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Adaptive Intelligenz: Wettbewerbsvorteil für Unternehmen

Adaptive Intelligenz: Wettbewerbsvorteil für Unternehmen

Adaptive Intelligenz hilft Unternehmern, ungewöhnliche Situationen ohne ausdrückliche Anweisungen zu bewältigen. Sie wirkt sowohl auf der individuellen als auch auf der Team- und Unternehmensebene. Wissenswert ist, dass sie gezielt gefördert werden kann.

Bereits 2014 formulierte Karl-Heinz Oehler, damaliger Vice President HR der Firma Hertz: „Die seltensten Persönlichkeitseigenschaften sind Robustheit, intellektuelle Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit – also die Fähigkeit, mit einer sich verändernden Situation umzugehen und dadurch nicht gelähmt zu werden.“ Was besagt das? Es ist zwar wichtig, unsere Erfahrungen mit Veränderungen aus der Vergangenheit zu nutzen, um herauszufinden, wie wir die nächste unerwartete Herausforderung angehen können. Aber Anpassungsfähigkeit bedeutet zudem, offen und flexibel zu bleiben und zu akzeptieren, dass wir auf unserem Weg nicht nur erfolgreich sein, sondern auch scheitern können.

Obwohl dieses Thema in der Öffentlichkeit präsent ist, gibt es hier wenig belastbare Forschung. Die Arbeit, die ich mit der George Mason University in Virginia, der Northern Business School in Hamburg und dem Zukunftsinstitut in Frankfurt mache, zeichnet ein klares Bild: Menschen, die eine bessere Job Performance, mehr Engagement, eine höhere Veränderungsbereitschaft und mehr Innovationsverhalten zeigen, vereint ein Asset: ihre Adaptive Intelligenz (AQ).

Was ist Adaptive Intelligenz?

AQ ruht auf zwei Grundpfeilern: Der Fähigkeit zur Erkenntnis einer sich wandelnden Umwelt und der darauf aufbauenden Reaktivität bzw. Proaktivität, die sich in ihrer Interpretation frei von tradierten Weltanschauungen macht und einem situativen Bewusstsein höchsten Stellenwert zuspricht. Es ist die Befähigung, sich an veränderte Aufgaben, soziale oder Umfeldfaktoren anzupassen und diese aktiv zu gestalten.
AQ ist damit klar vom bekannten Change Management zu unterscheiden. Beides sind sehr unterschiedliche Disziplinen. Während Change Management ein etablierter Geschäftsprozess ist, der nachweislich die Erfolgsquote von Projekten verbessert, wird AQ als die Fähigkeit verstanden, zu lernen, wie man anpassungsfähiger an Veränderungen wird. Wenn die Anpassungsintelligenz einer Person erhöht wird, wird diese dem Gedanken an Veränderungen offener gegenüberstehen. Die Konsequenz ist, dass die Art und Weise, wie wir an Veränderungen herangehen, fehlerhaft ist. Veränderung ist kein logischer Geschäftsprozess, der Menschen von A nach B bringt, sondern eine emotionale Einstellung, die das Lebensgefühl bestimmt. Man nennt sie Anpassungsintelligenz, weil sie eine Fähigkeit ist, die sich entwickeln und beherrschen lässt.

Erhöhen Sie Ihre Signalerkennung

Bereits 2011 formulierten Martin Reeves und Mike Deimler in der Harvard Business Review, dass sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile nicht mehr ausschließlich aus Position, Größe oder Operational Excellence ergäben. Kernelement der Zukunftsfitness einer Organisation sei es vielmehr, wirklich gut im Lernen neuer Dinge zu sein. Dazu müssen Unternehmen ein situatives Bewusstsein entwickeln. Das versetzt sie in die Lage, nicht nur wahrzunehmen, was gerade um sie herum passiert, sondern auch reflexartig eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie sich alles Weitere in naher Zukunft entwickeln könnte. In einem Zeitalter, das Informationssättigung und gleichzeitig Interpretationsungewissheit erzeugt, vereint das situative Bewusstsein die Fähigkeiten, Echtzeit-Informationsquellen zu nutzen, diese zusammen mit bestehendem Wissen und zugänglichen Erfahrungen zu einem kohärenten Bild zusammenzufügen und daraus schließlich die Entwicklung und Veränderung des Umfelds vorherzusehen.
Diese gegenwartsnahe Wahrnehmung, eine Art ökonomische Signalerkennung, bildet die Basis, um operationale Eingriffe in Echtzeit vorzunehmen und so langsam arbeitende Entscheidungshierarchien zu umgehen. Die Konsequenz für ein Unternehmen, das diese adaptive Signalerkennung betreibt, ist z.B., dass es über seine eigenen Grenzen hinausdenkt und enger mit Kunden und Lieferanten zusammenarbeitet. Damit einher geht die Infragestellung der Überlegung, dass die zugehörige strategische Analyse die Aufgabe einer einzelnen Geschäftseinheit ist. In einem solchen Umfeld werden diejenigen Unternehmen im Vorteil sein, die wirksame Strategien auf der Netz- oder Systemebene entwickeln können.

