Passt meine aktuelle Aufgabe noch zu meinen Werten und meiner persönlichen Einstellung? Wie sieht es bei den Menschen aus, mit denen ich arbeite? Und wie steht es um die Kultur in der Unternehmung, für die ich tätig bin? Kann ich mich vollkommen damit identifizieren? Weiß ich genau, wohin meine Reise geht? Die Antworten sind Indiz dafür, ob man aktuell auf Kurs ist oder ob es Zeit ist, Bilanz zu ziehen.

Der weitere Prozess führt über die folgenden Elemente und Fragen:

  • Innere Haltung: Wie ist meine ganz persönliche Einstellung? Wofür stehe ich? Welche Werte leiten mich? Was bewegt mich? Was weckt meine Leidenschaft?
  • Nutzen: Was bedeutet Nutzen für mich? Ist er materieller Natur oder geht es mir um Anerkennung und Wertschätzung? Welchen Nutzen möchte ich mit meinem Denken und Handeln erzielen – für mich selbst und für andere?
  • Nachhaltigkeit: Bin ich bereit, meinen bestehenden Weg zu verbessern oder einen neuen einzuschlagen? Bin ich offen für meine persönliche Weiterentwicklung? Welchen Preis bin ich bereit, für meine Sinnhaftigkeit zu zahlen? Und wie bleibe ich auf Kurs, wenn aus Rückenwind einmal Gegenwind wird?

…dann das Team

Wenn die individuelle Sinnhaftigkeit geschaffen ist, sollen im Team dieselben Fragen besprochen werden, welche die Teammitglieder bereits für sich persönlich beantwortet haben; nun aber mit dem Fokus auf das Kollektiv:

  • Welche Haltung vertreten wir als Team?
  • Welchen Nutzen wollen wir als Team für uns und andere erzielen?
  • Wie stellen wir unsere kollektive Sinnhaftigkeit nachhaltig sicher?

Das gemeinsame Ziel- und Werteverständnis wird mit dem Better together Workflow erarbeitet – ein iterativer Prozess, der das Team Schritt für Schritt von der individuellen Sichtweise zu einem echten Wir-Denken führt.

Aus den Antworten entstehen Themencluster, in welchen konkrete Maßnahmen, Verantwortlichkeiten und Termine definiert werden.

Gemeinsam zum Ziel

Wer ist schlussendlich verantwortlich dafür, dass die persönliche und die kollektive Sinnhaftigkeit und damit eine erfolgreiche Zusammenarbeit sichergestellt sind? Vorgesetzte oder Mitarbeiter? Beide! Vorgesetzte sollten den Prozess anstoßen, dem Thema genug Raum und Priorität geben und in regelmäßigen Team-Check-ups und Einzelgesprächen den „Puls“ fühlen. Mitarbeiter sollten jedoch ebenso regelmäßig ihren Standpunkt definieren und sich fragen, ob sich ihre Ziele und Werte in ihrer Aufgabe, bei den Menschen, mit denen sie arbeiten, und in der Unternehmung widerspiegeln.

So kann Sinnhaftigkeit in Unternehmen aktiv gefördert werden:

  1. Die Sinnfrage aktiv zum Thema machen: Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter gezielt dazu ermutigen, sich regelmäßig mit der Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit auseinanderzusetzen.
  2. Gemeinsame Ziele und Werte definieren: Ein gemeinsam erarbeitetes Ziel- und Werteverständnis, in welchem sich sämtliche Mitarbeiter wiederfinden, gibt Orientierung, stärkt die Identifikation und das Zugehörigkeitsgefühl.
  3. Psychologische Sicherheit schaffen: In einem Umfeld, in welchem Vertrauen, Respekt und Wertschätzung aktiv gelebt werden, fühlen sich die Menschen sicher und gehen auf Augenhöhe miteinander um. Sie kommunizieren ehrlich, übernehmen Verantwortung, gehen kontrollierte Risiken ein und sehen Fehler als Lernchancen.
  4. Regelmäßig reflektieren: Damit die persönliche Sinnhaftigkeit, aber auch die gemeinsam definierte Sinnhaftigkeit und das Ziel- und Weltverständnis nachhaltig gelebt werden, sollten diese regelmäßig auf den Prüfstand gestellt werden. Persönlich und in regelmäßigen Abständen in Form von Team-Check-ups. Allfällige Abweichungen oder Diskrepanzen werden so frühzeitig erkannt, wodurch gemeinsam Maßnahmen in die Wege geleitet werden können.

Fazit

Die Frage lautet nicht mehr: „Warum sollten Unternehmungen Sinn schaffen?“, sondern: „Wie können sie es sich leisten, es nicht zu tun?“ Sinnhaftigkeit ist kein Luxus, sondern ein strategischer Erfolgsfaktor. Die Frage nach Sinnhaftigkeit in der Arbeitswelt wird nicht verschwinden – im Gegenteil, sie wird zum Wettbewerbsvorteil werden.

Sacha Johann

Sacha Johann ist Experte für Arbeitskultur und berufliche Sinnhaftigkeit. Der Schweizer weiß, wovon er spricht: Seine Karriere als Führungskraft in der Finanzbranche war Mittel zum Zweck. Heute unterstützt er als Sparringspartner, Coach und Speaker Führungskräfte, Teams und Organisationen dabei, ihre berufliche Situation zu reflektieren und ein sinnerfülltes Arbeitsklima zu schaffen. Neben seiner Autorentätigkeit ist Johann Inhaber und Geschäftsführer der Schweizer Kommunikations- und Eventagentur Premotion.

Kontakt: www.linkedin.com/in/sacha-johann/

Weitere Informationen unter: www.sachajohann.ch

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