Aussetzungszinsen: Geltende Regelung verfassungswidrig?

Der Bundesfinanzhof hält den gesetzlichen Zinssatz von sechs Prozent jährlich für sogenannte Aussetzungszinsen für verfassungswidrig. Er hat daher mit Beschluss vom 8. Mai 2024 das Bundesverfassungsgericht angerufen.

Einspruch und Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, d.h. die Erhebung einer Abgabe wird dadurch nicht aufgehalten, und der Steuerpflichtige muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen. Die aufschiebende Wirkung von Einspruch und Klage kann aber in einem summarischen Verfahren auf Antrag bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids vom Finanzamt oder Finanzgericht gesondert durch die Aussetzung der Vollziehung (AdV) angeordnet werden. Für den Steuerpflichtigen bedeutet das einerseits, dass er die Steuer zunächst nicht zahlen muss. Andererseits droht ihm eine Belastung mit Zinsen, wenn sein Rechtsmittel endgültig ohne Erfolg bleibt und er die Steuer nachträglich zahlen muss. Er hat dann für die Dauer der AdV und in Höhe des ausgesetzten Steuerbetrags Zinsen in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat, also sechs Prozent pro Jahr, zu entrichten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Vollverzinsung ab dem 1. Januar 2014 für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz erklärt, dies aber nicht auf die Aussetzungszinsen und andere Teilverzinsungstatbestände erstreckt.

Beispiel:
Im Streitfall hatte der Kläger seinen Einkommensteuerbescheid 2012 angefochten. Dessen Vollziehung setzte das Finanzamt aus. Die Klage war erfolglos. Aussetzungszinsen von 0,5 Prozent wurden für 78 Monate festgesetzt, u.a. auch für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 15. April 2021. Der Kläger wandte sich gegen die Zinsfestsetzung.

Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs ist ein Zinssatz bei der AdV in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat, also sechs Prozent im Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 15. April 2021, mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist der gesetzliche Zinssatz der Höhe nach offensichtlich nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.

Zudem werden Steuerpflichtige, die Zinsen schulden, weil sie

  • die Steuer nach der AdV nicht bezahlt haben oder
  • die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, weil ihre Steuerfestsetzung zu einem Unterschiedsbetrag geführt hat und sie die von Anfang an geschuldete Steuer deshalb erst später zahlen müssen,

ungleich behandelt. Denn Nachzahlungszinsen werden seit dem 1. Januar 2019 lediglich mit einem Zinssatz von 0,15 Prozent für jeden Monat, also 1,8 Prozent jährlich berechnet. Auch diese Zinssatzspreizung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

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