Verändern Sie gezielt die Perspektive

Im Kern geht es dabei um zwei Dinge: Um uns als Person und um unsere Umgebung. Beispielsweise also um Abstände zwischen uns und anderen Menschen (soziale Distanz), der Gegenwart und der Zukunft (zeitliche Distanz), unserem physischen Standort und weit entfernten Orten (räumliche Distanz) oder der Vorstellung von etwas und dem Erleben von etwas (erfahrungsbezogene Distanz). Einfach gesagt fällt alles, was wir nicht als jetzt, hier und für uns selbst erlebend wahrnehmen, in die Kategorie „psychologisch distanziert“. Generell können Sie dabei alles verändern, was Distanz erzeugt.
Zeitliche Distanz entsteht durch Frageformulierungen wie: „In der Zukunft wird man das Problem gelöst haben, was werden die Menschen anders gemacht haben? Wenn ein Außerirdischer sein glänzendes Ufo in Ihrem Garten landen würde, welchen Rat würde er Ihnen geben?“ Räumliche Distanz entsteht, wenn Sie Fragen wie „In den USA haben die Menschen das Problem gelöst. Was tun sie dort?“ als Startpunkt wählen. Schließlich können Sie noch die Distanz zum eigenen Unternehmen „Ein Mitbewerber hat das Problem bereits gelöst. Wie ist er dabei vorgegangen?“ oder zur Branche formulieren „In einer anderen Branche wurde das Problem schon gelöst. Wie haben sie es gemacht?“ Dieses Vorgehen erweitert das Denken und ist einer der Kernprozesse bei Innovationsschmieden wie „X“, dem Innovationslabor von Alphabet, Googles Mutterkonzern.

Wechseln Sie den Motivationsfokus

Eine grundsätzliche Frage dieser Zeit ist: Worauf sind wir beim Blick auf die Unternehmenszukunft oder die Innovation generell gepolt? Wir können darauf fokussiert sein, ins Risiko gehen zu wollen und schnell möglichst viele gute Ideen zu entwickeln. Dieser Fokus hat Drive. Wenn wir so unterwegs sind, verleiten uns Schwierigkeiten nicht zum Aufgeben. Ganz im Gegenteil, wir geben extra Gas und steigern unsere Leistung. Das ist der sogenannte Promotionsfokus. Zu hören sind dann Sätze wie „Komm, lass uns das doch mal einfach anders machen. Geh mit mir ins Risiko!“ Manche atmen bei diesem Satz auf, andere vergessen womöglich glatt das Atmen. Letztere befinden sich im Präventionsfokus. Sie sind oft konservativer und gehen ungern Risiken ein.
In jedem von uns steckt grundsätzlich beides, doch haben wir eine Dominanz. Wie bei unseren Händen sind wir eher Rechts- oder Linkshänder und so sind wir eher promotions- oder präventionsfokussiert. Während die Dominanz bei den Händen aber in den meisten Situationen gleich bleibt, kann sich unser Fokus unter Umständen von Situation zu Situation ändern.

Motivationsfokus verändern

Zwei Dinge sind wichtig:
1. Wir können uns nur auf einen der beiden Schwerpunkte konzentrieren. Dabei bringt jeder ein sehr unterschiedliches Verhalten mit sich.
2. Wir können diesen Fokus jederzeit ändern. Bei uns und bei anderen.

Sie können zwei Arten von Feedback geben. Zu erklären, wie gut die Dinge in der Vergangenheit gelaufen sind oder wie gut sie in der Zukunft laufen werden, wirkt Wunder für das Selbstvertrauen von Menschen mit Promotionsfokus. Aber eben nur auf sie. Für Menschen mit einem ausgeprägten Präventionsfokus bringen negative Rückmeldungen, die die Wachsamkeit aufrechterhalten, die besten Ergebnisse. Das sind Rückmeldungen wie z.B., dass man versagen könnte, wenn man sich nicht genug anstrengt. Wenn Sie Menschen in einen kreativen Promotionsfokus bringen wollen, sagen Sie ihnen, dass sie etwas gewinnen, wenn sie gut abschneiden. Wenn Sie sie auf die Vorbeugung konzentrieren wollen, sagen Sie ihnen, dass sie etwas verlieren werden. Der Wirkungsmechanismus besteht darin, die gleichen Ergebnisse unterschiedlich zu formulieren. Sie können diese Art von Framing bei so gut wie allem anwenden, indem Sie einfach die Anreize anders gestalten.

Fazit

Erfolgreiche Unternehmenslenker und -leiter mit viel AQ sind keine kühnen, risiko-affinen Visionäre. Die besten sind Musterbeobachter: Sie beobachten, was funktioniert, bekommen raus, warum es funktioniert und bauen darauf neue Lösungen – pure Mustererkennung. Sie variieren die Perspektive und erzeugen so die notwendige Distanz zu Problemstellungen, die sich gerade erst am Horizont abzeichnen. Schließlich nutzen sie die Kraft, bei sich und anderen gezielt eine motivationale Ausrichtung zu erzeugen, die zur jeweiligen Prozessphase in der Aufgabenstellung passt.
Drei Gedanken sollten bleiben:
Ausbildung und Weiterbildung tun gut daran, den AQ der aktuellen und zukünftigen Generationen hochzuschrauben. Die Anpassungsintelligenz besteht aus trainierbaren Persönlichkeitseigenschaften.
Das eigene Ausgangsniveau lässt sich klar bestimmen und so der Start zu mehr AQ direkt beginnen.
Daraus formt sich unsere Fähigkeit, nicht nur ein gezieltes Mandat für Stabilität oder Flexibilität zu ergreifen, sondern auch beides mit Momentum zu füllen. We Adapt.

Zur Person

Dr. Carl Naughton ist Linguist, Wirtschaftspsychologe und Buchautor. Seit 2000 betreibt er das Open Mind Lab, dessen Projekte sich um mehr Offenheit dem Neuen und der Veränderung gegenüber widmen. Er ist Hochschuldozent für Wirtschafts- und Führungspsychologie an der FOM Frankfurt, Research Fellow der Northern Business University und Studienautor für das Zukunftsinstitut.

Stand: 10.06.2022 09:07